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Russlands Pazifisten bilden drei Risikogruppen


Die Offiziellen arbeiten konsequent gegen die Gegner der sogenannten militärischen Sonderoperation Russlands auf dem Territorium der Ukraine. Während zuerst Journalisten und oppositionelle Politiker unter Druck gerieten, so sind jetzt Vertreter der kreativen Berufe an die Reihe gekommen. Jedoch erstreckt sich das „Gesetz über Militär-Fakes“ praktisch nicht auf zufällige Menschen. Ein durchgängiges, ein totales Monitoring der sozialen Netzwerke und Medien ist eine nicht zu bewältigende Angelegenheit. Und daher werden die Schläge gegen Knotenpunkte und Kanäle der pazifistischen Kommunikationswege geführt.

In der Partei „Jabloko“ berichtet man, dass die Rechtsschützer den Druck auf Parteiaktivisten in verschiedenen Regionen fortsetzen würden. Die meisten von ihnen befinden sich vorerst im Status ordnungsrechtlich bestrafter, obgleich einige – schon mehrfach. Dies bedeutet, dass der Weg für die Einleitung von Strafverfahren frei ist.

So hatte man zwar den Chef der Kamtschatka-Organisation von „Jabloko“ Wladimir Jefimow aus der U-Haftanstalt entlassen, aber mit einer Auflage, die einzelne Restriktionen vorsieht, so dass er aus beruflicher Sicht vom Leben abgeschnitten worden ist. Dem Journalisten der Nachrichten-Internetseite „Kamtschatka-Inform“ ist verboten worden, das Internet und Telefone zu nutzen. Gegen Jefimow ist ein Strafverfahren entsprechend dem Teil 1 des Artikels 280.3 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation – öffentliche Handlungen, die auf eine Diskreditierung der Armee abzielen – eröffnet worden. Der jüngst mit dem Preis „Journalistischer Ruhm Kamtschatkas“ der Regionalorganisation des Journalistenverbands Russlands geehrte Journalist ist bereits zweimal mit einer Geldstrafe von jeweils 30.000 Rubel (umgerechnet etwa 485 Euro) aufgrund von Ordnungsrechtsverfahren analogen Inhalts belegt worden. Früher wurde ein Strafverfahren entsprechend dem Gesetz über Militär-Fakes gegen einen „Jabloko“-Vertreter aus Chakassien, gegen den Chefredakteur des Internetmediums „Neuer Fokus“ Michail Afanassjew, eingeleitet. Er befindet sich bereits in U-Haft. Ihm wird der Punkt „a“ des Teils 2 aus dem Artikel 207.3 des Strafgesetzbuches angelastet. Dies ist eine aktuellere Norm, die nicht nur die Armee, sondern auch die Handlungen von Staatsorganen der Russischen Föderation im Ausland betrifft.

Es sei daran erinnert, dass gleichzeitig auch Verfahren gegen jene Oppositionellen eingeleitet werden, die pazifistische Anschauungen in den sozialen Netzwerken verbreiten, freilich es selbst aber zu emigrieren geschafft haben. Gefährdet sind auch die Politaktivisten, die zwar über kein großes Publikum verfügen, aber bereit sind, hartnäckig Parteipositionen zu predigen. Und diese Gruppe dominiert gleichfalls unter den Mitgliedern von „Jabloko“. Auf Verlangen der Generalstaatsanwaltschaft hat beispielsweise die Verwaltung des russischen sozialen Netzwerkes „VKontakte“ die Seite der Abgeordneten aus der Stadtduma (dem Stadtparlament) von Velikij Nowgorod Anna Tscherepanowa blockiert, die die entsprechende Parteiorganisation leitet. Sie erläuterte, dass solch eine Entscheidung augenscheinlich mit der Veröffentlichung eines Fragments des Ufa-Konzerts von Jurij Schewtschuk – des Bandleaders der Gruppe „DDT“ – zusammenhängt. Zuvor hatte auf Verlangen der gleichen Generalstaatsanwaltschaft das soziale Netzwerk „VKontakte“ die Seiten der Abgeordneten der Gesetzgebenden Versammlung (Regionalparlament) Kareliens und des Mitglieds des „Jabloko“-Politkomitees Emilia Slabunowa und des Mitglieds dieses Gremiums aus Pskow Lew Schlossberg blockiert.

Der „Jabloko“-Jurist aus Petersburg Alexander Kobrinskij hat einmal die Schläge gegen Parteigenossen gezählt: 16 Ordnungsrechtsverfahren, ein Strafverfahren aufgrund eines erneuten Verstoßes. Zwölf Personen wurden ordnungsrechtlich zur Verantwortung gezogen. Mindestens neun Städte wurden erfasst, verhängt wurden 14 Geldstrafen über eine Gesamtsumme von 474.000 Rubeln. Eine Person wurde aber für unschuldig erklärt, weitere zwei warten auf ihre Gerichtsverhandlungen entsprechend eingeleiteten Ordnungsrechtsverfahren. Neben „Jabloko“-Vertretern geraten auch andere Oppositionelle in das antipazifistische Räderwerk der russischen Justiz.

Dabei haben die Sanktionen nach Journalisten und Politikern nun auch Vertreter kreativer Berufe erfasst. Es genügt, sich allein an Schewtschuk zu erinnern, gegen den die Polizei der Hauptstadt der russischen Teilrepublik Baschkirien ein Protokoll entsprechend einem Fall von angeblicher Diskreditierung der Streitkräfte Russlands aufgesetzt hat. Dem Rocker werden entsprechende angebliche Aussagen bei einem Konzert am 18. Mai in Ufa bzw. – laut der Version der Polizei – provokante Statements vor einem 10.000 Menschen umfassenden Publikum angekreidet. Schewtschuk habe pazifistische Losungen gerufen, sei kritisch gegen die Innenpolitik der Russischen Föderation aufgetreten und habe auch seine Lieder gesungen, zum Beispiel „Schieße nicht!“. (Aus Ufa war derzeit nicht zu erfahren, über was für eine sprachwissenschaftliche Expertenausbildung die Autoren des Polizeiprotokolls verfügen, die das Verfahren gegen den „DDT“-Bandchef eingeleitet haben. – Anmerkung der Redaktion). Hurrapatriotische Berufskollegen sind bereit, sich mit Schewtschuk auseinanderzusetzen, zumal sie der Auffassung sind, dass er dem „hehren Titel eines russischen Musikers“ Schaden zufüge. Eine Welle von Kritik seitens kremltreuer Journalisten stürzte auch auf den „Aquarium“-Bandleader Boris Grebenstschikow ein, der gleichfalls öffentlich mit einer pazifistischen Position aufgetreten war und sogar auch noch zwölf Millionen Euro für die Ukraine gespendet hatte, die nach einem Konzert am Berliner Brandenburger Tor zusammengekommen waren.

Der Leiter der Politischen Expertengruppe Konstantin Kalatschjow erläuterte der „NG“: „Aus der Sicht der Herrschenden ist alles logisch. Anstelle dessen, dass man sich generell alle greift, als die Artikel aufgrund einer Diskreditierung der Armee gerade erst in Kraft gesetzt wurden und es eine demonstrative Härte bei der Anwendung gab, ist man jetzt zu einer Einflussnahme auf die Influencer übergegangen. Die Herrschenden sind in ihren Handlungen konsequent. Anfangs waren Journalisten unter Druck geraten, dann politische Spitzenvertreter und Aktivisten. Und jetzt ist man zu Musikern übergegangen. Zu kreativen Menschen. Es ist offensichtlich, dass Musiker aus der Sicht eines Vermittelns ihrer Haltung an ein breites Publikum, die den Herrschenden widerspricht, nicht weniger gefährlich sind. Sie treten vor tausenden und hunderttausenden Menschen sowohl in der Russischen Föderation als auch im Ausland auf“. Daher habe man beschlossen, an dem „didaktischen Beispiel“ Schewtschuks das Wanken und Schwanken unter den Kulturschaffenden zu unterbinden. „Dabei begreifen die Herrschenden das Internet in Vielem wie das Fernsehen. In der Art: Wenn man alle Unliebsamen ausbootet, wird man eine generelle Einheit und Eintracht demonstrieren können. Bisher haben wir aber keine chinesische Internet-Version. Dies ist einfach unmöglich. Es werden stets Unzufriedene bleiben. Man kann nicht alle abschalten“, konstatierte Kalatschjow.

  1. S. der Redaktion „NG Deutschland“

Im Oberhaus des russischen Parlaments, im Föderationsrat, gibt es natürlich auch Anstrengungen, um die öffentliche Meinung im Land gleichzuschalten. Senator Pawel Tarakanow aus dem Verwaltungsgebiet Tjumen, der sich seine politischen Lorbeeren anfangs in der kremlnahen Jugendbewegung „Die gemeinsam Gehenden“, dann in der populistischen Partei LDPR verdiente und letztlich in der Kremlpartei „Einiges Russland“ Fuß fasste und Karriere machte, unterbreitete dieser Tage den Vorschlag, einen Mechanismus auszuarbeiten, um den Kulturschaffenden und anderen Berühmtheiten, die gegen die militärische Sonderoperation in der Ukraine aufgetreten sind, zu verbieten, Staatsämter zu bekleiden und an Projekten mit staatlicher Beteiligung zu arbeiten. Der 40jährige „Volksvertreter“ nahm dabei kein Blatt vor den Mund und bezeichnete diese Personen unter anderem als „Pseudopazifisten“ und „Verräter“, die „eigene Einnahmen, Ruhm und Anerkennung im Westen“ bräuchten. Die Föderationsratsvorsitzende Valentina Matwijenko konnte dies nicht unkommentiert lassen und wies am 91. Tag der von Präsident Wladimir Putin befohlenen „militärischen Sonderoperation“ Russlands im Nachbarland darauf hin, „dass es keine „Hexenjagd“ geben darf. Dies ist das Schlimmste, wenn so etwas beginnt. … Ich denke, dass die Gesellschaft selbst eine Antwort und eine Reaktion der Gesellschaft auf die Taten einiger Menschen gegeben hat. Dies ist das Wichtigste, dass die Gesellschaft ein solches Verhalten zu einer für das Land schwersten Zeit abgelehnt hat“. Freilich den letzten Worten der Politikerin kann nicht uneingeschränkt beigepflichtet werden.