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Serbien hat beschlossen, daran zu erinnern, dass es kein Verbündeter der Russischen Föderation ist


Der serbische Präsident Aleksandar Vučić gibt recht besorgniserregende Erklärungen ab. Er rief die Vertreter der Rechtsschutz- und bewaffneten Organe seines Landes auf, sich auf eine „schwerere Zeit“ als jene, die derzeit ist, vorzubereiten. Und in einem Kommentar für die Zeitung „The Financial Times“ gestand Vučić ein, wenn auch nicht direkt: Serbien versorgt die Ukraine mit Waffen. Augenscheinlich hat Serbiens Staatsoberhaupt beschlossen, daran zu erinnern: Sein Land hat eine eigene Außenpolitik und man solle es nicht zum Lager der russischen Verbündeten rechnen.

Am Sonntag, dem 23. Juni nahm Vučić an einer Veranstaltung teil, die dem Tag der serbischen Polizei gewidmet war. Vor Mitarbeitern der Rechtsschutzorgane rief er diese auf, sich darauf vorzubereiten, dass sich die Situation in Bezug auf die Sicherheit in der Welt generell und in Europa in Sonderheit bis Ende des laufenden Jahres ernsthaft verschlechtern könne.

„Seien Sie zu einer schwereren Zeit bereit, nicht weil sich Serbien in einem schweren oder schlechten Zustand befindet, sondern im Gegenteil. Ich weiß, was sich in der Welt vollziehen wird. Ich weiß, dass die Situation auch bei uns eine weitaus kompliziertere sein wird. Daher ist es wichtig, alle Reserven zu bewahren und abzusichern, die es gibt, und sich auf diese Zeit vorzubereiten“, sagte der serbische Präsident. Somit ist Aleksandar Vučić wieder zu jenem Gedanken zurückgekehrt, den er am 8. Juni beim Allserbischen Konzil – einem Treffen der serbischen Führung mit Vertretern der Republika Srpska (ein Teil von Bosnien und Herzegowina) – geäußert hatte. Damals hatte er gesagt, dass der russisch-ukrainische Konflikt aufgrund der Unnachgiebigkeit Moskaus und des Westens „langsam, aber sicher“ die Sache zu einer „globalen Katastrophe“ führe. Freilich hatte er damals keinerlei Daten oder Zeiträume genannt. Jetzt aber hatte er aus irgendeinem Grunde entschieden, sie zu nennen.

Einen Tag zuvor war in der „Financial Times“ ein Beitrag mit einem Kommentar des serbischen Staatsoberhauptes erschienen. In dem Beitrag unter der vielsagenden Überschrift „Serbien schaut darüber hinweg, dass seine Munition in die Ukraine gelangt“ wird die Neutralität des Landes im russisch-ukrainischen Konflikt in Zweifel gezogen. Das Londoner Blatt behauptet, dass die Serbien für die ukrainische Armee Waffen und Munition liefern würden, aber nicht direkt, sondern über dritte Länder. Die Summe solcher Lieferungen ist eine sehr erhebliche. Laut Schätzungen der Zeitung belaufe sie sich seit dem Jahr 2022 auf etwa 800 Millionen Euro.

Vučić sagte in seinem Kommentar, dass diese Zahl „insgesamt richtig“ sei. „Ja, wir exportieren unsere Munition. Wir können sie nicht in die Ukraine oder nach Russland exportieren. Wir hatten aber viele Verträge mit den Amerikanern, Spaniern, Tschechen und mit anderen. Was sie letzten Endes damit tun, ist ihre Angelegenheit“, sagte er. Interessant ist auch noch ein Aspekt aus seinem Kommentar. Vučić betonte, dass es seine Aufgabe als Präsident sei, nur zu garantieren, dass die Waffen-Verträge legitime sind. „Ich muss mich um unsere Menschen sorgen. Und dies ist alles, was ich sagen kann. Wir haben Freunde in Kiew und in Moskau. Dies sind unsere slawischen Brüder“.

Es beeindruckt vor allem die Offenheit, mit der Vučić eingestand, , dass es Lieferungen serbischer Waffen an die Ukraine gibt. Dass Serbien, das sich nicht den westlichen Sanktionen angeschlossen hat, dennoch Kiew hilft, hatte man im Februar vergangenen Jahres in den Massenmedien zu berichten begonnen. Damals waren in einem der russischen Telegram-Kanäle Informationen über Lieferungen serbischer Waffen über die Türkei und die Slowakei aufgetaucht. An der Lieferkette war eine serbische Privatfirma beteiligt gewesen. Im Ergebnis dessen habe die Ukraine 3500 122-Millimeter-Raketen für die Grad-Raketenwerfer-Systeme erhalten. Vučić hatte damals diese Informationen als eine „offenkundige Lüge“ bezeichnet. „Wir haben nicht eine einzige Waffe, nicht ein einziges Waffensystem oder Munition weder an Russland noch an die Ukraine verkauft“, sagte er im Februar des Jahres 2023 auf einer Pressekonferenz im Rahmen eines Qatar-Besuches. Und Serbiens Verteidigungsministerium meldete seinerseits, dass es die Handlungen von Privatpersonen nicht kommentieren werde. „Ob private Unternehmen Waffen auf Märkten dritter Länder kaufen und in anderen Ländern verkaufen, das betrifft nicht Serbien und seine rechtlichen Pflichten“, erklärte der damalige Verteidigungsminister Miloš Vučević, der seit dem letzten April der Premierminister des Landes ist. Experten halten ihn für eine Kreatur Vučićs, für einen dem Präsidenten recht nahestehenden Mann, der keine eigenen Kombinationen hinter dem Rücken seines Schirmherrn vornimmt.

Wie wir sehen, widerspricht streng genommen der Kommentar des serbischen Staatschefs für die „The Financial Times“ nicht dem, was er vor etwa anderthalb Jahren gesagt hatte. Serbien verkauft in der Tat nicht direkt Waffen an die Ukraine. Indirekt macht es dies aber, wenn man dem Kommentar von Vučić Glauben schenkt. Möglicherweise hatte der jüngste KDVR-Besuch von Wladimir Putin den Präsidenten veranlasst, klarer seine Position zum Ausdruck zu bringen. In Nordkorea hatten der russische Präsident und der nordkoreanische Staatschef Kim Jong-un einen Vertrag über eine allumfassende Zusammenarbeit unterschrieben. Dies wurde von vielen in der Welt als ein Beleg dafür aufgefasst, dass Moskau sich bemühe, auf dem Papier Bündnisbeziehungen mit den Ländern zu fixieren, die dessen Position hinsichtlich des Konflikts mit der Ukraine teilen. Serbien steht unter allen europäischen Ländern (mit Ausnahme von Weißrussland) am zurückhaltendsten der Perspektive für eine Unterstützung für Kiew gegenüber. Dies ist auch verständlich: Die regierende Serbische progressive Partei orientiert sich in erheblichem Maße an der prorussisch eingestellten Wählerschaft. Daher schließt sich Vučić offiziell nicht den westlichen antirussischen Sanktionen an, wobei er einwendet, dass sein Land einige von ihnen einhalten muss, zum Beispiel den Ölpreisdeckel für russisches Erdöl. Zur gleichen Zeit verurteilt der Landespräsident im Unterschied zur KDVR, die die russische Operation in der Ukraine direkt unterstützt, die Handlungen der Russischen Föderation, wenn auch in recht sanften Äußerungen. „Für uns ist die Krim die Ukraine, der Donbass ist die Ukraine“, hatte Vučić im Januar vergangenen Jahres gesagt.

Wahrscheinlich hat das serbische Staatsoberhaupt nun entschieden, endgültig die Prioritäten zu setzen. Er bekräftigte, dass es nicht richtig sei, sein Land zu den Verbündeten der Russischen Föderation zu rechnen und folglich ein Gleichheitszeichen zwischen Serbien und der KDVR zu setzen.