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Selenskij ist bereit, untertage Militärtechnik instand setzen zu lassen


Moskau und Kiew setzen die Modernisierung ihrer Verteidigungs- und Logistiksysteme ausgehend von aktuellen Bedürfnissen der Front vor. Und es sind keinerlei Anzeichen für eine Vorbereitung zu Friedensverhandlungen zu beobachten. Die Konfliktseiten unternehmen lediglich Schritte, die auf eine Fortsetzung des Führens langfristiger Kampfhandlungen ausgerichtet sind, und akkumulieren strategische Reserven, darunter an personellen. Im Unterschied zu Russland setzt die Ukraine nach wie vor auf eine großangelegte westliche Hilfe und plant unpopuläre Maßnahmen für eine Mobilmachung der Bevölkerung zwecks Teilnahme an den Kampfhandlungen.

Der Präsident der Ukraine, Wladimir Selenskij, trat dieser Tage wieder bei einem TV-Marathon auf und erklärte, dass Kiew entlang der gesamten Gefechtslinie mit einer Länge von über 1200 Kilometern eine Verteidigung aus mehreren Linien schaffe. Nach seinen Einschätzungen bereite Russland die Mobilmachung von 300.000 Reservisten vor. Freilich hatte man diese These im Kreml bereits früher erwartungsgemäß dementiert. Nach Einschätzungen Kiews würden die Streitkräfte der Russischen Föderation angeblich Anfang Somme eine neue Offensive beginnen. Und die Streitkräfte der Ukraine planen, derartige Handlungen zum Scheitern zu bringen. Um dies zu tun, benötige die Ukraine Waffen, an denen es offenkundig mangelt.

Selenskij bestätigte das Bestehen von Problemen im Zusammenhang mit einer Mobilmachung der Bevölkerung sowie dem Mangel an Munition, Luftabwehrmitteln usw. Er umriss auch einige wichtige strategische Aufgaben für die Ukraine im militärischen Bereich, über die früher auf offizielle Ebene nicht gesprochen wurde. Erstens haben sich Kiew und der Westen scheinbar über eine neue Lösung der Frage geeinigt, die mit der Ausbildung der im Rahmen der Mobilmachung einzuziehenden Personen zwecks Auffüllung der Streitkräfte der Ukraine zusammenhängt. Während sie früher vor allem im Ausland erfolgte, so werden jetzt — den Worten von Selenskij nach zu urteilen — im Land Truppenübungsplätze für die Schulung von Reservisten an NATO-Gefechtstechnik durch westliche Ausbilder geschaffen. „Ich denke, dass die Truppen, die unsere Jungs hier ausbilden werden … Dies ist weitaus schneller als Brigaden dorthin zu entsenden. Und sie müssen ebenfalls hier Gefechtserfahrungen erhalten, mit dieser Technik. Denn es ist eine Geschichte, wenn Sie mit dieser Technik in einem friedlichen Staat zu tun haben, eine andere – auf dem Gefechtsfeld“, erklärte das Staatsoberhaupt.

Zweitens wird geplant, nicht im Ausland, sondern auf dem Territorium der Ukraine mit Unterstützung der Verbündeten den Prozess der Instandsetzung und Wartung von Gefechtstechnik und Waffen der Allianz, die in Gefechten Beschädigungen erhielten, zu organisieren. Selenskij sagte diesbezüglich, dass mehrere Exemplare der Gefechtstechnik und Waffen der NATO, die zur Reparatur entsandt werden, „nach drei Monaten“ zurückkommen würden. Man müsse den Prozess beschleunigen, meint er. Nach Aussagen des Staatsoberhauptes müsse man „Reparatur-Hubs errichten, um die gesamte westliche Technik in der Ukraine, in einzelnen Regionen untertage instand zu setzen. Dies funktioniert, einige Sachen machen wir sogar schon und sehen, wie schneller dies ist“. Selenskij hatte augenscheinlich die Organisierung der Arbeit von Rüstungsbetrieben mit einer Beteiligung des deutschen Konzerns Rheinmetall AG und des türkischen Drohen-Bauers, des Unternehmens Baykar Makina im Blick.

Dritten spürte Kiew Probleme mit der personellen Auffüllung der Streitkräfte der Ukraine und unterstützte erstmals offen die Initiative von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bezüglich einer Entsendung ausländischer Truppen an die Grenze der Ukraine. „Wir sind für solch eine Initiative“, betonte der Präsident der Ukraine. „Wie können wir das ablehnen? Wenn sie so etwas vorschlagen und kommen werden, werden wir dies nur unterstützen“, sagte Selenskij. Im Kontext der Notwendigkeit einer Auffüllung der Truppen und der Aufstellung von Reserveverbänden verlangte der ukrainische Staatschef von der Verchovna Rada (das Parlament der Ukraine – Anmerkung der Redaktion) eine schnellste Verabschiedung des Gesetzes über die Mobilmachung. Nach seinen Worten dürften die Abgeordneten nicht „auf Applaus für ihren Populismus warten und für ein arbeitendes Gesetz zur Mobilmachung, das von den Militärs unterbreitet wurde, stimmen“.

Deutsche Medien veröffentlichten am 7. April ein Interview des Chefs der Hauptverwaltung für Aufklärung, Kirill Budanow (der in Russland auf die Liste von Terroristen und Extremisten gesetzt wurde), der entgegen den Meinungen vieler Experten „die Möglichkeit einer Offensive der Streitkräfte der Ukraine im Jahr 2024 einräumte, aber ausführlicher nicht zu diesem Thema zu sprechen begann“. Die Schwierigkeiten an der Front betrachtet Budanow als eine zeitweilige Erscheinung. Weitaus weniger optimistischer sehen die Erklärungen Selenskijs aus. „Für Offensiv-Handlungen haben wir keine Geschosse. Für einen Schutz gibt es mehrere Initiativen, die zu arbeiten beginnen. Und zu uns kommen Waffen. Damit man sich heute so verteidigen kann, wie wir uns verteidigen, wird alles auf ehrliche Weise in allen Brigaden, in den angespanntesten Richtungen verteilt, heute wird alles – Gott sei Dank – ehrlich aufgeteilt“, sagte das Oberhaupt der Ukraine.

Über die komplizierte Lage an der Front hatte dieser Tage in seinem Telegram-Kanal auch Alexander Syrskij, der Oberkommandierende der Streitkräfte der Ukraine, geschrieben. Nach seinen Worten „hat sich eine besonders schwierige Lage in der Bachmut-Richtung, in den Gebieten Tschasow Yar und Kletsschijewka, in der Awdejew-Richtung in den Gebieten Berditschew, Orlowka, Wodjanyj und Perwomaiskij sowie in der Nowopawlowsk-Richtung im Raum Nowomichailowka herausgebildet“. Angespannt bleibe die Lage auch in den Richtung Liman, Orechow und Cherson, betonte der Spitzenmilitär.

Traurige Schlussfolgerungen zieht in dieser Hinsicht auch das US-amerikanische Blatt „The Washington Post“. Die Zeitung betonte, dass „im Zuge der Zunahme der Intensität der Luftschläge und des Vorrückens der russischen Truppen in der Ukraine bisher kein Ende für die Kampfhandlungen zu sehen ist. Und die Variante von Wladimir Selenskij hinsichtlich dessen, was weiter tun – ganz zu schweigen davon, wie der Krieg gewonnen werden kann – variieren von schlecht bis zum Schlimmsten“. Somit kann man die Prognosen von Budanow über die Möglichkeit einer Offensive der Streitkräfte der Ukraine als ein Element des gegenwärtigen Informationskrieges ansehen.

Derweil analysieren ebenfalls in der Russischen Föderation nicht nur offizielle Vertreter, sondern auch Experten und Politiker. Aus ihren Worten kann man verstehen, dass sich Moskau auf intensive Kampfhandlungen vorbereitet. Fortgesetzt wird die Erfassung von Freiwilligen für einen Militärdienst auf Vertragsbasis, vervollkommnet werden die Gefechtstechnik und Waffen, und es wird deren Produktion forciert. Nach Aussagen des Abgeordneten der russischen Staatsduma, des Generalleutnants Andrej Guruljew (Kremlpartei „Einiges Russland“), arbeite der russische Rüstungskomplex „nicht einfach, er entwickelt sich“. „Der Präsident spricht von einer mehrfachen Zunahme der Arbeitsproduktivität. Dies erfolgt durch eine Automatisierung und neue Technologien“, betont der General. „In Transbaikalien modernisiert man T-62 (-Panzer), erfolgen eine zusätzliche Panzerung, werden ein dynamische Schutz, Infrarot-Sichtgeräte sowie moderne Fernmeldemittel installiert. Gegenwärtig werden individuelle Mittel für einen funkelektronischen Kampf montiert… Es erfolgt ein Feedback von der Front. Der Direktor des Betriebes reagiert sofort, richtete Anträge an das Verteidigungsministerium. Sie nehmen Änderungen an der technischen Aufgabenstellung vor. Die Verbindung mit der Front ist wertvoll“, teilte er mit. Der Abgeordnete betonte gleichfalls, dass dies nicht nur „hinsichtlich der gepanzerten Technik“ erfolge. „Dem Rüstungsindustriekomplex kann man nur danken. Es gibt natürlich auch Probleme. Es mangelt an ingenieur-technischen Kadern und Arbeitskräften. Wir lernen aus der Situation heraus“.

Post Scriptum

Derweil herrscht in der russischen Bevölkerung nach wie vor Ungewissheit. Wird es zu einer neuen Mobilmachung kommen? Das in Moskau ansässige Meinungsforschungsinstitut Levada-Zentrum veröffentlichte dazu Ende letzter Woche neue Umfrageergebnisse. 48 Prozent der Bürger Russlands sind der Annahme, dass in den nächsten drei Monaten eine zweite Welle einer „Teilmobilmachung“ verkündet werden könne (die erste wurde bekanntlich im September 2022 per Putin-Erlass begonnen – Anmerkung der Redaktion). Elf Prozent der Befragten erklärte, dass sie „bestimmt“ eine Mobilmachung erwarten würden. 37 Prozent waren derweil nicht so kategorisch in ihren Erwartungen. Weitere 37 Prozent halten eine neue Mobilmachungskampagne nicht für wahrscheinlich. Auffällig ist dabei der Umstand, dass am häufigsten eine zweite Mobilmachungswelle gerade junge Russen erwarten. Die Levada-Zahlen zeigen, dass 52 Prozent der befragten Russen im Alter bis 24 Jahre und 59 Prozent im Alter von 25 bis 34 solch ein Szenario für das Land erwarten.