Entsprechend den bisherigen Ergebnissen dieses Jahres prognostiziert das Ministerium für Wirtschaftsentwicklung (MWE) einen Rückgang der russischen Wirtschaft um fast 5 Prozent. Obgleich das Ministerium plant, im August diese Prognose zu präzisieren. Unter Berücksichtigung des aktuellen Devisenkurses wird der Umfang des russischen Bruttoinlandsproduktes (BIP) rund 1,5 Billionen US-Dollar ausmachen, während im Gesetz über den Haushalt des Jahres 2020 etwa umgerechnet 1,7 Billionen US-Dollar ausgewiesen worden sind. Doch auch ohne die Corona-Pandemie würde die russische Wirtschaft im Jahr 2020 eine trostlose Bilanz ziehen. Der Umfang des BIP der Russischen Föderation würde in US-Dollar ausgewiesen etwa auf dem gleichen Stand bleiben, wie es im Jahr 2010 der Fall war. Die wirtschaftliche Stagnation dauerte rund zehn Jahre an. Und jetzt wird sich die Situation – bereits aufgrund der Pandemie – weiter verschlechtern.
Im ersten Halbjahr ist das BIP der Russischen Föderation laut Schätzung des MWE um 4,2 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Jahres 2019 zurückgegangen. Insgesamt wird der Rückgang in diesem Jahr 4,8 Prozent ausmachen.
Doch, wie am Mittwoch der Minister für Wirtschaftsentwicklung Maxim Reschetnikow sagte, werde im August diese Prognose präzisiert. Denn im Land werde ein gesamtnationaler Plan zur Wiederherstellung der Wirtschaft realisiert, dessen Effekt bereits spürbar werden könne.
„Der gesamtnationale Plan sieht vor, dass wir bis zum vierten Quartal des Jahres 2021 den Vorkrisenstand der BIP-Quartalswerte erreichen müssten“, fügte der Chef des Ministeriums für Wirtschaftsentwicklung hinzu.
Unter Berücksichtigung der verkündeten Prognose und des aktuellen Devisenkurses kann man erwarten, dass das BIP der Russischen Föderation entsprechend den Jahresergeben umgerechnet rund 1,5 Billionen US-Dollar ausmachen wird.
Die Parameter des Haushalts hatten vorgesehen, dass das BIP der Russischen Föderation im Jahr 2020 umgerechnet fast 1,7 Billionen US-Dollar erreichen wird. Der Internationale Währungsfonds (IWF) sagt jetzt voraus, dass entsprechend der Jahresbilanz der Umfang des russischen BIP mehr als 1,6 Billionen US-Dollar ausmachen werde.
Auf jeden Fall wird jedoch die Bilanz für dieses Jahr, welche Prognose man auch immer nehmen mag, eine trostlose sein. Den IWF-Daten nach zu urteilen schwankt das BIP Russlands schon mehrere Jahre, seit 2017 im Bereich der 1,6-Billionen-Dollar-Marke. Insgesamt hat es im vergangenen Jahrzehnt sowohl Höhenflüge (beinahe bis zu 2,3 Billionen Dollar), als auch Einbrüche (ungefähr bis zu 1,3 Billionen Dollar) gegeben. Und jetzt dümpelt die Wirtschaft etwa auf dem Stand herum, der im Jahr 2010 fixiert wurde, als das Volumen des BIP rund 1,6 Billionen Dollar ausmachte.
Anders gesagt: Wenn man das BIP – ausgedrückt in US-Dollar – entsprechend den Ergebnissen der vergangenen zehn Jahre beurteilt, so stellt sich heraus, dass sich das Land in einer mehrjährigen Wirtschaftsstagnation befunden hat. Und jetzt sind zu dieser Stagnation die negativen Folgen der Corona-Pandemie und der Quarantäne-Beschränkungen hinzugekommen.
„Dass das nominelle BIP Russlands, ausgewiesen in US-Dollar, in diesem Zeitraum nicht gewachsen ist, ist ein Ergebnis mehrere Zyklen der Rubel-Abwertung in dieser Zeit. Die Abwertung erlaubt, die Wettbewerbsfähigkeit der einheimischen Hersteller (hinsichtlich der Preise – Anmerkung der Redaktion) und die Zahlungsbilanz wiederherzustellen, doch sie verschlechtert die Qualität des Wachstums. Daher gereicht eine häufige Nutzung dieses Instruments der Wirtschaft nicht zum Nutzen. Ein zweiter Faktor war das geringe durchschnittliche Jahrestempo des Wachstums des BIP, das in den letzten zehn Jahren ein Prozent nicht überstiegen hatte“, teilte der „NG“ Alexander Schirow, stellvertretender Direktor des Instituts für volkswirtschaftliche Prognostizierung der Russischen Akademie der Wissenschaften, mit.
„Natürlich, das Ergebnis ist ein schwaches. Doch man muss die Wirkung der Abwertung von 2014 berücksichtigen. Das Wachsen des BIP behinderten die geringe Monetisierung der Wirtschaft, das Ausbleiben von Investitionen, das niedrige Niveau der Konsumtion und die überhöhten Zinssätze“, erläuterte der Hauptinvestitionsstratege der Firma „BKS Broker“, Maxim Scheyin.
Derweil, wie der Analytiker des Unternehmens „Freedom Finance“ Alexander Osin anmerkte, sei solch eine Situation nicht nur für Russland charakteristisch. Unter anderem könnten sich auch die Länder der Euro-Zone keines signifikanten Anstiegs des in Dollar ausgewiesenen BIP in den vergangenen rund zehn Jahren rühmen.
Dynamik des BIP der Russischen Föderation, in Mrd. US-Dollar. Quelle: Internationaler Währungsfonds |
Die Veränderungen des in US-Dollar ausgewiesenen BIP hängen direkt nicht nur vom Wirtschaftswachstum oder -rückgang, sondern auch vom Kurs der nationalen Währung ab. Gerade deshalb empfehlen Experten, für einen Vergleich solche Parameter auszuwählen, die den Einfluss der Kursschwankungen ausschließen.
Wenn man die Berechnungen hinsichtlich der Kaufkraftparität (KKP) nimmt, so hat sich in diesem Fall das russische BIP nach 2010 um fast 40 Prozent in internationalen Dollar vergrößert. Findet aber solch ein abstraktes Wachstum irgendeine reale Verwirklichung in der russischen Wirtschaft?
„Jeder Parameter ist auf seine Art und Weise unvollkommen. Alle haben ihre positiven und negativen Seiten. Jedoch erscheint ein in Dollar ausgewiesenes BIP in den aktuellen Preisen als ein objektiverer Wert als das BIP entsprechend der KKP, da er zeigt, wie stark der Rubel in den letzten zehn Jahren schwächer wurde“, meint Natalia Miltschakowa, stellvertretende Leiterin des Zentrums „Alpari“. „Das entsprechend der Kaufkraftparität berechnete BIP reflektiert fast gar nicht das reale Wirtschaftswachstum“.
„Der Wert des BIP entsprechend der KKP erlaubt, die Preisdifferenzierung zwischen den Ländern zu berücksichtigen. Hier wird aber der Pro-Kopf-Wert des BIP anschaulicher sein. Und der demonstriert, dass sich die Kluft zwischen Russland und den entwickelten Ländern in den letzten zehn Jahren nicht verringert. Und China holt uns gegenüber rasant auf“, präzisierte Alexander Schirow gegenüber der „NG“.
Einen Tag zuvor hatte Präsident Wladimir Putin einen neuen, den „Juli-“ Erlass über die nationalen Ziele für die Entwicklung Russlands bis zum Jahr 2030 unterschrieben. Wie bereits viele Experten anmerkten, ist aus der Liste der nationalen Ziele Russlands Beitritt zum Klub der Top-5 der größten Volkswirtschaften der Welt „herausgefallen“. Geblieben ist dort aber solch ein Orientierungspunkt wie die Gewährleistung eines Wachstumstempos für das BIP über dem des durchschnittlichen in der Welt bei Wahrung der makroökonomischen Stabilität.
Allem nach zu urteilen ist der Zeitraum nun um zusätzliche sechs Jahre verlängert worden, von 2024 bis 2030. Diese Ausrichtung wurde zu einem Unterpunkt für das Ziel mit der Bezeichnung „Würdige, effektive Arbeit und erfolgreiches Unternehmertum“.
„Ein Tempo des Wirtschaftswachstums über dem internationalen Durchschnitt in den nächsten zehn Jahren kann für Russland ein charakteristisches sein, dafür ist es aber erforderlich, dass sich das Wachstum entweder in China oder in den entwickelten Ländern verlangsamt. Und auf jeden Fall ist dies eine Frage nicht der allernächsten Zukunft“, meint Natalia Miltschakowa. „Die Chancen, ein Wachstumstempo über dem internationalen Durchschnitt zu erreichen, sind große, doch man muss die Geld- und Kreditpolitik ändern“, präzisierte Maxim Scheyin.
„Was das Erreichen eines Tempos über dem internationalen Durchschnitt angeht, so wird alles von den Parametern der Wirtschaftspolitik und der Dynamik der Inlandsnachfrage abhängen“, erläuterte Alexander Schirow. „Im Erlass des Präsidenten gibt es das Target hinsichtlich der Zunahme der Investitionen um 70 Prozent bis zum Jahr 2030. Dies bedeutet ein Wachstum von durchschnittlich 5,4 Prozent im Jahr.“
Nach Aussagen des Wirtschaftsexperten „gibt es einige Zweifel, dass bei solch einer Zunahme der Investitionen, aber auch unter den Bedingungen der Haushaltskonsolidierung die Aufgabe zur Erreichung des Tempos für das Wirtschaftswachstum gelöst wird“.