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Tadschikistan leidet unter Wassermangel


In Tadschikistan werden Einschränkungen für die Stromversorgung der Bevölkerung in der Sommerzeit wirksam. Die Ursache ist ein rapider Rückgang des Wasserspiegels im Nurek-Stausee, der durch das Wasser aus dem Fluss Wachsch aufgefüllt wird. Die Behörden schließen nicht aus, dass dies nur der Beginn einer Energiekrise ist. Und im Winter werde es schlimmer. Die Stromlieferungen nach Afghanistan und Usbekistan sind damit hinfällig geworden. Die Unabhängigkeit hinsichtlich der Stromversorgung, über die Präsident Emomali Rachman all die letzten Jahre gesprochen hat, hat sich als ein unerreichbares Ziel erwiesen.

Tadschikistans Regierung hat in einer Sonderbotschaft die Bevölkerung über die Einführung eines Limits für elektrischen Strom in der Sommerzeit informiert. Dabei hoben die Offiziellen die Leistungen der letzten Jahre hervor: In Betrieb genommen wurden eine Reihe von Wasserkraftwerken – „Pamir-1“, „Sangtuda-1“ und „Sangtuda-2“ sowie „Tadschikistan“ im Murghob-Kreis, ein Dutzend kleiner Kraftwerke, ein Wärmekraftwerk in Duschanbe und zwei Aggregate des größten Wasserkraftwerks in der Region, des Rogun-Wasserkraftwerks. Bereits im Januar 2017 waren in der mittelasiatischen Republik die Einschränkungen für die Stromversorgung vollkommen aufgehoben worden. 

In ihrer Botschaft riefen die tadschikischen Offiziellen die Bevölkerung auf, Verständnis für Einschränkungen bei der Stromversorgung aufzubringen. „Wie Sie, teure Landsleute, wissen, geht auf dem Planeten der Prozess der Klimaerwärmung beschleunigt weiter … Im Herbst und im Winter 2019-2020 ist im Bereich der Bildung des Flussbettes des Wachsch und des Pjandsch zu wenig Schnee gefallen, 50 Prozent der Menge der vergangenen Jahre. Solch eine Situation hat sich in Tadschikistan zum ersten Mal ergeben. Die Wassermenge im Pjandsch ist um 2.000 Kubikmeter weniger als üblich geworden, im Wachsch – um 800 Kubikmeter. Dementsprechend ist der Wasserspiegel des Nurek-Stausees um 17 Meter im Vergleich zum Vorjahr gesunken“, heißt es in der Erklärung. Wenn sich die Situation nicht ändert, werden sich die Wasservorräte im Stausee weiter verringern und im Winter ernsthaftere Probleme hinsichtlich der Stromversorgung für die Bevölkerung und die Branchen der nationalen Wirtschaft auftreten. 

Die Regierung hat eingestanden, dass sie die internationalen Pflichten nicht erfüllt habe, indem sie die Stromlieferungen nach Usbekistan und Afghanistan vor dem festgelegten Endtermin einstellte. Zuvor hatte das Unternehmen „Da Afghanistan Breshna Sherkat“, das die Stromversorgung von Kabul und einer Reihe von Regionen Afghanistans gewährleistet, mitgeteilt, dass Duschanbe den Stromexport um 90 Prozent verringert hätte. Laut Vertrag hatte Tadschikistan täglich 320 Megawatt geliefert. Übrigens, die Firma hatte auch damit gerechnet, Gewinne durch den Transit von Elektroenergie aus Tadschikistan nach Pakistan und Indien im Rahmen des regionalen CASA-1000-Projekts zu erzielen. 

„Es scheint, dass die heutigen Beschränkungen hinsichtlich des Stromverbrauchs tatsächlich mit Naturfaktoren, wie dies auch durch die Regierung Tadschikistans erklärt wird, zusammenhängen, mit der Verringerung des Wasserzuflusses um beinahe die Hälfte im Vergleich zur üblichen durchschnittlichen Menge. Darüber hinaus wird in die Energienetze kein Strom von den ersten Aggregaten des Rogun-Wasserkraftwerks eingespeist, wo bereits im vergangenen Jahr aufgrund eines Risses im Staudamm die Arbeit des ersten Aggregats gestoppt und der Stausee für eine Instandsetzung trockengelegt werden musste. Und die ist noch nicht abgeschlossen worden“, erklärte der „NG“ Alexander Knjasew, ein Experte zu Fragen Zentralasiens und des Mittleren Ostens.

Er ist der Auffassung, dass diese Situation die Fragen nicht kurzfristiger, sondern strategischer Art aktualisiere. Der Abschluss der Errichtung und das Hochfahren des Rogun-Wasserkraftwerks bis zur vollen Leistung implizieren einen langen Zeitraum für das Aufstauen von Wasser im Rogun-Stausee, laut unterschiedlichen Schätzungen – 10 bis 25 Jahre. Doch laut globalen langfristigen Prognosen werden die nächsten Jahrzehnte in Mittelasien vorrangig wasserarme sein. Das Wasser des Wachsch stammt vorrangig von Gletschern. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Fläche der Gletscher im Pamir bereits um fast 65 Prozent verringert. Und in den nächsten zehn Jahren wird sich die verbliebene Fläche noch einmal um etwa ein Drittel verringern. Dies zwingt, sich sowohl über die Zweckmäßigkeit der Errichtung des Rogun-Wasserkraftwerks als auch über die Suche nach Varianten für eine Energiesubstitution für die Inlandsbedürfnisse Tadschikistans Gedanken zu machen. Solch eine Prognose zieht die Exportmöglichkeiten Tadschikistans bereits in den nächsten Jahren in Zweifel. Es ergeben sich beispielsweisen Fragen bezüglich der Schaffung des Energie-Transitkorridors CASA-1000 zwischen Tadschikistan und Pakistan. Hier treten sogar die Fragen hinsichtlich der Sicherheit für den Transit über das Territorium Afghanistans in den Hintergrund. 

„Im Herbst dieses Jahres stehen in Tadschikistan Präsidentschaftswahlen an, entsprechend deren Ergebnissen faktisch eine neue Amtszeit für Emomali Rachmon bestätigt werden soll. Und eine wichtige Aufgabe der tadschikischen Führung ist die Bewahrung der sozial-politischen Stabilität. Diese Stabilität wird gegenwärtig praktisch in keiner Weise durch die sozial-ökonomische Situation untermauert. Und die Einschränkungen für den Stromverbrauch werden gewiss das Gesamtbild der gesellschaftlichen Verärgerung und Unzufriedenheit ergänzen und werden zu noch einem Stimulus für die Zunahme der Proteststimmungen. Wenn auch vorerst nur in einer latenten Form“, sagte der Experte.