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Russlands Kohleindustrie kriselt


Die angekündigte Beratung des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit der Regierung über Probleme der Kohleindustrie wurde in der vergangenen Woche letztlich hinter verschlossenen Türen durchgeführt. Die entsprechende Entscheidung war zuvor am Mittwoch durch den Kremlsprecher Dmitrij Peskow bekanntgegeben worden. Laut Angaben aus der offenen Statistik können die russischen Kohleregionen zu einer neuen Krisenzone aufgrund des Rückgangs der Förderung und der Zunahme der rote Zahlen schreibenden Unternehmen werden. Nach Auffassung von Experten müssten die russischen Offiziellen und Behörden einen Komplex von Maßnahmen zur Unterstützung der Kohleindustrie ausarbeiten, die in diesem Jahr mit nicht geringen Verluste konfrontiert wurde und wird.
Die russische Kohlebranche wird in diesem Jahr mit neuen Problemen konfrontiert. Der Gouverneur des Verwaltungsgebietes Kemerowo, Ilja Seredjuk, teilte am Mittwoch mit, dass die Kohleförderbetriebe des Verwaltungsgebietes in diesem Jahr etwa 196 Millionen Tonnen Kohle fördern werden, während im vergangenen Jahr 214,2 Millionen Tonnen Kohle gefördert wurden. Somit ist die Förderung um 8,4 Prozent zurückgegangen. Der Gouverneur erinnerte daran, dass die Kohleindustrie bis zu 40 Prozent des Haushalts der Region bringe. Der regionale Haushalt habe bereits 56 Milliarden Rubel weniger hinsichtlich der Gewinnsteuern aufgrund der Situation in der Kohleindustrie verbucht. „Bis zum Jahresende prognostizieren wir, dass diese Zahl 65 Milliarden Rubel ausmachen wird. Dies sind kolossale Gelder für die Regionen, die nun fehlen und unsere Möglichkeiten hinsichtlich einer Entwicklung einschränken“, unterstrich Gouverneur Seredjuk.
Im November hatten die Offiziellen der Region mitgeteilt, dass das Verwaltungsgebiet Kemerowo im Zeitraum Januar-September des Jahres 2024 den Export von Kohle um 11,4 Prozent reduzierte. Ilja Seredjuk berichtete zuvor, dass allein in den ersten acht Monaten dieses Jahres die Region den Kohleexport um zehn Prozent bis auf 69,3 Millionen Tonnen verringert hätte. Den Rückgang des Exports verbanden die regionalen Offiziellen mit dem Verbot der EU für den Erwerb russischer Kohle, mit logistischen Schwierigkeiten beim Abtransport der Produkte in östlicher Richtung, aber auch mit der Einführung von Importzöllen durch China.
Nach Aussagen des Gouverneurs von Kemerowo ergeben sich Schwierigkeiten mit der Transportleistung der russischen Eisenbahn in östlicher Richtung. In den Sommermonaten standen bis zu 200 Züge mit Kohle auf den Gleisen und konnten nicht die Transsib erreichen, die aufgrund von Engpässen viele Züge nicht passieren lassen konnte. Gegenwärtig scheint es, dass sich die Situation verbessere, doch es wird schon nicht mehr gelingen, in diesem Jahr den Rückstand wettzumachen.
China selbst verringert gleichfalls den Import von Kohle aus Russland. In den ersten neun Monaten dieses Jahres haben die Chinesen 71,5 Millionen Tonnen russischer Kohle erworben, was um elf Prozent bzw. 8,5 Millionen Tonnen weniger als im Vorjahr war. Dabei hat aber der gesamte Import von Kohle in die Volksrepublik China um 42 Millionen Tonnen bzw. um zwölf Prozent bis auf 390 Millionen Tonnen zugenommen. Folglich hat sich der Anteil Russlands am Kohleimport Chinas bis auf 18,3 Prozent verringert, während er im Vorjahr noch bei 23 Prozent lag.
Insgesamt ist in der Russischen Föderation in den ersten zehn Monaten dieses Jahres die Kohleförderung um 1,7 Prozent zurückgegangen und machte 347 Millionen Tonnen, schenkt man den Daten der russische Statistikbehörde Rosstat Glauben. Unter anderem ist die Förderung von Steinkohle aller Arten um 3,5 Prozent auf das Jahr hochgerechnet gesunken und machte269 Millionen Tonnen aus. So verringerte sich die Förderung von Anthrazit um 16,6 Prozent bis auf 17,8 Millionen Tonnen. Die Förderung von Kohle für Kokereien stieg aber um 6,9 Prozent bis auf 92,2 Millionen Tonnen.
Die Beförderung von Kohle per Bahn geht ebenfalls zurück. Im November wurden um 5,4 Prozent weniger Kohle per Bahn im Vergleich zum analogen Monat des Vorjahres befördert. Somit macht der Rückgang hinsichtlich dieses Parameters nach elf Monaten bereits 6,2 Prozent aus. Im Zentrum für Preisindexe berechnete man, dass in den ersten zehn Monaten dieses Jahres der Export russischer Kohle 164 Millionen Tonnen ausmachte, was um neun Prozent weniger als vor einem Jahr ist.
Experten des Analytischen Zentrums des Brennstoff- und Energiekomplexes hatte zuvor mitgeteilt, dass vor dem Hintergrund des Rückgangs der Preise der Kohlesektor an den Rand einer Insolvenz geraten sei. Laut Angaben der Analytiker sei die Branche zur einzigen Verluste machenden in Russland geworden. Die Verluste vor Besteuerung werden auf 34 Milliarden Rubel geschätzt, während die Gewinne in den Jahren 2022 und 2023 noch 783 bzw. 357 Milliarden Rubel ausgemacht hatten.
Außerdem haben die Steuer- und Tarifmaßnahmen, die in der Zeit der hohen Preise für Kohle eingeführt wurden, zu einem Abschöpfen von 500 Milliarden Rubel aus den Kassen der Unternehmen geführt. In den Jahren 2022-2024 löste die größte negative Wirkung die Aufhebung der verringernden Koeffizienten in den Tarifen für die Bahntransporte aus. Die Auswirkung der Exportzölle beziffert das Analytische Zentrum des Brennstoff- und Energiekomplexes mit 75 Milliarden Rubel, die der Importzölle in China – mit 50 Milliarden Rubel. Die Ankopplung der Steuer für die Nutzung von Naturressourcen an die globalen Benchmarks für Kokskohle „kostete“ der Branche rund 30 Milliarden Rubel. Der zusätzliche Aufschlag auf den Steuersatz der Steuer für die Nutzung von Naturressourcen von 380 Rubel je Tonne Steinkohle – weitere 30 Milliarden Rubel.
Vor dem Hintergrund der Verschlechterung der Situation in der Kohleindustrie hat die Regierung der Russischen Föderation ab dem 1. Dezember die Exportzölle für Kokskohle aufgehoben. Das Moratorium für die Exportzölle in Bezug auf Anthrazit und Energiekohle ist bis zum Ende dieses Jahres verlängert worden. Und ab 1. Januar werden diese Zölle nicht mehr gelten. Die getroffenen Maßnahmen würden auf eine Unterstützung der Unternehmen des Kohlesektors abzielen, unterstrich man im Ministerkabinett. Flexible Exportzölle für die Ausfuhr von Anthrazit, Energie- und Kokskohle galten ab dem 1. Oktober 2023. Später wurden sie in Bezug auf Anthrazit und Energiekohle ausgesetzt – vom 1. Mai bis einschließlich 30. November 2024. Russlands Energieministerium diskutiert eine Liste von Antikrisenmaßnahmen, unter denen der Abschluss neuer Abkommen über die Ausfuhr von Kohle und Bonusse für die Bahn-Tarife sind.
Nach Meinung von Experten könnten eine Unterstützung für die Kohleindustrie nur direkte Wirtschaftsmaßnahmen sichern, aber keine punktuellen Initiativen zur Quotierung und Umverteilung der Lieferungen. Wie Anton Kotow, Sektorenleiter im Unternehmen NEFT Research, anmerkte, könnten eine Aufhebung der Exportzölle (376 Rubel) und eine Rückkehr zu reduzierenden Koeffizienten und Bonussen der Bahn (685 Rubel) den Kohleproduzenten 1061 Rubel je Tonne mehr bescheren. Aber selbst danach würde die Rentabilität der Kohle-Unternehmen im roten Bereich bleiben. „Unter Berücksichtigung des Rückgangs der internationalen Preise für Kohle und der Zunahme der Selbstkosten deren Förderung und der Logistik-Ausgaben wird die Gewährung reduzierender Koeffizienten und Bonusse für den Kohlesektor durch die Eisenbahner nur eine kurzfristige Wirkung haben“, meint der Experte Madshit Gusseinow vom Zentrum für die Wirtschaft der Infrastruktur-Branchen beim Zentrum für strategische Entwicklungen.
Nach Meinung von Iwan Petrow, Mitglied der Akademie für Bergbauwissenschaften, würden die Probleme des Kohlesektors einen Systemcharakter tragen.
„In der Branche hat sich ein ernsthafter Trend für ein Orientieren auf den hohe Einnahmen bringenden Export herausgebildet. Dies erlaubte, die Situation in den Kohleförderregionen erheblich zu verbessern sowie die Arbeitsproduktivität und die Verarbeitung von Kohle zu erhöhen, leider aber vor allem durch digitale und technologische Importlösungen. Unter den Bedingungen des Verlusts der hohe Einnahmen bringenden westlichen Absatzmärkte und der harten logistischen Restriktionen hinsichtlich der anderen Routen ist das exportorientierte Finanzmodell zusammengebrochen, und die Unternehmen werden insolvent“, erläuterte er. Nach seinen Worten müsse man heute das Problem des Sektors im „manuellen“ Regime lösen und Entscheidungen auf der Grundlage wirtschaftlicher Berechnungen unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten treffen.
Die Zunahme des Anteils der Verluste machenden Unternehmen und der Rückgang der Kohlefördermengen würden in erster Linie mit dem Rückgang ihrer Rentabilität vor dem Hintergrund der niedrigen Preise für russische Kohle zusammenhängen. Daher müsse man die Situation durch eine Erhöhung der Rentabilität der Unternehmen ausgleichen, sagte der Analytiker des Investitionsunternehmens Freedom Finance Global, Wladimir Tschernow. Er ist gleichfalls der Auffassung, dass die russische Kohlebranche einen ganzen Komplex von Unterstützungsmaßnahmen brauche. „Die Situation kann mit Hilfe verschiedener staatlicher Subventionen oder steuerlichen Lockerungen für die Unternehmen dieses Sektors, aber auch durch eine Senkung der Logistikausgaben beheben“, urteilte der Analytiker.
Man müsse die logistischen Lieferrouten für die russische Kohle in dritte Länder optimieren, denkt Gasan Ramazanow, Experte aus der Präsidentenakademie. „Die russischen Exporteure werden bei der Lieferung von Kohle nach Indien mit ernsthaften Problemen konfrontiert. Eines solcher Probleme sind die hohen Logistik-Kosten“, berichtete er.
Nach Meinung von Natalia Tschurkina, Analytikerin des Instituts für komplexe strategische Studien, müssten die Lösungen für die Probleme der Kohleindustrie einerseits auf eine Erhöhung der Effizienz der Kohleunternehmen ausgerichtet sein, was unter anderem auch eine Stilllegung der ineffektivsten Schächte und Produktionsstätten bedeuten könne. Andererseits sei es wichtig, keine Zunahme der Belastung und Restriktionen für die Hersteller in anderen Branchen im Ergebnis der Gewährung von Unterstützung für die Kohleproduzenten zulassen. „Mehr noch, man muss solch eine Belastung durch den Verzicht auf eine über Kreuz erfolgenden Subventionierung für die Kohlebeförderung per Bahn, aber auch durch den Verzicht auf die Gewährleistung einer unbedingten Priorität der Kohle in der Östlichen Region verringern. Ein größerer Kompromiss können beispielsweise zumindest eine Verringerung des Umfangs der Quoten für die Ausfuhr von Kohle und der Übergang zu deren Verteilung auf der Basis einer Auktion sein“, meint sie.
Der leitende Experte des Investitionsunternehmens „Finam Management“, Dmitrij Baranow, sieht eine Lösung der Probleme durch eine Erhöhung der Effektivität, durch eine Anhebung der Produktivität, eine Verringerung der Kosten, eine Erweiterung der Automatisierung der Produktion sowie durch einen Austausch von Anlagen und Ausrüstungen durch leistungsfähigere. Der Staat müsse aber auch den Kohlesektor unterstützen, „da die Nachfrage nach Kohle steigt. Und die Unternehmen werden die Investitionen für sie zurückzahlen. Die Hilfe des Staates kann in einer Reduzierung der Steuern und Gebühren für die Branche bestehen, in einer Veränderung der Tarife für die Kohleunternehmen für die Beförderung ihrer Erzeugnisse und die Energieversorgung und in einer Stimulierung des Inlandsnachfrage nach Kohle bestehen. Außerdem kann der Staat die Kohleproduzenten auf den Auslandsmärkten unterstützen, indem er den Kohleexport stimuliert und diese Erzeugnisse auf neuen Markten positioniert werden, wobei nicht nur Kohle angeboten wird, sondern auch andere Waren aus ihr“, urteilt der Experte.