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Sexualaufklärung ist bisher nicht auszumachen


Die Frage der Geschlechtserziehung der Kinder rückt erneut in den Vordergrund. 90 Prozent der Russinnen sind der Meinung, dass Gespräche mit den Kindern zu Themen der Geschlechtsreife und -erziehung ihnen im erwachsenen Leben helfen werden, ihren Körper zu akzeptieren und sich seinetwegen nicht zu genieren. Solcher Art sind die Ergebnisse einer Umfrage, die das Allrussische Meinungsforschungszentrum (VTsIOM) zusammen mit dem Unternehmen „Gedeon Richter“ durchgeführt hat.

Also denn: 93 Prozent der Befragten stimmen dem zu, dass informierte Kinder im Zuge ihres Erwachsenwerdens seltener Unbehagen bei der Erörterung ihrer reproduktiven Gesundheit bei einer Arztsprechstunde empfinden. Wobei nach Meinung der Befragten die Eltern mit den Halbwüchsigen in erster Linie solche Themen wie die Hygiene der Geschlechtsorgane, Formen einer Schwangerschaftsverhütung und eines Schutzes vor auf dem Geschlechtswege übertragbarer Erkrankungen, den Menstruationszyklus und die physiologischen Veränderungen während der Geschlechtsreife, die Beziehungen von Geschlechtspartnern und den Schutz vor Gewalt besprechen sollten. 

Wenn man berücksichtigt, dass an der Untersuchung ein Pharma-Unternehmen teilgenommen hat, so ist das Interesse für die Hygiene ein gesetzmäßiges. Doch schauen wir uns einmal andere Ergebnisse der Befragung an.

Unter den jüngeren Teilnehmern ist der Anteil jener, mit denen Themen der Geschlechtsreife in der Kindheit besprochen wurden, verständlicherweise größer: 62 bis 64 Prozent in den Altersgruppen 18 bis 34 Jahre gegenüber 54 Prozent unter den Befragten im Alter von 35 bis 45Jahren. Je älter die Befragten, umso seltener hatte man mit ihnen über diese Themen gesprochen. Im Unternehmen „Gedeon Richter“ ist man der Auffassung, dass es in den letzten zehn bis zwanzig Jahren die Tendenz gebe, wonach die Eltern dem Thema der Geschlechtserziehung mehr Aufmerksamkeit widmen.

Nun, und schließlich die Antwort auf die Hauptfrage: Wem sind die Eltern bereit, diese Verantwortung – das Gespräch mit den Kindern – zu überlassen? 91 Prozent der befragten Frauen sind der Meinung, dass die Verantwortung für die Geschlechtserziehung der Kinder in erster Linie auf den Eltern liege. 32 Prozent sagten, dass die Ärzte den Kindern über Sex erzählen sollten, 18 Prozent – Psychologen und 14 Prozent – Lehrer. 

Natürlich, wenn man einen Vergleich mit Befragungen der vergangenen Jahre anstellt, so ist der Anteil jener, die der Auffassung sind, dass die Fragen der Geschlechtserziehung wichtig seien, der nunmehrigen Untersuchung nach zu urteilen erheblich angestiegen. Und der Anteil jener, die sich dessen sicher sind, dass man diese Angelegenheit im Falle einer positiven Entscheidung Spezialisten anvertrauen müsse, ist dagegen zurückgegangen. Angesichts jener Ereignisse, die sich im Ausland abspielen, sind die Russen alles in allem vorsichtiger geworden. 

Was die offizielle Position angeht, so muss man hier wohl kaum irgendeine ungewöhnliche Reaktion erwarten. Traditionell wird das Thema auf höchster Ebene nicht erörtert. Lediglich die Ex-Ministerin für Bildung und Wissenschaft der Russischen Föderation, Olga Wassiljewa, hatte seinerzeit einen Durchbruch unternommen. Und dies sicherlich, weil sie eine Frau ist. Sie hatte sich als einzige der Bildungsminister ganz bestimmt zum Thema der Geschlechtserziehung der Halbwüchsigen geäußert. Das Verdikt Wassiljewas war, es sei daran erinnert: Damit müssten sich nur die Eltern des Kindes befassen.     

Die jetzige Untersuchung und die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse hat bereits der ehemalige Chefhygienearzt der Russischen Föderation und das Akademiemitglied Gennadij Onistschenko beurteilt. Der nunmehrige stellvertretende Vorsitzende das Staatsduma-Ausschusses für Bildung und Wissenschaft erklärte in einer Sendung des Hörfunksenders „Goworit Moskwa“, dass man den Kindern von einer sexuellen Intimität unaufdringlich und unter Berücksichtigung ihrer altersbedingten Besonderheiten erzählen müsse. Und im Falle der Einführung von Unterrichtsstunden zur Geschlechtserziehung in das Schulprogramm müsse man unbedingt über die Risiken der Verbreitung von Geschlechtskrankheiten informieren. 

Schärfer äußerte sich zu diesem Thema Elina Schgutowa, Vertreterin der Öffentlichen Kammer der Russischen Föderation. Sie bewertete die Notwendigkeit der Implementierung von Unterrichtsstunden zur Sexualaufklärung in den russischen Schulen mit den Worten „die Natur wird es richten“. Nach Meinung der Beamtin dürften sich weder die Lehrer noch die Eltern mit solch einer „Unzucht“ befassen. Es sei auch daran, dass etwas früher die Ergebnisse einer Untersuchung des telemedizinischen Service „Der Arzt nebenan“ veröffentlicht wurden. Den Gedanken einer Sexualerziehung der Kinder in den Schulen unterstützen 74,7 Prozent der Russen, während da lediglich 7,3 Prozent der Befragten gegen eine Sexualaufklärung in den Schulen auftraten.

Derweil ereignen sich in den Schulen Russlands immer häufiger Fälle, die die Eltern und Schüler schockieren. Und die ein bestimmtes Eingreifen und eine Bewertung erfordern. Zum Beispiel ein ganz aktueller Vorfall: Ein Lehrer aus dem Verwaltungsgebiet Rjasan masturbierte, während er vor einer Schülerin saß. Schüler berichtete, dass dies überdies kein Einzelfall gewesen sei. Doch sie hatten beschlossen, erst dann ihren Eltern davon zu erzählen, nachdem sie ein Beweisvideo aufgenommen hatten. 

Folglich müssen die Schulen heute aus recht schwierigen Situationen, die mit dem Thema der Geschlechtserziehung zusammenhängen, herauskommen. Und die Frage, wie man dabei die moralische Gesundheit der Heranwachsenden bewahren soll, ist eine recht akute.