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Tichanowskaja fordert, Lukaschenko zu isolieren


Im polnischen Lodz ging am Freitag ein 2tägiges Treffen der OSZE-Außenminister zu Ende. An ihm nahm auch die Anführerin der weißrussischen Opposition Swetlana Tichanowskaja teil. Derweil haben ihre Appelle, den Druck auf das offizielle Minsk zu verstärken, eine neue Begründung erhalten. Maria Kolesnikowa, eine der Anführerinnen der Proteste des Jahres 2020, die zu elf Jahren Freiheitsentzug verurteilt wurde, ist in einem kritischen Zustand in ein Krankenhaus gebracht worden. Und am Donnerstag teilte das Untersuchungskomitee von Weißrussland mit, dass die Strafsache von Tichanowskaja an den Generalstaatsanwalt zwecks Weiterleitung an ein Gericht übergeben wurde.

Die weißrussische Agenda wurde beim Treffen der OSZE-Außenminister, das am 1. und 2. Dezember in Lodz stattfand, erörtert. Swetlana Tichanowskaja nahm an der Diskussion „Verschlechterung der politischen Situation und der Situation mit den Menschenrechten in Belarus und deren Konsequenzen für die OSZE“ teil, die durch die USA und Estland initiiert worden war. Sie war in Polen aus Bukarest eingetroffen, wo sie auf der sogenannten Münchner Konferenz der Führungskräfte aufgetreten war. Tichanowskaja hatte die Forderungen der weißrussischen Opposition verkündet, das „Regime als einen Terrorismus-Sponsor“ anzuerkennen und die Sanktionen auf Mitarbeiter staatlicher Massenmedien, des KGB und anderer Geheimdienste auszudehnen. Es erklang der Appell, die von Alexander Lukaschenko unterschriebenen Verträge und Abkommen nicht anzuerkennen, da sie nach Meinung von Tichanowskaja „keine Rechtskraft besitzen und die weißrussische Souveränität untergraben“. Die Oppositionsführerin verlangte, „das Regime zu isolieren“ und „Untersuchungshandlungen gegen das Regime aufgrund der Verbrechen gegen Opponenten zu initiieren“.

In diesen Tagen kamen aus Weißrussland auch die besorgniserregenden Informationen, dass das Leben von Maria Kolesnikowa, einer der AnführerInnen der Proteste des Jahres 2020, in Gefahr sei. Die zu elf Jahren Freiheitsentzug verurteilte und ehemalige Leiterin des Wahlkampfstabes des Ex-Präsidentschaftskandidaten Viktor Babariko, der sich gleichfalls in Gefängnishaft befindet, war in eine Intensivstation eingeliefert worden. Informationen darüber, was mit ihr geschehen ist, sind spärlich. Bekannt ist nur, dass man am 28. November Kolesnikowa in eine Chirurgie-Abteilung eingeliefert und später auf eine Intensivstation verlegt hatte. Einen Anwalt hatte man nicht zu ihr gelassen. Zuvor war bekannt geworden, dass sich Kolesnikowa in einer Strafzelle befunden hätte.

„Man hat Mascha mit einer chirurgischen Pathologie in ein Krankenhaus und am 28. November operiert. Derzeit ist sie in einem stabil schweren Zustand mit einer Verbesserung“, teilte der Babariko-Stab mit. Eine Quelle des Internet-Kanals „Zerkalo“ (deutsch: „Spiegel“) behauptet, dass Maria Magenprobleme hat (möglicherweise ein Perforationsgeschwür). Die Informationen sind jedoch offiziell nicht bestätigt worden.

Mit Statements aufgrund des Geschehens mit Kolesnikowa sind bereits der offizielle Sprecher des US-Außenministeriums Ned Price, die Präsidentin des Europäischen Parlaments Roberta Metsola und der Vorsitzende der Parlamentarischen Vollversammlung des Europarates Tiny Kox aufgetreten. Der erste unterstrich: „Das Regime in Belarus trägt die volle Verantwortung für die Gesundheit und das Wohlergehen von Maria Kolesnikowa und der 1440 anderen politischen Gefangenen. Die Schuldigen werden zur Verantwortung gezogen“.

Kolesnikowa war neben Tichanowskaja und Veronika Zepkalo (Leiterin des Wahlkampfstabes des Präsidentschaftskandidaten Valerij Zepkalo) im Jahr 2020 zum Gesicht und Symbol des weißrussischen Widerstands geworden. Nach der Niederschlagung der Massenproteste war sie mit noch zwei anderen Mitgliedern des Koordinationsstabes der Oppositionskräfte gewaltsam an die weißrussisch-ukrainische Grenze gebracht worden, um sie des Landes zu verweisen. Kolesnikowa hatte jedoch ihren Pass an der Grenzübergangsstelle zerrissen und damit das Szenario der Vertreter der Rechtsschutz- und Sicherheitsorgane scheitern lassen. Zum Ergebnis wurde die Anklage, wonach sie zu Handlungen gegen die nationale Sicherheit aufgerufen, eine Verschwörung zwecks Erlangung der Macht auf verfassungswidrigem Wege geplant und eine extremistische Gemeinschaft geschaffen hätte. Und dann das Urteil.

Tichanowskaja schrieb in ihrem Telegram-Kanal: „Mehr als zwei Jahre foltert man in Belarus Menschen in den Gefängnissen. Ich halte es für meine Pflicht, darüber zu berichten, so laut wie möglich darüber zu schreien – und nicht nur hinsichtlich jener, die ich persönlich kenne, sondern hinsichtlich absolut eines jeden. Als ich erfuhr, dass Maria Kolesnikowa auf einer Intensivstation ist, zog sich das Herz noch stärker zusammen. Mascha ist ein wahrer Leader und ein Symbol der Veränderungen für die ganze Belarus“.

Die weißrussischen Offiziellen geben nicht die Hoffnung auf, auch Tichanowskaja auf der Anklagebank zu sehen. Lukaschenko sieht in den „Flüchtigen“ eine reale Gefahr. Bei einer Beratung zu Verteidigungsfragen, die er am Donnerstag durchführte, unterstrich der Präsident: „Seitens der flüchtigen Opposition, unserer Banditen, erklingen immer häufiger Appelle zu einer Machtergreifung auf gewaltsamen Weg und zur Verübung von Terrorakten auf dem Territorium von Belarus. Einzelne von diesen Flüchtigen sind nicht bloß Verräter, sondern Extremisten im Quadrat (hoch zwei). Anders kann ich sie nicht bezeichnen. Bereits offen, ohne sich zu genieren, rufen sie zur Führung von Schlägen gegen Objekte auf dem Territorium unseres Landes auf. Sie haben sogar vergessen, dass auf dem Territorium von Belarus ihre Verwandten leben“.

Dmitrij Gora, der Vorsitzende des Untersuchungskomitees von Weißrussland, erklärte nach einem Treffen mit dem Präsidenten am Dienstag gegenüber Journalisten: „Informiert wurde über die Strafverfahren, die bereits vom Untersuchungskomitee an die Staatsanwaltschaft zwecks Weiterleitung an ein Gericht übergeben wurden. Informiert wurde, dass die Anwälte, die zu den Strafsachen benannt wurden, sich mit den Materialien des Falls in Bezug auf Tichanowskaja, Latuschko und andere Mitglieder … ich werde nicht einmal diese Organisation nennen …, die sich für die Führung unseres Landes hielten, vertraut machen. Diese Unterlagen werden auch in der nächsten Zeit übergeben werden“.

Und am Donnerstag teilte die Institution mit: „Durch die Hauptuntersuchungsverwaltung des Untersuchungskomitees ist im Rahmen einer speziellen Untersuchung die Voruntersuchung gegen S. G. Tichanowskaja, P. P. Latuschko, O. A. Kowalkowa, S. A. Dylewskij und M. P. Moroz – Vertreter des sogenannten Koordinationsrates – abgeschlossen worden. Die Strafsache ist an den Generalstaatsanwalt zwecks Weiterleitung an ein Gericht übergeben worden“.