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Russlands Offizielle holen Nawalny auf die politische Agenda zurück


Im Namen von Alexej Nawalny, der eine neunjährige Haftstrafe verbüßt, funktioniert ein Telegram-Kanal einer „Gewerkschaft von Bürgern, die in Unternehmen des Strafvollzugssystems beschäftigt sind“. Die Gewerkschaft heißt „Promzona“ (deutsch: „Industriezone“) und ist angeblich persönlich durch den Oppositionellen gebildet worden. Dies wird scheinbar dadurch bestätigt, dass die Leitung des Straflagers Nr. 6 im Dorf Melechowo des Verwaltungsgebietes Wladimir Nawalny bereits eine Verwarnung ausgesprochen hat. In der letzten Zeit wenden sich die Strukturen der Nawalny-Anhänger aktiv der innenpolitischen Tagesordnung zu. Und die Offiziellen holen aus irgendeinem Grunde die Aufmerksamkeit für Nawalny wieder zurück.

Auf dem Telegram-Kanal der Gewerkschaft „Promzona“ sind nicht nur ein Bericht über Leistungen und gar Siege, sondern auch viele Dokumente veröffentlicht worden. Da gibt es auch eben jene offizielle Verwarnung hinsichtlich der Vorbereitung einer widerrechtlichen Tat durch Nawalny, die die Bildung einer gesellschaftlichen Organisation in Orten des Strafvollzugs darstellt.

Dies bedeutet erstens, dass Nawalny jetzt einen organisierten Kanal für die Weitergabe von Informationen selbst in das Straflager mit einem verschärften Haftregime hat, wohin er nach Anhebung der Dauer des Freiheitsentzugs für ihn bis auf neun Jahre verlegt worden war. Es ist klar, dass den Empfang und die Weitergabe der nötigen Informationen – allem nach zu urteilen – die Anwälte des Oppositionellen gewährleisten. Und dies bedeutet zweitens, dass die Version der staatlichen Propaganda über den Zerfall der Strukturen der Nawalny-Anhänger und das Vergessen ihres Gründervaters durch deren gegenwärtige Anführer in die Brüche geht.

Mehr noch, es sei angemerkt, dass die Mitteilung über die Verwarnung von Nawalny von der russischen staatlichen Nachrichtenagentur RIA Novosti verbreitet wurde. Dies bedeutet, dass die Offiziellen den Oppositionellen ein weiteres Mal durch eigene Anstrengungen in den Medienraum zurückholen und die Aufmerksamkeit eines sehr großen Kreises von Bürgern auf ihn lenken. Am wichtigsten ist jedoch natürlich ein dritter Aspekt: Nawalny bringt sich selbst durch seinen Kampf um die Rechte der arbeitenden Näher auf die innenpolitische Agenda zurück. Dies könnte man als den Versuch des Führers werten, den nicht allzu korrekten Kurs seiner Anhänger und Mitstreiter zu korrigieren. Es sei daran erinnert, dass seit dem 24. Februar die meisten Nawalny-Ressourcen ins Ausland verlegt worden sind. Und die oppositionellen Emigranten haben sich beinahe geschlossen der proukrainischen Propaganda angeschlossen, die auch westliche Medien verfolgen. Jedoch ist wahrscheinlich die Gewerkschaft „Promzona“ doch kein Fingerzeig Nawalnys für die heutigen Führungskräfte seines Netzwerkes, sondern Teil eines generellen Plans.

Gerade in der letzten Zeit haben sich die Schlüsselfiguren der Nawalny-Vertreter der innerrussischen Agenda zugewandt, obgleich auch im früheren Kontext der Kritik bezüglich der Sonderoperation. Erneut sind Nachforschungen über das luxuriöse Leben der Hauptfunktionäre der herrschenden Offiziellen sowie deren Verwandten und Bekannten aufgetaucht. Aufmerksamkeit wird einzelnen Wahlkampagnen geschenkt. Dabei wird der maximale Schwerpunkt auf allgemeine Volksthemen gelegt, beispielsweise solcher wie die ständige Zunahme der Preise für die gefragtesten Waren und Dienstleistungen. Allerdings ist auch der Versuch unternommen worden, das Publikum durch die Schaffung eines sozusagen objektiven, rein informierenden Internet-Mediums zu erweitern.

Und da hat jetzt Nawalny selbst, nachdem er sich zum Gewerkschaftsführer der Strafgefangenen ernannte, die Führung des Kampfes um deren Arbeitsrechte übernommen. In seinem Bereich hat er scheinbar schon einen Austausch der Holzhocker gegen Drehstühle erreicht, die Nähern gemäß den Berufsstandards zustehen. Nun steht ein Ringen im Maßstab des gesamten Straflagers bevor, und danach auch des Landes insgesamt. Obgleich, urteilt man anhand offizieller Fotos von der Internetseite des Föderalen Dienstes für den Strafvollzug, viele Gefängnisbetriebe bereits gerade mit solchen Stühlen ausgestattet worden sind. Im Namen von Nawalny wird auf dem erwähnten Telegram-Kanal auch eine Anleitung für die Bildung von lokalen Gewerkschaftsgruppen verbreitet. Am Anfang und am Ende dieser wird besonders unterstrichen, dass dieses Dokument nicht an offizielle Instanzen weitergeleitet werde und dass dies nur ein „Gerüst“ für die Häftlinge sei.

Der Leiter der Politischen Expertengruppe, Konstantin Kalatschjow, erläuterte der „NG“, dass in der neuen Geschichte mit Nawalny zwei Aspekte zu sehen seien. Der erste ist: Dies sei nicht nur ein Erinnern an sich, sondern auch der Versuch, das Publikum zu erweitern, um eine populäre Führungskraft zum Zeitpunkt des Herauskommens aus dem Straflager zu werden. Dies ist der bekannte Weg von Nelson Mandela, der gerade nach der Freilassung Präsident der Republik Südafrika wurde. „Für Nawalny ist derzeit sozusagen alles Werbung mit Ausnahme eines Nekrologs. Die Sache besteht aber auch noch darin, dass das Gefängnisthema für viele Bürger Russlands ein nahes ist. Nicht ohne Grund existiert im Volk die entsprechende Redensart: Der eine oder andere hat selbst gesessen, von anderen — Verwandte oder Bekannte. Das heißt: Dies ist der Versuch, über den Rahmen der oppositionellen Subkultur hinauszugehen. Ja, und in der Opposition haben gegenwärtig auch die Befürchtungen einer Verfolgung mit Haftstrafen zugenommen. Und das Thema einer Humanisierung (des Strafvollzugs – „NG“) unterstützen selbst jene, die nicht persönlich mit diesem System konfrontiert worden sind. Hier ist die Rechnung eine richtige“, nimmt der Experte an. Dabei erinnerte er daran, dass Nawalny derzeit nicht der einzige Mensch sei, der um den Titel des wichtigsten politischen Häftlings kämpfe. Ilja Jaschin (der in der Russischen Föderation als eine natürliche Person in der Funktion eines ausländischen Agenten abgestempelt worden ist) hat hinsichtlich des Zitierens Nawalny eingeholt und sogar überholt. Daher „besteht sicherlich der Wunsch, seinen Status zu bestätigen“.

Der zweite Aspekt bestehe darin, dass ein Teil des Nawalny-Teams wirklich versuche, auf die innenpolitische Tagesordnung des Landes zurückzukehren. „Das Eintreten für die Ukraine im Kontext der Sonderoperation ist einerseits ein Thema der Minderheit, da sie die Mehrheit entweder nicht bewege oder die Mehrheit die Handlungen der Offiziellen der Russischen Föderation unterstützt. Andererseits aber verdienst du mit diesem Thema kein politisches Kapital, da die Menschen das bewegt, was ihnen näher ist. Wenn aber die Rede von einem Gefängnis ist, so erfolgt hier ein Appellieren an die Mehrheit. Der Kampf um die Rechte der Gefangenen kann bei den Menschen Sympathie auslösen“, nimmt Kalatschjow an.

Was aber die Erwähnung der Gewerkschaft Nawalnys durch staatliche Nachrichtenagenturen angehe, so sei sie nicht zufällig, ist sich der Experte sicher. „Dies ist der Versuch, im Innern und nach außen hin zu zeigen, dass sowohl mit Nawalny alles in Ordnung sei, er lebe und sei gesund, keiner habe ihn erneut vergiftet, als auch, dass das heutige russische Gefängnis kein GULAG sei, da der Oppositionelle eine Gewerkschaft bildet und für die Rechte der Häftlinge vor Gericht gehen will“. Dabei schloss Kalatschjow ganz und gar nicht aus, dass die frühere Praxis eines vorteilhaften Austauschs politischer Häftlinge mit ausländischen Staaten in die Realität, die sich als eine sowjetische etabliere, zurückkehren könne. „Sowohl Nawalny als auch Jaschin und andere Kritiker des Regimes sind für dieses im Ausland sicherer, denn eine politische Emigration ist faktisch eine politische Marginalisierung. Sie haben zur realen Politik in Russland keinerlei Beziehung. Nicht umsonst behauptet Jaschin, dass man ihm eindringlich vorgeschlagen hatte, zu emigrieren“, unterstrich Kalatschjow.