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Teures Erdöl und ein erneuter Rückgang der Bevölkerungseinkommen


Die offiziellen April-Ergebnisse veröffentlicht das russische Statistikamt Rosstat in einem Monat. Doch die hauptsächlichen Besonderheiten der Wiederbelebung bzw. Wiederherstellung der Wirtschaft in den ersten vier Monaten dieses Jahres haben sich bereits abgezeichnet. Das Jahr 2021 erfolgt unter dem Einfluss dieser Tendenzen. Die Wirtschaftsbilanz des Jahres wird durch die relativ hohen Ölpreise in der Welt, aber auch durch den Preisanstieg im Landesinnern, den Rückgang der Bevölkerungseinnahmen und die stabile Lage des Staatshaushaltes bestimmt werden.

Im zu Ende gegangenen April war die Industrie auf dem sicheren Weg des Herauskommens aus der Krise des vergangenen Jahres, teilten am Donnerstag Experten des Gaidar-Instituts mit. Die positive Dynamik der Nachfrage, die guten Prognosen für die Verkaufszahlen und der Mangel der Vorräte an Fertigerzeugnissen erlauben den Unternehmen, das Wachstum der Produktion zu bewahren und die Nachfrage nach Arbeitskräften zu erhöhen, meint Sergej Zuchlo, Leiter des Labors für Konjunktur-Befragungen.

Im zweiten Quartal berichteten die russischen Unternehmen über eine Änderung der Relevanz der Einschränkungen für das Industrie-Wachstum. Die Unklarheit der Perspektiven ist in der Liste der entscheidenden Einschränkungen auf den zweiten Platz gerutscht. An die erste Stelle rückte im zweiten Quartal der traditionelle Faktor – die „unzureichende Inlandsnachfrage“, deren Erinnerungen bereits auf das Vorkrisenniveau zurückgekehrt seien, betont Zuchlo.

Den Faktor des schwachen Rubels und der Verteuerung der Importe setzen die russischen Industriellen auf den dritten Platz in der Liste der hauptsächlichen Hindernisse für ein Wachstum. Die hohe Nachfrage nach Importen wirkt auf die Erzeugnisse der russischen Unternehmen und schadet der Nachfrage nach ihnen. Die Industrie leidet auch unter der Verteuerung von Importmaschinen und -anlagen. Die Nachfrage nach ihnen beginnt sich in Russland wieder zu beleben. Dabei nehmen die Inflationserwartungen in der Industrie weiter zu. Und sie haben bereits die Rekorde von 2010 und 2015 egalisiert. Die Inflationserwartungen dominieren nicht nur bei den Herstellern, sondern auch bei den Endverbrauchern.

Anzeichen für eine stabile Verlangsamung der Inflationsrate sind doch nicht im ersten Drittel dieses Jahres aufgetaucht. In der letzten Aprilwoche sind die Verbraucherpreise um 0,17 Prozent gegenüber 0,18 Prozent in der Woche zuvor angestiegen. Die Jahresinflationsrate konnte man mit Stand vom 26. April auf 5,5 bis 5,6 Prozent schätzen, sagen Experten. Laut ihren Schätzungen bleibe das Inflationsbild sehr besorgniserregend. Im Mai-Juni könne sich die Inflationsrate zur 6-Prozent-Marke bewegen. Und im Juni werde die Zentralbank die Anhebung des Leitzinses fortsetzen, meinen Autoren des Internetkanals MMI.

„Im ersten Quartal hat sich die Inflation beschleunigt, womit sie die Prognosen der Zentralbank und des Ministeriums für Wirtschaftsentwicklung übertroffen hat. Im März ist jedoch die Jahresinflation vom 5-Jahreshoch von 5,8 Prozent zu einer moderaten Verlangsamung übergegangen. Zu den Hauptursachen für das rasche Ansteigen der Verbraucherpreise wurden die Tendenzen auf den internationalen Waren- und Rohstoffmärkten, aber auch der Verlust des Wertes des Rubels“, sagt Dmitrij Babin, Experte des Investmentunternehmens „BKS Welt der Investitionen“. Der Anstieg der Preise für Öl und andere Rohstoffe zusammen mit der relativen Rubelschwäche haben das Erreichen eines Haushaltsgleichgewichts gefördert. Nach drei Quartalen eines Defizits ist der Staatshaushalt Anfang des Jahres 2021 zu einem Profizit zurückgekehrt, betont Babin.

„Russland hat bisher keine sehr guten Werte im Vergleich zu anderen Ländern. In China beispielsweise ist im ersten Quartal ein Wachstum der Industrieproduktion um 24,5 Prozent im Vergleich zum vorangegangenen Zeitraum fixiert worden. In den USA machte das Wachstum des BIP rund 6,4 Prozent aus“, sagt Tatjana Skryl, Dozentin an der Russischen Plechanow-Wirtschaftsuniversität. Die hohen Ölpreise und die stimulierenden Maßnahmen zur Unterstützung der Nachfrage erlauben der russischen Wirtschaft nicht, erneut einzubrechen. Aber die Gefahr einer dritten Coronavirus-Welle ist durchaus real, und die Bewertungen für die Situation können sich drastisch verändern, meint die Expertin.

„Als Hauptergebnis des ersten Jahresdrittels kann man den Haushalt mit einem Profizit bezeichnen. Zur Tendenz des Jahres wird die Ohnmacht der Zentralbank gegenüber der Inflation, das heißt die phantastische Passivität der Finanz-Offiziellen. Als noch eine Tendenz kann man die sich aufgeblasene Staatsverschuldung bei einem Haushalt mit einem Profizit bezeichnen. Anders gesagt: Selbst ungeachtet der spürbaren Wiederherstellung bzw. Wiederbelebung der Wirtschaft und des Wachstums des BIP im März zum ersten Mal im Jahr, hat dennoch mehr das Negative überwogen“, meint Michail Kogan, Leiter der Abteilung für analytische Untersuchungen der Hochschule für Finanzmanagement. Seinen Worten zufolge würde sich auch die Situation auf dem Arbeitsmarkt verbessern. „Meines Erachtens kann jeder Mensch, der einen Job finden möchte, den leicht finden, wobei mit einem anständigen Gehalt. Dies fördert auch der offenkundige Mangel an Arbeitsmigranten“, erläutert Michail Kogan.

„Die Haupttendenz des Jahresbeginns ist die Zunahme der Inflation. Das erste Jahresdrittel verlief unter dem Zeichen einer Inflationsbeschleunigung und Verringerung der Geldeinnahmen der Bevölkerung. Ursachen dafür gibt es mehrere. Darunter die anhaltende Verringerung der Nachfrage praktisch in allen Industriebranchen“, meint Prof. Maxim Kiseljow von der Business-Schule „Synergie“. Nach seinen Worten sei es sehr schade, dass diese negativen Tendenzen vor dem Hintergrund einer stürmischen Wiederherstellung bzw. Wiederbelebung des internationalen Rohstoffmarktes – des Marktes der Kohlenwasserstoffe und Metalle – zu beobachten seien. „Die Situation wird dadurch verschlimmert, dass wir bald zu Zeugen einer Korrektur auf dem internationalen Rohstoffmarkt werden, was der Wirtschaft Russlands einen neuen Schlag versetzen wird“, warnt Kiseljow.

Und last but not least: „Der Arbeitsmarkt, der die Prüfungen des Jahres 2020 bestanden hat, ist in einem recht stabilen Zustand in das Jahr 2021 gekommen“, erklärte Ludmilla Iwanowa-Schwez, Dozentin an der Russischen Plechanow-Wirtschaftsuniversität.