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Sind Demokratie und Patriotismus vereinbar?


Die militärische Sonderoperation hat den in den letzten 20 Jahren erfolgenden Prozess einer Verstärkung der Souveränität Russlands, das heißt der Befreiung vom ausländischen Einfluss und der Strukturen zur Ausprägung der Weltanschauung der Menschen und der öffentlichen Meinung sowie von den Zentren für ein Treffen politischer und administrativer Entscheidungen katalysiert. Dies ist insgesamt ein recht positiver Prozess! Noch nicht eine einzige Kolonie und nicht ein einziges Protektorat wurden zu prosperierenden Ländern. Der russische Patriotismus wird zum Mainstream der gesellschaftlichen Stimmungen. Es ergibt sich aber die Gefahr, dass man mit den Kompradoren-Elementen an der Macht, in den Massenmedien und den NGOs auch die eigentlichen Demokratie-Institute „vom Tisch wischen“ kann. Und in diesem Fall wird es für das Land keinerlei positive Ergebnisse geben. Und mit ihm selbst wird es nichts Gutes geben.

Die tragische Kluft zwischen den Werten des Patriotismus und der Demokratie ist das Hauptproblem für die Entwicklung Russlands. Die Menschen, die die demokratischen Ideen verteidigen, sind meistens gleichgültig gegenüber den Kategorien „Souveränität“, „nationale Interessen“ und „Vaterland“. Die Patrioten aber, die im Kampf um die Eigenständigkeit Russlands in der Außenpolitik kompromisslos sind, schlagen im Land oft vor, zu den archaischen Formen einer Organisierung des staatlichen und öffentlichen Lebens zurückkehren, wo es für die Demokratie objektiv keinen Platz gibt.

Zu Beginn der 90er Jahre schlug das Pendel der öffentlichen Unterstützung in Richtung der „Demokraten“ aus. Sie, die bald danach an die Macht gekommen waren, begannen eine politische Reform, die die meisten Bürger Russlands sozusagen stillschweigend unterstützten. Ein Mehrparteiensystem, von einem Wettbewerb bestimmte Wahlen und reale juristische Garantien vor einer Willkür des Staates, dies war das, was auch Russlands Bürger erwartet hatten. Aber die Phantasien hinsichtlich eines „Endes der Geschichte“, eines baldigen Beitritts zur „Familie der zivilisierten Völker“ führten zu einer Vernachlässigung der nationalen Sicherheit, der Souveränität – und als Folge zu einem Eindringen ausländischen Einflusses auf die Herrschenden und der Zivilgesellschaft. Das Ergebnis waren ein beispielloser Rückgang der Wirtschaft, ein katastrophaler Einbruch des Lebensniveaus, ein regionaler Separatismus und lokaler Nationalismus. So negativ endete das generelle Nichtbegreifen des Wertes der Souveränität.

Mit dem Machtantritt von Präsident Wladimir Putin wurde das politische Steuerrad scheinbar ausgeglichen. Heutzutage ist jedoch scheinbar ein Abdriften in Richtung eines archaischen Patriotismus auszumachen. Einige Politiker und Experten propagieren aktiv die Ideen eines Abgehens von den „westlichen“ Demokratie-Instituten und einer Rückkehr zu den „wahrhaftig russischen“ oder sowjetischen. Institute aber, dies sind nur eine Form! Sie muss dem aktuellen Moment adäquat sein. Für einen Schutz der Souveränität muss man den Inhalt der Institute ändern, wobei man sie von den Menschen säubert, die die nationalen Interessen Russlands begreifen, und umso mehr von jenen, der ihnen direkt schadet. Zumal die Geschichte um Beispiele weiß, bei denen die demokratischen Herrschaftsformen nicht stören, die nationalen Interessen zu verteidigen, wie dies beispielsweise in Indien geschieht.

Natürlich sind die in unserem Land wirkenden politischen Institute in Vielem unvollkommen. Spuren von Illusionen der frühen Demokratie sind in ihnen deutlich auszumachen. Möglicherweise vereinfacht dies aber gar die Sache. So ist unbestrittenermaßen eine Reform des Parteiensystems herangereift. Es ist bereits an der Zeit, ein normales Zwei-Parteien-System zu etablieren, unter dessen Bedingungen konkurrieren die starken Parteien miteinander. Dabei müssen Filter existieren, die keine Kompradoren in diese Parteien lassen. Allerdings muss es solche Filter auch in den Massenmedien, den NGOs, Hochschulen und Schulen geben. Politiker, Experten und Journalisten müssen die Freiheit besitzen, sich zu jeglicher Frage zu äußern, wenn ihre Worte nicht gegen die Interessen das Landes gerichtet sind. Die Nutzung der demokratischen Freiheiten und Formate durch sie darf dem eigenen Land keinen Schaden zufügen.

Begonnen werden muss die Arbeit an einer neuen Verfassung der Russischen Föderation. Das Grundgesetz von 1993 diente als Grundlage für die Schaffen von Demokratie-Instituten. Die Werte des Patriotismus, der Souveränität und der nationalen Sicherheit hat in ihm keine wahre Widerspiegelung gefunden. Objektiv sicherte die Verfassung von 1993 den Weg zu einem Kompradoren-Projekt ab, das in Russland in den 90er Jahren realisiert wurde. Der Übergang zu einem souveränen Projekt für die Entwicklung des Landes erfordert aber offenkundig die Annahme eines für dieses Projekt aktuellen grundlegenden Aktes. Zur gleichen Zeit ist natürlich prinzipiell wichtig, dass diese neue Verfassung Patriotismus einschließt und für Russland gerade einen demokratischen Vektor für solch eine Entwicklung bewahrt.

Die Demokratie ist ganz und gar kein abstrakter Wert. Sie erlaubt der Regierung, rechtzeitig auf die Signale der Gesellschaft zu reagieren und den sozial-ökonomischen Kurs zu ändern. Autoritäre Regimes demonstrieren oft gute Ergebnisse in relativ kurzen historischen Zeiträumen. Aber es gelingt nur wenigen Autokraten, ihren Ländern einen stabilen Fortschritt zu sichern. Russlands Geschichte belegt dies anschaulich. Die brutale, aber historisch fortschrittliche Herrschaft von Zar Iwan Grosny wurde von den sogenannten „wirren Zeiten“ abgelöst. Nach den Erfolgen von Peter I. setzte ein ganzes Theater von Monarchen auf dem Thron ein, das mit einem Wirken von Ernst Johann von Biron (war Herzog von Kurland und Semgallen sowie Regent des Russischen Kaiserreichs 1740 – Anmerkung der Redaktion) endete. Nach dem „stalinschen Vorstoß“ kam Chrustschow an die Macht, der das Land mit seinem Mais, den sowjetischen Volkskommissaren und anderen Verschrobenheiten beinahe zum Zerfall brachte. Damit ist Gorbatschow „erfolgreich“ fertiggeworden, der den „Thron“ nach der langen Herrschaft des Autokraten und der kurzen der Autokraten Andropow und Tschernenko erbte.

Vom Prinzip her ist ein Gegenüberstellen der Werte des Patriotismus und der Demokratie ein falsches. Nicht die Demokratie steht dem Patriotismus entgegen, sondern das Kompradorentum. Ein Komprador kann nicht nur ein Demokrat, sondern auch der coolste Diktator sein, wofür die Länder Lateinamerikas zahlreiche Beispiele liefern. Das heißt: Im Gegenteil, Patriotismus und Demokratie sind vollkommen miteinander vereinbar. Mehr noch, nur ihre Synthese gewährleistet auch eine stabile Vorwärtsentwicklung Russlands.