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Russlands technologische Souveränität – ein Bluff?


Die Soziologie belegt: Fast ein Viertel der Bürger Russlands glaubt an eine vollständige Importsubstitution in den nächsten zwei Jahren, und lediglich 14 Prozent der Bürger halten sie für unmöglich. Die Konzeption für eine technologische Souveränität (in ihrer Extremform mit Russland als Insel einer technologischen Souveränität) beginnt allmählich, die Massen zu ergreifen. Und nicht in letzter Instanz dank einer intensiven propagandistischen Unterstützung. „Ein Kämpfer auf dem diskursiven Feld der technologischen Souveränität“, „die besten Freunde der Souveränität“, „ein wissenschaftlich-technologischer Durchbruch zur Souveränität“ (in einigen Varianten gar ein „doppelköpfiger Durchbruch“)…

Jedoch schlagen die Experten, die sich mit der ideologischen Abschirmung dieser Konzeption befassen, augenscheinlich aufgrund des Gefühls einer Unschicklichkeit wegen der semantischen Dissonanz – mal ein Durchbruch und eine Souveränität, ein anderes Mal ein Durchbruch zur Souveränität oder gar ein souveräner Durchbruch – solch eine Variante vor: „Die Souveränität als ein Konzept setzt den „wissenschaftlich-technischen Durchbruch“ fort und wird zu dessen Ziel“. Allerdings verwirrt dies nur das klare Begreifen dessen, dass technologische Souveränität kein Zustand, sondern ein Prozess ist.

Alle Experten stellen Überlegungen über die Probleme – wirklich realer – auf dem Weg zum Erreichen einer wissenschaftlich-technologischen Souveränität an, aber keiner erörtert die Risiken des sozial-ökonomischen und politischen Lebens in der Gesellschaft, die diesen Zustand – die technologische Souveränität – erreichte. Derweil kann man schon jetzt einige Indikatoren untersuchen.

So hatte Dmitrij Rogosin kurze Zeit vor seiner Ablösung als Leiter der Korporation „Roskosmos“ erklärt, dass sozusagen die technologische „Verwegenheit“ einzelner Staaten während der elektronischen Megakonflikte der Kosmos-Mächte zu deren einmaligem Vorteil werde…

Das heißt, ein gewisses Element von technologischer „Verwegenheit“ wird uns nur zum Nutzen gereichen – den Bewohnern der Insel einer technologischen Souveränität. Interessant ist, dass der Ex-Vizepremier der Regierung der Russischen Föderation, Jurij Borissow, der Rogosin als „Roskosmos“-Chef ablöste, die Hoffnung bekundet hat, dass China Russland in der entstandenen Situation in diesem Bereich helfen werde.

Dass China oder sonst noch wer helfen wird, sich einen Konkurrenten im IT-Bereich großzuziehen – an dies ist schwerlich zu glauben. Das Maximum, womit man rechnen kann, ist: einfachere Produktionen und technologische Ketten werden zu uns aus den befreundeten Ländern umziehen, hauptsächlich aus den asiatischen Ländern (zum Beispiel Montage- und Verpackungsbetriebe).

Ja, wir steigen aus dem Projekt der Internationalen Raumstation (ISS) aus. Wir werden scheinbar eine eigene bauen, die Russische orbitale Dienststation (ROSS). Billiger, einfacher, eine nicht ständig besetzte, sondern eine aufzusuchende (wahrscheinlich durch eine Crew aus zwei bis vier Personen, ein, zwei Expeditionen im Jahr und mit einer Dauer von rund zwei Monaten) sowie auf einer strahlungsbelasteten Erdumlaufbahn.

Plötzlich haben wir erfahren, dass das von russischen Herstellern produzierte nichtgeweißte Schreibpapier im Unterschied zum geweißten für die Augen des Menschen nützlich sei. Dies erklärte zumindest Russlands stellvertretende Industrie- und Handelsminister Oleg Botscharow: „Wir haben herausgefunden, dass reflektierendes, eben solch geweißtes Schreibpapier der Gesundheit Schaden zufügt. Es stellt sich heraus, dass von der Faktur her stärkeres Papier für die Augen des Menschen nützlich ist“.

Und dies kann man als hauptsächlichen Pathos der Konzeption von einer technologischen Souveränität ansehen – ein Versimpeln in allen Bereichen. Übrigens, nicht nur in den technologischen.

Bei einem Treffen mit Gewinnern der vierten Saison des Wettbewerbs „Russlands Leader“ im Juli meldete der russische Präsident Wladimir Putin die Zweifel an, dass man die Politologie als eine Wissenschaft bezeichnen könne. „In der Politologie ist irgendwie schwer eine Forschungsmethode, die nur ihr wesenseigen ist, zu finden“, betonte das Staatsoberhaupt.

Ja, und der Sondervertreter des Präsidenten der Russischen Föderation für Fragen der digitalen und technologischen Entwicklung, Dmitrij Peskow, ist der Auffassung, dass „der russische Mensch am besten unter Druck arbeitet“. Allerdings ist auch dies keine Neuheit. An genau solch eine Logik hält sich auch eine der Personen aus dem Gogel-Roman „Die toten Seelen“: „…der Russe sei nur so lange ordentlich, geschickt und kein Faulenzer, als er ein Hemd und einen Bauernmantel trage; sobald er aber einen deutschen Rock anziehe, werde er sofort plump, ungeschickt und ein Faulenzer“ (aus Band 2, Kapital 4 des Romans – Anmerkung der Redaktion)