Am Gesetzentwurf über die Einführung von COVID-Zertifikaten für den Besuch öffentlicher Orte und Einrichtungen sollen Änderungen vorgenommen werden, die erlauben, religiöse Organisationen ohne Dokumente über das Bestehen einer Immunität gegenüber dem Coronavirus oder über einen negativen PCR-Test zu besuchen, meldete die Moskauer Nachrichtenagentur „Interfax“ unter Berufung auf die russische Vizeregierungschefin Tatjana Golikowa.
„In der Gesetzesvorlage, die derzeit eingebracht worden ist, gibt es keine Erläuterung für die Formulierungen bezüglich der PCR-Tests. Gegenwärtig sind im Beschlussentwurf, der durch den zuständigen Ausschuss für die erste Lesung vorgeschlagen wurde, mehrere Positionen formuliert worden. Die erste Position ist: Es werden keinerlei Dokumente für den Besuch von Kulteinrichtungen vorgelegt“, sagte Golikowa am vergangenen Donnerstag im Verlauf der Staatsduma-Plenarsitzung. Außerdem wird vorgeschlagen, ein „obligatorisches Vorhandensein eines PCR-Tests für die Bürger, die eine medizinische Begründung gegen eine Vakzinierung haben, festzulegen“.
Dabei tauchte auf der offiziellen Internetseite der Russischen orthodoxen Kirche eine Mitteilung über neue Regeln für den Besuch des Territoriums des Solowezki-Klosters durch Pilger auf. Ab 1. Januar 2022 wird man laut einem Erlass des Gouverneurs des Verwaltungsgebietes Archangelsk über die Verstärkung der einschränkenden Maßnahmen im Zusammenhang mit dem weiteren Anstieg der Zahl der Erkrankungen an der Coronavirus-Infektion nur bei Vorhandensein eines geltenden QR-Codes oder eines Zeugnisses über eine Vakzinierung, eines Originals des Bescheids über ein negatives PCR-Testergebnis, des Originals eines Bescheids über eine vor nicht mehr als sechs Monaten überstandene Erkrankung oder einen Bescheid über das Bestehen von Gegenindikationen hinsichtlich einer Vakzinierung in das Kloster gelangen können.
Es sei daran erinnert, dass man für eine Ausklammerung der religiösen Einrichtungen aus der Liste der Objekte, die man nur bei Vorhandensein von QR-Codes besuchen kann, in der Staatsduma (dem Unterhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) am 15. Dezember plädiert hatte. „Es wird der Regierung der Russischen Föderation empfohlen, vor Behandlung des ausgewiesenen Gesetzentwurfs in der zweiten Lesung die Fragen der Gewährung einer Möglichkeit für die Bürger zum Besuch von Kulteinrichtungen und -bauten, die durch religiöse Organisationen genutzt werden, ohne die Vorlage eines Dokuments durchzuarbeiten, wenn durch die höchste Amtsperson des jeweiligen Subjekts der Russischen Föderation keine andere Entscheidung getroffen wurde“, zitierte die staatliche Nachrichtenagentur TASS den Wortlaut des Dokuments.
Die eigentliche Gesetzesvorlage, die vorsah, dass die Bürger Austragungsorte von Massenveranstaltungen, Kultureinrichtungen, Objekte der Gastronomie und des Einzelhandels nur mit Vorlage eines QR-Codes über eine Impfung oder eines Dokuments, das bestätigt, das die jeweilige Person eine Coronavirus-Erkrankungen überstanden hat oder medizinische Gründe gegen eine Vakzinierung besitzt, besuchen können, war am 12. November in die Staatsduma eingebracht worden. Der Wortlaut war zwecks Studiums und Billigung in die Regionen gesandt worden. Am 14. Dezember empfahl der Staatsduma-Ausschuss für Gesundheitswesen erwartungsgemäß dem Unterhaus, den in der Bevölkerung umstrittenen Gesetzentwurf über die Einführung von QR-Codes zu unterstützen. Einen Tag zuvor, am 13. Dezember, hatte jedoch der Duma-Vorsitzende Wjatscheslaw Wolodin (Kremlpartei „Einiges Russland“) in seinem Telegram-Kanal mitgeteilt, dass der zweite Gesetzentwurf über die Einführung von QR-Codes über die Vakzinierung gegen COVID-19 – und zwar in öffentlichen Verkehrsmitteln – nicht behandelt werde. „Dies ist das Ergebnis des Dialogs der Staatsduma mit der Regierung auf der Grundlage der Berücksichtigung der Meinungen der Regionen und der Schreiben und Appelle von Bürgern. Dank dem Feedback wurden die Anmerkungen erhört“, schrieb Wjatscheslaw Wolodin.
In der Russischen orthodoxen Kirche hatte man mehrfach unterstrich, dass man nicht plane, QR-Codes für einen Zutritt einzuführen. Dabei gibt es bisher keine einheitliche Meinung im Moskauer Patriarchat bezüglich der Vakzinierungsfrage. Ein Teil der Geistlichen ist sich sicher, dass man sich auf freiwilliger Grundlage gegen das Coronavirus impfen lassen müsse. Ein anderer Teil plädiert nicht nur für eine obligatorische Vakzinierung und die Einführung von QR-Codes für das Aufsuchen öffentlicher Orte, sondern besteht auch auf Bestrafungen für diejenigen, die sich gegen eine rettende Impfung sperren. Anfang November hatte der Vorsitzende der Abteilung für auswärtige Kirchenbeziehungen, Metropolit Hilarion (Alfejew) erklärt, dass Russland so schnell wie möglich zu „strengen Quarantänemaßnahmen gegen die Pandemie mit QR-Codes und Strafen für deren Nichtvorhandensein“ kommen müsse. Und bereits Anfang dieses Monats kritisierte der hochrangige Kirchenvertreter in einer Sendung des staatlichen Fernsehkanals „Rossia 24“ die Impfgegner, die in den Kirchenkreisen aktiv sind. „Außerhalb unseres Vaterlands gibt es solche Kräfte, die daran interessiert sind, dass wir alle allmählich aussterben und man unser Land ergreifen kann. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass sowohl das Virus nicht zufällig zu uns gelangt ist als auch die Regie für diese aktive Kampagne gegen die Vakzinierung, gegen die QR-Codes, gegen jegliche Maßnahmen zum Schutz unserer Bevölkerung, die im Internet und in Telegram-Kanälen geführt wird, auch aus dem Ausland erfolgt“.
Nach diesen Worten des Kirchendiplomaten richtete die Staatsduma-Abgeordnete Maria Butina von der Partei „Einiges Russland“ Appelle an Generalstaatsanwalt Igor Krasnow und den Leiter von Roskomnadzor (Aufsichtsbehörde Russlands für das Fernmeldewesen und Internet – Anmerkung der Redaktion) Andrej Lipow mit der Bitte, die christlich-orthodoxe gesellschaftliche Bewegung „Sorok Sorokow“ („40 mal 40“) „hinsichtlich des Gegenstands einer Verbreitung vorsätzlich falscher und unwissenschaftlicher Informationen, die gegen die Vakzinierung gerichtet sind und Russlands Bürger zu falschen Schlussfolgerungen führen sowie schwere Folgen für die Gesundheit bis hin zu einem letalen Ausgang nach sich ziehen“, zu überprüfen. Andrej Kormuchin, der Anführer der Bewegung, hatte wirklich erklärt, dass er eine obligatorische Vakzinierung für unzulässig halte. Ende November haben Aktivisten der Bewegung eine Unterschriftensammlung für einen Appell den Präsidenten und die Staatsduma „mit der Forderung nach einer Absetzung der Regierung, die das Vertrauen der Bürger Russlands verloren und das Land bis zum Aussterben gebracht hat“ begonnen.
Kormuchin ist nicht der einzige im christlich-orthodoxen Milieu, der sowohl gegen eine Zwangsvakzinierung als auch gegen eine Einführung von QR-Codes auftritt. Ungeachtet dessen, dass sich der Haupt-Anti-Vaxxer, der frühere Schema-Mönch Sergij Romanow, der unter anderem aufgrund gegen die Pandemiebekämpfung gerichteter Äußerungen exkommuniziert wurde, derzeit im Gefängnis befindet und bereits eine Haftstrafe von 3,5 Jahren Freiheitsentzug erhalten hat, lassen die Stimmungen gegen die Impfungen in der Russischen orthodoxen Kirche nicht nach. Am 6. Dezember jammerte der Patriarch von Moskau und Ganz Russland Kirill, dass aufgrund der Pandemie die Anzahl der Kirchenbesucher drastisch zurückgegangen sei, versicherte aber, dass man „sich am wenigsten fürchten müsse“, in den Gotteshäusern angesteckt zu werden. „Erstens sei da die Gnade Gottes. Zweitens wird eine bestimmte Ordnung eingehalten, damit die Kirche kein Ort für eine Verbreitung der Infektion ist“, unterstrich das Oberhaupt der Russischen orthodoxen Kirche.
Außerdem bezeichnete Patriarch Kirill am Mittwoch die Vergleiche eines QR-Codes über die Vakzinierung mit dem Erlangen eines „Malzeichens des Antichristen“ als sündhafte. „Unangebrachte und sündige sind die Urteile über die Vakzinierung oder über die Vergabe eines QR-Codes wie angeblich ein Malzeichen des Antichristen im Zusammenhang mit ihr. Eine Sünde ist auch das Säen von Panik“, erklärte das Kirchenoberhaupt bei einer Versammlung der Diözese Moskaus. Solche Urteile würden die Menschen vom Begreifen dessen wegführen, dass „ein Sich-unterwerfen gegenüber dem Antichristen in der Aufgabe der Treue gegenüber dem Herrn in seinen Handlungen und Worten besteht. Und das berüchtigte Malzeichen sei nur ein äußeres Zeichen, ein sichtbarer Ausdruck einer vollzogenen Apostasie, vor der sich jeder treue Christ in der Liebe zu Christus fest bewahren wird“.