Nach dem Sonnenblumenöl und Zucker können in der nächsten Zeit die Preise für Fleisch und Geflügel, Eier, Benzin und Baumaterialien ins Blickfeld der Offiziellen geraten. Gegenwärtig lösen gerade diese Waren laut soziologischen Erhebungen die größte Besorgnis der Bevölkerung aus. Laut Angaben der Stiftung „Öffentliche Meinung“ hat sich in den vergangenen drei Monaten der Anteil der Bürger drastisch erhöht, die auf deren spürbare Verteuerung hingewiesen haben. Und das heißt, dass man auch bald in der Regierung darauf reagieren kann.
So haben von einer spürbaren Verteuerung der Eier Ende März über die Hälfte der Teilnehmer der Umfrage der Stiftung „Öffentliche Meinung“ gegenüber den 44 Prozent im Januar gesprochen; von Fleisch und Geflügel – 46 Prozent gegenüber 35 Prozent im Januar; von Benzin – 38 Prozent gegenüber den kürzlichen 27 Prozent. Einen signifikanten Anstieg der Preise für Baumaterialien haben fast 20 Prozent der Befragten fixiert. Und dies ist etwa zweimal mehr als im Januar.
Der Preisanstieg vor dem Hintergrund der zurückgehenden Bevölkerungseinkommen ist ein akutes Problem. Es ist jedoch nicht neu. Im Land steigen seit Jahren und ohne für die Mehrheit überzeugende Ursachen die Preise. Die Nahrungsmittel werden teurer — sowohl bei einer Übermacht des Imports als auch bei einem Embargo für den Import, sowohl in den für die Agrarier erfolglosen Jahre als auch in der Zeit des Aufblühens vor dem Hintergrund der Gegensanktionen und der Verstärkung der Exportambitionen, die durch Erfolge im Landesinnern begründet werden.
Wie die „NG“ bereits geschrieben hatte, sind seit dem Jahr 2014 Rindfleisch, Fisch, Brot- und Backwaren, Zucker und Gurken um etwa das Anderthalbfache teurer geworden. Fast um das Zweifache kletterten die Preise für Sonnenblumenöl, Butter, Tomaten, Äpfel und Reis in die Höhe. Die Preise sind vor dem Hintergrund des an Wert verlierenden Rubels Jahr ein, Jahr aus und nicht nur in der Zeit der Pandemie gestiegen.
Teurer geworden ist auch das Benzin. Während das Öl von den Spitzenwerten von 2014 bis zum aktuellen Zeitpunkt fast um die Hälfte billiger geworden ist, wurde das Autobenzin in Russland laut Angaben des Statistikamtes Rosstat im Einzelhandel im Durchschnitt um das Anderthalbfache teurer. Und dies ist ebenfalls eine langjährige Geschichte, für die die Pandemie zu noch einem belastenden Faktor, aber nicht zu einer primären Ursache geworden ist.
Aber gerade jetzt wird das Problem der steigenden Preise am aktivsten auf Beratungen beim Präsidenten, in der Regierung und als Folge im Fernsehen diskutiert. Es hat sich zum Thema Nummer 1 verwandelt. Aus den Beratungen und TV-Übersichten wird offensichtlich, dass sich beinahe alles verteuert und verteuern wird, angefangen bei Bewehrungsstahl bis zu einem Quadratmeter Wohnraum, bei Düngemitteln bis hin zum fertigen und bereits abgepackten Produkt (in einer Verpackung, die gleichfalls teurer geworden ist).
„Die Menschen schränken sich ein, weil kein Geld für die grundlegenden Nahrungsmittel haben. Dies sind schon keine kleinen Scherze!“, wies Präsident Wladimir Putin Maxim Reschetnikow, den Minister für Wirtschaftsentwicklung, zurecht. Die zwischen den Institutionen erfolgenden Diskussionen und Streits mit den Branchenvertretern lassen nicht nach. Es werden Maßnahmen ergriffen – eine Einschränkung des Exports und eine staatliche Preisregulierung.
Allem nach zu urteilen ist derzeit, unter den Bedingungen der Pandemie und der durch sie ausgelösten Krise ist die Erörterung der steigenden Preise für die Offiziellen das geringere Übel. Dies ist der Versuch, den Druck für die Bevölkerung abzulassen, bei der sich Gründe für Unzufriedenheit und Unmut ansammeln – die mit dem Coronavirus verbundenen Einschränkungen, der Rückgang der Einkünfte, der Arbeitsverlust, die allgegenwärtige Unbestimmtheit… Zumal die Erfahrungen anderer Länder zeigen, zu was aufgestaute Unzufriedenheit führen kann.
Außerdem scheint es den Offiziellen offensichtlich, dass es leicht sei, im Kampf gegen die Inflationen eine stürmische Tätigkeit zu demonstrieren – mit monatlichen Monitorings und Berichten sowie einem direktiven Einfrieren von Preisen. Man kann sogar ein vorübergehendes, aber ein Ergebnis erreichen. Wenn die Preise ein „kleines bisschen“ zurückgehen, worüber Landwirtschaftsminister Dmitrij Patruschew bereits Bericht erstattete.
Solche kurzfristigen Ergebnisse oder „schnellen Siege“, wenn man die Terminologie der sich in der Regierung in Vorbereitung befindenden Strategie verwendet, sind für die Offiziellen derzeit besonders vonnöten, im Vorfeld der Jahresbotschaft an die Föderale Versammlung und der Wahlen. Jedoch birgt die Ausrichtung auf ein rasches Ergebnis Komplikationen in der Zukunft in sich. Das Löcher-Stopfen per Direktiven anstelle einer systematischen Arbeit zur Entwicklung eines marktwirtschaftlichen Wettbewerbs sowie die zweckgebundenen Finanzspritzen für die sozial Schwächsten anstelle der Schaffung von Bedingungen für eine Wirtschaftsentwicklung und die Erhöhung des Wohlstands der Bevölkerung sind nicht geeignet, die existierenden Diskrepanzen zu überwinden.