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Russlands Offizielle geben die Versuche nicht auf, sich das Internet gefügig zu machen


Auf dem Videohosting Rutube, das sich gern als Russlands Version von YouTube etablieren möchte, unternehmen die linke und die patriotische Opposition erfolglose Versuche, Fuß zu fassen. Die für eine Veröffentlichung vorgesehenen Materialien werden vor allem in der Phase der Prämoderation ausgesondert, die mehr an eine recht harte Zensur erinnert. An dieser Hürde scheitern Clips nicht nur von Kommunisten – beispielsweise hat man 28 Videos des Staatsduma-Abgeordneten Sergej Obuchow mit einem Bann belegt -, sondern auch – sagen wir einmal – von Bloggern, die die sogenannte militärische Sonderoperation der Russischen Föderation auf dem Territorium der Ukraine in einem loyalen Ton covern. Experten haben der „NG“ bestätigt, dass die Herrschenden vom Prinzip her schon lange das Internet als eine gewisse Spielart des Fernsehens betrachten würden. Und zuerst hatte man versucht, das Internet durch ein massives Posten propagandistischen Contents unter seine Kontrolle zu bringen. Jetzt aber hat man scheinbar beschlossen, dass es wie auch im Fernsehen produktiver sei, den Weg von Verboten und einer Alternativlosigkeit zu gehen.

Da die frühere Konzeption für ein Abjagen des Einflusses in den sozialen Netzwerken von der Opposition nicht aufgegangen war, haben die Herrschenden beschlossen, andere Instrumente zu mobilisieren. Es sei daran erinnert, dass in der ersten Etappe Restriktionen oder überhaupt Verbote für ausländische Ressourcen erfolgten. Danach hat eine zweite begonnen, eine sogenannte positive Etappe, zu deren Höhepunkt ein Relaunch des russischen Videohostings Rutube wurde. Um die nach wie vor mit vielen Mängeln behaftete Plattform zu bewerben, sind alle möglichen VIP-Personen aus der Welt der Medien zum Einsatz gebracht worden. (Mit welcher Wirkung – dies steht auf einem anderen Blatt.) Dabei verurteilen die russischen Offiziellen hart die Zensur auf der bereits erwähnten Plattform YouTube, die sich daher fast vor einer Blockierung befindet und möglicherweise gar zu einer extremistischen Organisation erklärt werden kann. Wie jedoch die „NG“ erfuhr, sind mit genau solchen Zensur-Problemen erste große Nutzer der russischen Plattform bereits konfrontiert worden. Es scheint, das die Neuformatierung der Arbeitsregeln für das Internet in der Russischen Föderation entsprechend den gleichen Schnittmusterbögen erfolgt, die verwendet wurden, als man das mannigfaltige russische Fernsehen unter eine vollständige Kontrolle stellte.

Sergej Obuchow erläuterte der „NG“, dass er versucht hatte, Videoclips zu verschiedensten Themen zu posten – von der Wirtschaft bis zur Außenpolitik, die die KPRF vor allem in der letzten Zeit unterstützt, bis zu rein historischen und sogar abstrakten Fragen. Ein Teil konnte die Phase der Prämoderation aufgrund der Titel nicht durchlaufen, in denen Protestaktionen, Festnahmen linker Aktivisten, die „gestohlenen Wahlen“ u. a. erwähnt werden.

Etwa die Hälfte der Materialien, die die Überprüfung nicht überstanden hatten, hätten eigentlich keine eindeutig negative Reaktion auslösen dürfen. Verbannt wurden beispielsweise Videos mit solchen Titeln: „Der wahre Tag der Volkseinheit ist der 7. November!“, „Über den unzureichenden Charakter der ersten Maßnahmen für ein Reagieren unter den Sanktionsbedingungen“, „In Kasachstan will man das russische Fernsehen verbieten und die russische Sprache aus der Verfassung ausschließen“, „Das Staatskomitee für den Ausnahmezustand besaß eine sehr starke Unterstützung des Volkes, es hat sie aber nicht ausgenutzt!“ usw. Laut Angaben Obuchows hatten sich auch für mehrere Parteikameraden solche Probleme mit Rutube ergeben.

Er bekundete die Vermutung, dass man theoretisch YouTube und andere ausländische Hostings in Russland blockieren könne. Der Unmut des Volkes, dies werden natürlich ernsthafte Unannehmlichkeiten sein, aber „wer nimmt heute an der Macht Rücksicht auf Unannehmlichkeiten?!“. Nach Meinung des Kommunisten übertreffen die positiven Seiten der internationalen Plattform doch ihre negativen Seiten, selbst im Wissen darum, dass über sie unterschiedliche Kanäle für eine Beeinflussung Russlands wirken. Für die russische Opposition ist dies vom Prinzip her aber ein bequemes Instrument. „Heute irgendwelche Internetseiten oder Videohostings zu blockieren, hat keinen Sinn. Die Offiziellen werden im Endergebnis einen zeitweiligen Vorteil erlangen. Die Menschen haben es aber schon gelernt, Blockierungen zu umgehen. Ja, und die Opposition wird andere Kanäle suchen. Beispielsweise funktioniert bisher „VKontakte“ (russ. „Im Kontakt“), wo ich meine Videos gepostet habe. Wie die Praxis zeigt: Wenn es ein Bedürfnis am Posten alternativer Informationen und für deren Konsum gibt, so werden sie so oder so realisiert werden. Die Erfahrungen besagen, dass sich die Opposition an jegliche Bedingungen anpasst. Ja, die Opposition bricht gewöhnlich in der ersten Zeit nach neuen politischen Verschärfungen ein. Aber dann findet sie Möglichkeiten und erhebt sich wieder“, unterstrich Obuchow. Und er pflichtet bei, dass eine Gleichschaltung, eine Einheit des Denkens das wahre Ziel der Herrschenden heute sei, obgleich dies wohl kaum klappen werde – sowohl mit der Gesellschaft und als auch und umso mehr mit dem Internet.

Der Anführer der „Linken Front“ Sergej Udalzow bestätigte der „NG“, dass er ebenfalls probiert hätte, seinen Content auf das russischen Videohosting zu verlegen. Er hätte versucht, auf Rutube etwas mehr als ein halbes Dutzend Videos unterschiedlichen Inhalts zu posten. Udalzow wartete etwa eine Woche auf eine Antwort. Letztlich ist er doch leer ausgegangen. „Man muss verstehen, dass, obgleich ich einige politische und sozial-ökonomische Sachen postete, dies aber keine radikal-oppositionelle gegen Putin gerichtete Rhetorik war. Alles war durchaus im Rahmen und moderat. Ich wollte überprüfen: Postet vom Prinzip her dieses Videohosting irgendwelchen politischen und oppositionellen Content. Es hat sich herausgestellt, dass es diesen nicht veröffentlicht. Mir wurde ganz und gar ein Posten verwehrt. Nicht ein einziges Video wurde von den Moderatoren gebilligt“, konstatierte er. Laut seinen Angaben habe sich bei einem Teil von Kameraden sowohl aus der „Linken Front“ als auch aus der KPRF genau solch ein Problem ergeben.

Udalzow nimmt an, dass die Zensur auf solch eine Art und Weise erfolge: „Sicherlich schauen sie sich physisch nicht alle Clips an. Dies wäre aufgrund der Umgänge unmöglich. Wahrscheinlich aber werden irgendwelche Schlüsselwörter, Themen und möglicherweise gar Namen von Autoren herausgefischt. Das Wichtigste ist doch das, dass es politische Einschränkungen gibt. Und sehr harte. Dabei gibt es auf den Rutube-Servern im Unterschied zu YouTube keinen Komfort. Während man auf Rutube tagelang auf ein Posten von Videos warten kann, hängt dies auf YouTube nur von der Geschwindigkeit des Internets ab. Die Veröffentlichung erfolgt innerhalb von fünf bis zehn Minuten“. Dabei erinnerte Udalzow daran, dass auf YouTube ein Großteil des Contents kein politischer sei. Dies seien Filme, Musik, historische und Bildungsprogramme usw. Dies in der Russischen Föderation zu blockieren, wäre eine unnötige und außerordentlich schädliche Maßnahme. Wenn die Herrschenden eine Vereinigung der Gesellschaft erreichen wolle, so umgekehrt. Sie müsse Offenheit gegenüber alternativen Standpunkten demonstrieren.

Udalzow vermutete, dass vom Prinzip her die Herrschenden Russlands YouTube als eine ausländische und folglich auch als eine feindselige Ressource blockieren könnten, da sich die Vorstellungen der Herrschenden über das Internet in Vielem mit deren Begreifen und Verstehen des Fernsehens decken würden. Dies bedeute, dass der Kreml solch einen Traum habe: alle unliebsamen Kanäle für eine Verbreitung von Informationen und feindseligen sozialen Netzwerke blockieren, nur russische und kontrolliere belassen. Wobei „leider solch eine Vorstellung nicht vom Alter der Beamten abhängt. Sie gibt es auch unter den jungen Menschen an der Macht, besonders unter den Vertretern der Rechts- und Sicherheitsorgane“. Wenn sich aber die Herrschenden auf eine Verwandlung des Internets zum Fernsehen einlasse, so würden die oppositionellen Stimmungen nicht nur nicht verschwinden, sondern sich innerhalb des Landes nur verstärken. Die Menschen würden die Blockierungen umgehen und bereits gerade politische Inhalte suchen, erklärte Udalzow gegenüber der „NG“. Dabei gebe es Zweifel, dass es technische Möglichkeiten für eine Verlegung des gesamten unpolitischen Contents auf Rutube im Falle einer Blockierung von YouTube gebe. Dafür würde es banal an Hardware mangeln – an Technik, Trägermitteln, Servern. Und dafür seien gleichfalls Milliarden Dollar erforderlich. Aber nach seiner Meinung hätten die früheren Flops der russischen IT-Projekte den Herrschenden nichts gelehrt. Und Udalzow bestätigte der „NG“, dass die Opposition bei Bedarf auch unter den Bedingungen einer totalen Zensur zu überleben verstehe. „Wenn nötig, werden wir zu den alten Methoden zurückkehren – Flugblätter, illegale Zirkel. Letzten Endes können wir uns in den Wäldern versammeln“.

Der Leiter der Politischen Expertengruppe Konstantin Kalatschjow erläuterte der „NG“: „Eines der Probleme der Herrschenden besteht darin, dass die Beamten schöne Berichte über die geleistete Arbeit schreiben. Letztlich stellt sich aber heraus, dass die Arbeit doch keine so gute ist. Das gleiche ereignete sich auch mit der Plattform Rutube. Es gibt eine Menge an Ursachen – außer der Zensur -, warum die Menschen nicht dorthin wechseln“. Der Experte vermutete, dass man bei der Wiederherstellung der russischen Plattform sie von Anfang an auf die Interessen der Herrschenden ausgerichtet hatte. Ungeachtet der Klage über eine Zensur durch YouTube war die russische Plattform nicht als eine offene konzipiert worden. „Sicherlich war geplant worden, dass es dort Unterhaltung und Propaganda geben wird, aber keinerlei Hyde-Park für die Opposition“. Das heißt: Anstelle eines Kampfes gegen die westliche Zensur würden die Offiziellen der Russischen Föderation anstreben, sie bereits durch ihre eigene gerade auf ihrer Plattform zu ersetzen. Die Annahme, dass die Herrschenden listig sein müssten: Zuerst würden sie die Opposition auf die landeseigene Plattform locken und erst dann YouTube fertigmachen und Rutube hart einer Zensur unterziehen… Dies sehe nach Meinung des Experten im Verständnis des Kremls als eine zu komplizierte Strategie aus. Denn dort sei man der Auffassung, dass heute schon nicht mehr die Zeit für diffizile Spiele sei. Man müsse in dem Paradigma „wir und sie“ handeln. „Ein tröstender Aspekt besteht darin, dass das Fernsehen für die Herrschenden vorerst doch das Hauptinstrument ist, das Internet aber ein Hilfsmittel. Und obgleich man in der Zukunft nichts ausschließen kann, unter anderem eine Schließung von YouTube und ein Verlassen Russlands durch Google, sehen die Offiziellen bisher im Internet keine ernsthafte Gefahr. Daher hat eben YouTube auch Verteidiger in den Machtorganen. Aber der Druck auf das Internet wird natürlich fortgesetzt und gar verschärft werden“, meint Kalatschjow.