Wenn Moskau einen nuklearen Schlag gegen das Office des Präsidenten in der Bankowaja-Straße in Kiew führe, müsse die Welt als eine Antwort gegen russische Zentren für die Annahme von Entscheidungen Schläge führen. Dies erklärte der ukrainische Staatschef Wladimir Selenskij in einem Interview. Derweil hat man in Moskau gewarnt: Die Kiewer Offiziellen würden eine Provokation unter Einsatz einer „schmutzigen“ Bombe vorbereiten, um die Russische Föderation in den Augen ihrer Anhänger anzuschwärzen. Experten sind der Auffassung, dass es überhaupt um keinen Einsatz von Kernwaffen jeglichen Typs durch Russland hinsichtlich jeglicher ukrainischer Objekte gehe.
In einem am Wochenende ausgestrahlten Interview der kanadischen TV-Sender CTV und CBC erläuterte der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij, was die Welt tun müsse, wenn Russland einen Nuklearschlag gegen die Ukraine führe. „Wie muss die Welt reagieren? Es ist nicht wichtig, ob die Ukraine ein Mitgliedsland der NATO ist oder nicht. Dies erfolgt heute auf dem europäischen Kontinent. Es ist keinem erlaubt worden einfach wie ein Terrorist zu erpressen. Wenn die Message erklingt, dass es einen Schlag gegen ein Zentrum für die Annahme von Entscheidungen geben wird, so muss die Antwort der Welt solch eine sein: Schau einmal, wenn du gegen die Bankowaja (-Straße) einen Schlag führst, so wird es einen Schlag dort geben, wo du dich befindest“, sagte Selenskij.
Es muss betont werden, dass eine Reihe russischer Experten neben dem Beschuss von ukrainischen Infrastruktur- und militärischen Objekten auch aufgerufen haben, Zentren für das Treffen von Entscheidungen in Kiew unter Beschuss zu nehmen. Obgleich sie auch nur Raketen und Drohnen erwähnten, die durch die Militärs der Russischen Föderation für zielgerichtete Schläge gegen ukrainische Objekte der kritischen Infrastruktur seit dem 10. Oktober eingesetzt werden. Die Möglichkeit eines Einsatzes von Kernwaffen in diesem Zusammenhang sei aber nicht erörtert worden.
Wie das Mitglied des Verteidigungsausschusses der Staatsduma Andrej Guruljew (Kremlpartei „Einiges Russland“) betonte, würden Vertreter des Westens in der letzten Zeit immer häufiger erklären, dass Russland Kernwaffen gegen die Ukraine einsetzen könne. „Ich versichere Ihnen aber, Russland ist daran ganz und gar nicht interessiert und es wird darüber überhaupt nicht gesprochen. Für uns hat es keinen Sinn, Kernwaffen gegen die Ukraine einzusetzen – jeglichen Typs und gegen jegliche Objekte. Wir führen heute eine Operation zur Vernichtung kritisch wichtiger Objekte durch. Und wir tun dies durchaus erfolgreich, wobei wir nur konventionelle Waffen nutzen, die durchaus ausreichen“, unterstrich Guruljew in einem Gespräch mit der „NG“. Zur gleichen sei eine Variante mit einer Provokation durchaus möglich, betonte der „NG“-Gesprächspartner.
Die russische staatliche Nachrichtenagentur RIA Novosti meldete gleichfalls unter Berufung auf angeblich Vertrauen verdienende Quellen, dass die Kiewer Führung auf dem Territorium ihres Landes eine Provokation vorbereite, die mit dem Zünden einer sogenannten „schmutzigen“ Bombe oder eines nuklearen Sprengsatzes geringer Stärke zusammenhänge. Wobei sich die Arbeiten zu deren Herstellung – unter Beteiligung des Östlichen Bergbau- und Aufbereitungskombinats in der Stadt Scholtyje Wody im Verwaltungsgebiet Dnepropetrowsk und des Kiewer Instituts für Nuklearforschung – bereits in einem abschließenden Stadium befinden würden. Gleichzeitig damit würden im Auftrag von Wladimir Selenskij Mitarbeiter des Office des Präsidenten der Ukraine Kontakte hinter den Kulissen mit Vertretern Großbritanniens zur Frage nach der möglichen Übergabe von Kernwaffen-Komponenten an Kiew haben. Im Falle einer erfolgreichen Realisierung solch einer Provokation würden ihre Organisatoren damit rechnen, Moskau in den Augen seiner entscheidenden Verbündeten zu diskreditieren und die antirussische Rhetorik zu verstärken, aber auch den Versuch unternehmen, die Frage nach einer Aberkennung des Status eines Ständigen Mitglieds des UNO-Sicherheitsrates in Bezug auf Russland aufzuwerfen, unterstrich man in der Staatsagentur, wobei keine eindeutigen Beweise vorgelegt wurden.
Allerdings schließt man scheinbar in Kiew auch alternative Varianten für eine Entwicklung der Ereignisse nicht aus. So hat der ukrainische Präsident ebenfalls präzisiert, dass Kiew zustimmen könne, mit Moskau Verhandlungen zu führen, aber zu seinen Bedingungen. „Sie (die Militärs der Russischen Föderation – „NG“) müssen unser Territorium verlassen und uns unseren Boden in den international anerkannten Grenzen von 1991 zurückgeben. Und dann werden wir sagen, in was für einem Format und mit wem wir zu sprechen bereit sind“, erklärte Selenskij. Wie er erinnerte, hatte man nach der Abhaltung der Referenda über einen Beitritt der DVR und LVR, aber auch der Verwaltungsgebiete Saporoschje und Cherson vom 23. bis 27. September in Kiew die Durchführung von Verhandlungen mit Moskau abgelehnt. Aus diesem Anlass hatte das ukrainische Staatsoberhaupt im Weiteren eine Anordnung unterzeichnet, durch die er faktisch sich selbst die Möglichkeit für einen Dialog mit der russischen Seite untersagte.
Dennoch ist seine letzte Äußerung augenscheinlich auch dazu berufen, die Andeutung zu machen, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Wiederaufnahme von Verhandlungen mit Russland nicht endgültig ausgeschlossen sei. Es ist offensichtlich, dass die Kiewer Führung zu derartigen Vorbehalten auch die seit dem 10. Oktober erfolgenden Schläge der Russischen Föderation gegen ukrainische Objekte der kritischen Infrastruktur veranlassten.
Wie in einem jüngsten Bericht des US-amerikanischen Think Tanks Institute for the Study of War (ISW) konstatiert wurde, sind durch die russischen Angriffe in den letzten Wochen etwa 30 Prozent der Energie-Infrastruktur der Ukraine beschädigt oder zerstört worden, was zu Stromabschaltungen im ganzen Land und nicht nur entlang der Frontlinie führte. Die Stromabschaltungen würden in Verbindung mit der kalten Witterung und den beschädigten zivilen Gebäuden die Lage der Bevölkerung der Ukraine im anstehenden Winter wahrscheinlich erschweren. All dies würde jedoch die Situation auf dem Schlachtfeld nicht verändern, wiesen die Analytiker aus dem ISW hin.
Freilich, zur gleichen Zeit veröffentlichten ukrainische Medien auch einen Kommentar des österreichischen Militärexperten Tom Cooper, in dem er bestätigte, dass die „Raketen-Offensive Surovikins“ – des neuen Befehlshabers der Vereinigten Truppen-Gruppierung der Russischen Föderation in der Zone für die Durchführung der militärischen Sonderoperation – die weitere Entwicklung der Ereignisse auf dem Schlachtfeld beeinflusse. Da sie dazu berufen sei, der einheimischen Bevölkerung Angst zu machen und die Aufmerksamkeit der Offiziellen und der Armee der Ukraine unter anderem auf den Schutz des Luftraumes zu lenken, um das Vorrücken der ukrainischen Streitkräfte an der Front auszubremsen, was ein bestimmtes Ergebnis bringe, resümierte Cooper.
Der österreichische Militärexperte wird jedoch durch die angebliche „schmutzige“ Bombe schnell in den Hintergrund gedrängt. Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu setzte am Mittwoch seine Kampagne zur Diskreditierung der Ukraine fort, indem er mit Amtskollegen aus China und Indien zu diesem Thema telefonierte. Aus Delhi und Peking war jedoch nichts darüber zu hören, ob man den russischen Anschuldigungen hinsichtlich angeblicher Kiewer Pläne, selbst Kernwaffen einzusetzen, Glauben schenkt.
Bereits am Montag hatten die USA, Großbritannien und Frankreich die Behauptungen Moskaus in Sachen „schmutziger Bombe“ zurückgewiesen. Und Russland sieht sich dem Verdacht ausgesetzt, selbst den Einsatz einer „schmutzigen Bombe“ in der Ukraine vorzubereiten.
Das Schüren von Ängsten geht derweil vor allem in den russischen Staatsmedien weiter. In der Bevölkerung Russlands wird dies nicht nur einfach zur Kenntnis genommen. Man glaubt dem vielfach auch, zumal aus vielen Städten bereits gemeldet wird, dass Luftschutzräume überprüft werden und im Bedarfsfall instandgesetzt werden.