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Russlands Strafgefangenen nimmt man das Zeitgefühl


In Russlands Straflagern hat man begonnen, von den Häftlingen die Armbanduhren einzuziehen, die teuren bzw. wertvollen Gegenständen gleichgestellt worden sind. Die Gefängnisvertreter verweisen auf eine Aktualisierung der Regeln für die innere Ordnung. Die Logik des Verbots besteht darin, dass die Inhaftierten sie nicht beim Kartenspielen als Einsatz vorbringen oder den Zeitplan für die Wachen vor einem Fluchtversuch berechnen können. Bei der Kritik der erfundenen Ursachen erinnerte Menschenrechtler die „NG“ daran, dass sie lange vom Föderalen Dienst für den Strafvollzug das Tragen von Uhren selbst in den U-Haftanstalten erwirkt hätten. Im Endergebnis ist aber das Recht auf das Wissen um die genaue Uhrzeit im gesamten System des Strafvollzugs aufgehoben worden.

Armbanduhren waren wirklich nur in den U-Haftanstalten nicht erlaubt gewesen. Aber die Versuche der Menschenrechtler, eine Aufhebung des Verbots zu erreichen, haben dazu geführt, dass in den Regeln für die innere Ordnung solch ein Verweis auftauchte: „Den zu einer Freiheitsstrafe Verurteilten ist verboten, bei sich zu haben: Geld, Wertgegenstände, Telefone und Uhren“. Bereits seit Ende Sommer hatte man in einer Reihe von Haftanstalten begonnen, sie den Verurteilten abzunehmen. Dabei finden die Leitungen dafür unterschiedliche Anlässe. Irgendwo befürchtet man beispielsweise, dass man die Uhren auseinandernehmen und Einzelteile verschlucken können, um sich so einen „Urlaub“ in der Krankenstation zu organisieren.

Und in Straflagern des Swerdlowsker Verwaltungsgebietes ist man laut Informationen der „NG“ der Meinung, dass die Häftlinge einen illegalen Handel mit Uhren organisieren oder sie als Einsätze bei Glücksspielen verwenden könnten. Den Einwänden, dass dies sicherlich nur real teure Uhren betreffe, schenkt man da kein Gehör. Die am meisten verbreitete Erklärung ist aber solch eine: Der Strafgefangene könne mit Hilfe einer Uhr die Zeit des Wechsels der Wachen und den Arbeitszeitplan der Posten fixieren und ergo sich besser auf eine Flucht vorbereiten. Augenscheinlich sind entsprechend diesen gleichen Erwägungen in das Verzeichnis der verbotenen Gegenstände auch überraschende Sachen wie beispielsweise Filme und Literatur zum Diensthundewesen, für Nahkämpfe, zur Ausbildung für einen Einsatz unter alpinen Bedingungen und zum Parkour (die Kunst der effizienten Fortbewegung – Anmerkung der Redaktion) geraten.

Wie Ilja Schablinskij, Mitglied der Moskauer Helsinki-Gruppe, der „NG“ sagte, seien auch die Grundlagen, denen entsprechend den Häftlingen in den U-Haftanstalten keine Uhren gegeben wurden, völlig an den Haaren herbeigezogen gewesen: „Ein Mensch verliert keine Uhr, wenn es sich in der Zelle nicht an Glücksspielen beteiligt, was im Übrigen auch verboten ist. Die überwältigende Mehrheit spielt auch nicht. Man nimmt die Uhren ab, um, wie ich denke, dem Menschen die Empfindung einer Hilflosigkeit und Angreifbarkeit zu verstärken, wenn er sich nicht hinsichtlich der Zeit orientieren kann“. Schablinskij tat sich schwer zu sagen, ob es noch in irgendwelchen Ländern solche eine Praxis gebe, unterstrich aber, dass sich die russischen Gerichte, die die Legitimität derartiger Verbote bestätigen würden, „schon lange in ein Hilfsinstrument der Repressalien verwandelte. Sie verteidigen bereits keinerlei Rechte eines Menschen“. Und während es der Moskauer Helsinki-Gruppe früher gelungen war, einen Ausschluss der am meisten schikanierenden Normen aus den Regeln für die innere Ordnung zu erwirken, so herrsche nach seinen Worten jetzt „bereits eine völlige Finsternis“.

Die Anwältin des Moskauer Anwaltskollegiums Jekaterina Tjutjunnikowa stimmt zu, dass „es unmöglich ist, logische Erklärungen für das Verbot von Uhren zu geben“. Die von den Gefängnisbeamten angeführten Argumente seien nach ihrer Auffassung haltlos. Tatsächlich sei dies, ist sie überzeugt, neben einer Einschränkung der Menschenrechte auch noch eine legale Form, um eine Person zur Verantwortung zu ziehen – aufgrund einer Verspätung, eines Nichterscheinens für eine Überprüfung zur festgesetzten Zeit, das heißt, um psychologischen Druck auf ihn auszuüben. Nach Aussagen von Tjutjunnikowa müsse es, wenn Uhren ins Verzeichnis der verbotenen Gegenstände aufgenommen werden, eine Alternative geben, die dem Gesetz und den Regeln für die innere Ordnung entspricht und nicht die Rechte beeinträchtigt.

Iwan Melnikow, der Vizepräsident der russischen Filiale des internationalen Komitees „Verteidigung der Menschenrechte“, erinnerte die „NG“ daran, dass es für die Menschen in den Zellen schwer sei, sich hinsichtlich der Zeit zu orientieren. Aufgrund der schmalen Fenster sei unklar, wie spät es sei. Nach seinen Worten werde die recht schmerzhafte Frage zu den Uhren bereits mehrere Jahre diskutiert. Aber als Antwort auf die zahlreichen Bitten kommen jedes Mal aus dem Föderalen Dienst für den Strafvollzug nichtssagende Schreiben. Melnikow unterstrich, dass bei der Vorbereitung der neuen Regeln für die innere Ordnung durch das Justizministerium die Menschenrechtler ein weiteres Mal gebeten hätten, in U-Haftanstalten Uhren zu erlauben. Möge man beispielsweise gleichartige und die billigsten Modelle im Gefängnis-Laden oder in einem akkreditierten Internet-Shop erwerben. Letzten Endes könnte man auch jede Zelle einfach mit einer Wanduhr ausstatten. Dieses Ringen hat jedoch letztlich entsprechend dem Prinzip „man wollte es so gut wie möglich, doch herausgekommen ist wie stets das Gleiche“ dazu geführt, dass das Verbot außer auf U-Haftanstalten auch auf Straflager angewandt wurde. Dabei bestätigte Melnikow, dass deren Insassen ständig Strafen wegen jeglichen Zuspätkommens und Verspätungen bei der Umsetzung irgendwelcher Anweisungen erhalten würden. Mehr noch, die Inhaftierten, die beispielsweise zur berüchtigten Kategorie der „zu einer Flucht neigenden“ gehören, müssen überhaupt alle zwei Stunden in einem speziellen Journal unterschreiben. Und wenn eine Person krank ist, so muss sie oft Präparate strikt laut einem Zeitplan einnehmen.

Übrigens, das Verbot von Uhren in U-Haftanstalten ist mehrfach vor Gericht angefochten worden, darunter vor nicht allzu langer Zeit auch im Obersten Gericht. Und dieses hatte sich auf die Seite der Gefängnisbeamten gestellt, die darauf beharrt hatten, dass die strenge Maßnahme erlauben werde, „Menschen und Eigentum zu bewahren“. Was aber die medizinische Hilfe angehe, so hatte der Menschenrechtler tatsächlich erläutert: In vielen U-Haftanstalten, besonders dort, wo es eine ernsthafte Überbelegung gebe, würden Menschen mehrere Stunden an den Zellentüren klopfen, um einen Arzt zu bekommen. Und natürlich gebe es in vielen Zellen nicht nur kein Fernsehgerät, sondern auch keine Rundfunkempfänger.

Insgesamt aber ist ungeachtet dessen, dass in den aktualisierten Regeln für die innere Ordnung die Liste der erlaubten Gegenstände erweitert wurde, „tatsächlich die Zahl der zugänglichen weniger geworden, weil es zum Beispiel keine Erläuterungen zu den Sachen gibt, die weder unter den zulässigen noch unter den verbotenen aufgezählt wurden. Daher ergeben sich auch eklatante Situationen: Zum Beispiel heißt es, dass Gemüse erlaubt sei, aber was für welches – ist nicht ausgewiesen worden. Und daher lassen die Gefängnisbeamten auch mal keine Möhren noch Gurken durch. Und jüngst haben Menschenrechtler, die die Moskauer U-Haftanstalt „Matrosenstille“ überprüften, erfahren, dass man dort alle Brotbretter eingezogen hätte, da sie nicht in der Liste der erlaubten Gegenstände vorkamen. Wenn man sich aber auf den Tischen eine Mahlzeit zubereiten will, kann man dies als eine Beschädigung von Staatseigentum werten, wofür Strafen oder das Absitzen in einer Strafzelle erfolgen“, erinnerte Melnikow.