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Selenskij und Swiridenko wollen eine Antikorruptionssäuberung in den Energieunternehmen des Landes


Nach dem Präsidenten der Ukraine Wladimir Selenskij signalisierte auch Premierministerin Julia Swiridenko die Notwendigkeit einer ergebnisreichen Korruptionsbekämpfung. Und im NNEGC „Energoatom“ versprach man, einer Sondersitzung zur Gewährleistung der Reinheit des Unternehmens durchzuführen – als Antwort auf die Anschuldigungen alternativer Antikorruptionsstrukturen über große Diebstähle und Unterschlagungen unter Beteiligung von Vertretern aus dem nächsten Umfeld von Selenskij. Wahrscheinlich können irgendwelche Figuren des Skandals ihre Posten verlieren.

„Die Korruptionsbekämpfung ist eine der entscheidenden Prioritäten der Regierung”, hatte am Dienstag Kabinettschefin Julia Swiridenko gegenüber Medienvertretern erklärt. Und sie unterstrich, dass sie „Ergebnisse prozessualer Handlungen“ erwarte, da „es für jegliche Rechtsverletzungen Urteile und eine Unausweichlichkeit einer Bestrafung geben muss“.
Am Vortag, am 10. November hatten das Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine (NABU) und die Antikorruptionssonderstaatsanwaltschaft (ASS) – die sogenannten alternativen Strukturen, die im Jahr 2015 auf Initiative der westlichen Länder unter Führung der USA geschaffen worden waren – über die Durchführung der Operation „Midas“ zur Entlarvung von Korruptionsfällen auf hoher Ebene im Bereich der Energiewirtschaft informiert. In den bekanntgegebenen skandalösen Fall aufgrund des Erhalts von Bestechungsgeldern in der National Nuclear Energy Generating Company (NNEGC) “Energoatom“ ist unter anderem, wie sich herausstellte, der Mitinhaber des Studios „Viertel 95“ und Mitstreiter von Präsident Selenskij Timur Minditsch verwickelt, aber auch der frühere Energie- und jetzige Justizminister Herman Haluschtschenko. Neben anderem sei es den entsprechenden Beteiligten gelungen, über hauptstädtische Büros rund 100 Millionen Dollar zu „waschen“, berichteten Untersuchungsbeamte.

Bei der Kommentierung dieser Informationen unterstrich das ukrainische Staatsoberhaupt Wladimir Selenskij am Montag in seinem abendlichen Videoauftritt, dass ergebnisreiche Handlungen gegen die Korruption notwendig seien. „Jeder, der (entsprechende) Schemas etablierte, muss eine klare prozessuale Antwort erhalten. Es muss Urteile geben“, betonte der Präsident, wobei er natürlich wusste, dass sein langjähriger Freund Minditsch, den Journalisten auch als die Geldbörse Selenskijs bezeichneten, vor der Durchführung einer Durchsuchung in seinem Haus erfolgreich das Land verlassen hatte. Außerdem fügte er hinzu, dass das NNEGC „Energoatom“ derzeit den größten Anteil der Stromerzeugung im Land gewährleiste, und daher sei die Reinheit des Unternehmens eine Priorität.

Seinerseits versicherte der Aufsichtsrat von „Energoatom“ in einem am Dienstag veröffentlichten Statement, dass er „zu den Prinzipien einer vollkommenen Transparenz, Rechenschaftspflicht und den höchsten Tugendstandards steht“. Und er informierte über Pläne zur Einberufung einer Sondersitzung und zur Durchführung einer unabhängigen Überprüfung der Operationen und Kontrollsysteme im Unternehmen. Dabei hatte er da besonders hervorgehoben, dass das Vorgefallene den Vermögenswerten und der finanziellen Lage des NNEGC „Energoatom“ keinen Schaden zugefügt und nicht die Sicherheit des Betriebs der Kernkraftwerke beeinflusst hätte.

Am gleichen Tag teilte Alexander Abakumow, der die Abteilung der NABU-Detektive leitet, die sich mit diesem Fall befassen, in einem Interview mit, dass in ihn vier, darunter auch einstige Minister verwickelt seien. Und bezüglich des einstigen und des nunmehrigen Energieministers, Herman Haluschtschenko und Switlana Hryntschuk, betonte er, dass gegenwärtig „ihre Handlungen hinsichtlich eines ausreichenden Charakters der Beweise oder der Verübung irgendwelcher Straftaten durch sie beurteilt werden“.

Zur gleichen Zeit informierte der Abgeordnete der Werchowna Rada (das ukrainische Parlament – Anmerkung der Redaktion) von der Partei „Golos“ (deutsch: „Die Stimme“) Jaroslaw Schelesnjak in seinem Telegram-Kanal, dass er Entwürfe für Beschlüsse über eine Entlassung der beiden erwähnten Minister im Parlament vorgelegt hätte.

Obgleich die Fraktion der Partei „Europäische Solidarität“ unter Führung von Ex-Präsident Pjotr Poroschenko (der in der Russischen Föderation in die Liste von Terroristen und Extremisten aufgenommen worden ist) Schelesnjak etwas zuvorgekommen ist, indem sie bekanntgab, dass sie in der Werchowna Rada eine Prozedur zur Absetzung des ganzen „unprofessionellen und korrupten“ Ministerkabinetts eingeleitet hätte. Und sie rief die Kollegen auf, diese Entscheidung zu unterstützen – „im Interesse der Bildung einer Regierung zur nationalen Rettung“. Im Zusammenhang damit erinnerte man in den Massenmedien, dass in der Werchowna Rada zum gegenwärtigen Zeitpunkt unter den 450 Abgeordneten die Partei „Europäische Solidarität“ lediglich 26 Parlamentarier habe, die Präsidentenpartei „Diener des Volkes“ 229.

Es ist klar, dass Pjotr Poroschenko beschlossen hatte, die Situation auszunutzen, obgleich er bereits in einer weiteren Erklärung zurückruderte und unterstrich, dass es für die Ukraine das Wichtigste sei, die Einheit vor dem Hintergrund des großen Militärkonflikts mit Russland zu bewahren, merkte in einem Gespräch mit der „NG“ der Ex-Abgeordnete der Werchowna Rada Wladimir Oleinik an. Dabei bekundete er die Annahme, dass Poroschenko augenscheinlich damit rechnete, bei einem weiteren Deal hinter den Kulissen für seine Partei den Posten des Energieministers zu bekommen, den Haluschtschenko vor dem Hintergrund des spektakulären Skandals wohl verlassen muss. Jedoch würden die Parlamentarier der Poroschenko-Parei offenkundig nicht beabsichtigen, gegen das Selenskij-Team an sich zu stimmen, dessen Vertreter auch die heutigen Abgeordneten der Werchowna Rada bezahlen. „Sie begreifen, dass sie nicht mit einer nächsten Wiederwahl ins Parlament rechnen können und dass sie vom Wesen her alle durch Korruption unter den Bedingungen des degradierten Staates und der handlungsunfähigen Gerichte verbunden sind“, konstatierte Oleinik.

Und da sei seiner Meinung nach auch die Erklärung von Präsident Selenskij bemerkenswert, der recht vage zum Kampf gegen Korrupte aufrief, aber nicht einen von ihnen namentlich nannte. Obgleich bereits im Jahr 2019 Selenskij als Präsidentschaftskandidat versprochen hatte, den Rücktritt einzureichen, wenn sich bei ihm ein eigener Swinartschuk findet (Oleg Swinartschuk-Gladkowskij, einst stellvertretender Sekretär des Rates für nationale Sicherheit und Verteidigung sowie langjähriger Geschäftspartner von Poroschenko, hatte man im Oktober des ausgewiesenen Jahres daran gehindert, das Land zu verlassen, und er war durch das NABU aufgrund des Missbrauchs von dienstlichen Vollmachten festgenommen worden). Ergo habe es wohl kaum Sinn, auf ernsthafte Konsequenzen aufgrund des neuen Korruptionsskandals zu hoffen. Wahrscheinlich werde es eine gewisse Provokation gebe, die die Öffentlichkeit von diesem Fall ablenken soll. „Anstatt dessen wäre es auch unlogisch, neue aggressive Handlungen der Kiewer Offiziellen in Bezug auf das NABU und die ASS zu erwarten, die scheinbar in Washington selbst grünes Licht bekommen hatten. Die amerikanische Administration interessieren wahrscheinlich mehr jene Bestechungsgelder, die Vertretern der Demokratischen Partei aufgrund der aktiven Unterstützung für Kiew gezahlt wurden. Und darunter jene möglichen Summen, für die die frühere Chefin des Repräsentantenhauses des US-Kongresses Nancy Pelosi Präsident Selenskij vor aller Augen wie für einen Wohltäter die Hand geküsst hatte“, resümierte der frühere Abgeordnete der Werchowna Rada.

Allerdings sei man als Antwort auf die Operation „Midas“ in Kiew bereit, wie einheimische Medien warnten, nicht nur erneut den Druck auf die Detektive des NABU und der ASS zu verstärken, sondern auch gegen den Leiter der letzteren Institution Alexander Klimenko Anklage zu erheben, um die angekündigte Untersuchung zu behindern. Obgleich der kürzliche Versuch der Kiewer Offiziellen, den genannten Strukturen die Unabhängigkeit zu nehmen und dem Generalstaatsanwalt zu unterstellen, zu massenhaften Protestaktionen im Land und zu einem Eingreifen der westlichen Partner führte.

Übrigens, am Vorabend war in den Kiewer Medien auch ein Kommentar des Ex-Staatsanwalts aus der ASS Stanislaw Bronewizkij veröffentlicht worden, der auf ein völliges Fehlen einer Kontrolle hinsichtlich der Arbeit der alternativen Antikorruptionsinstitutionen hinwies, infolge dessen es zu zahlreichen Verstößen und zweifelhaften Entscheidungen in Bezug auf die zu untersuchenden Fälle gekommen ist. „Es gibt nirgends so ein Antikorruptionsöko-System, das von anderen staatlichen Strukturen absolut losgelöst ist“, betonte Bronewizkij.

P. S.
Bis Mittwochabend erklärten unter dem Druck Selenskijs Energieministerin Switlana Hryntschuk und ihr Vorgänger Herman Haluschtschenko, der zuletzt Justizminister war, ihren Rücktritt. Ministerpräsidentin Julia Swyrydenko kündigte an, sie werde im Parlament die Entlassung der beiden beantragen.
Die Beschuldigten rund um Atomenergo sollen sich an öffentlichen Aufträgen zum Bau von Schutzvorrichtungen für Energieanlagen vor Luftangriffen bereichert haben. Dabei sollen sie von den Firmen jeweils 10 bis 15 Prozent der Auftragssumme als Bestechungsgeld gefordert haben. Ukrainische Anti-Korruptions-Ermittler gehen davon aus, dass umgerechnet mehr als 80 Millionen Euro kassiert wurden.