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Tichanowskaja kann Friedensnobelpreis bekommen


Der Name von Swetlana Tichanowskaja ist in eine Favoritenliste der Kandidaten für den Friedensnobelpreis aufgenommen. Sie selbst trat dieser Tage mit einem Aufruf an die Weißrussen auf, eine mögliche Mobilmachung zu boykottieren. Und das von ihr angeführte Vereinigte Übergangskabinett informierte derweil über die Schaffung der „Paspalitaga ruschennja“ (deutsch: „Allgemeine Bewegung“) — eines Netzes von Gruppen zur Vorbereitung von Aktivisten, die bereit sind, an der Entmachtung von Alexander Lukaschenko teilzunehmen.

Die Anführerin der weißrussischen Opposition Swetlana Tichanowskaja kann den Friedensnobelpreis in diesem Jahr erhalten. Sie ist in eine Favoritenliste der Kandidaten für diese international renommierte Auszeichnung aufgenommen. (Daneben auf Platz 1 mit ihr auch Alexej Nawalny, auf Platz 2 – der Internationale Gerichtshof, auf Platz 3 – Harsh Mander & Karwan-e-Mohabbat, auf Platz 4 – Ilham Tohti, Agnes Chow & Nathan Law und auf Platz 5 – HRDAG & LEINWAND. – Anmerkung der Redaktion)

Die Internet-Seite „Malanka.Media“ zitiert Worte von Henrik Urdal, dem Direktor des in Oslo ansässigen Instituts für Friedensforschung, über Gründe für die Nominierung von Tichanowskaja: „Swetlana Tichanowskaja spielte eine führende Rolle bei der gewaltlosen Herausforderung für Lukaschenko und die weißrussischen Behörden, indem sie sowohl zu ehrlichen Wahlen als auch zu einer Beendigung der Gewalt gegen die Teilnehmer der Demonstrationen gegen die Missbräuche des herrschenden Regimes aufrief. Und aufgrund ihrer konkreten Rolle bei der Agitation für Demokratie in Belarus und als eine Vertreterin der demokratischen Bewegung in Belarus wäre Tichanowskaja des Friedensnobelpreises würdig“.

Tichanowskaja selbst kommentierte bisher nicht ihre mögliche Auszeichnung. Dafür zeichnete sie einen Appell an die Weißrussen hinsichtlich der Perspektive einer möglichen Mobilmachung auf. Die Oppositionsführerin erklärte unter anderem: „Lukaschenko sagte, dass es in Belarus keine Mobilmachung geben wird. Aber unter Berücksichtigung von allem, was er bis dahin getan hat, glaubt ihm schon keiner. Und nicht einfach so. Weißrussen bekommen Aufforderungen mit sogenannten Mobilmachungsvorgaben. Wenn Sie bereits so etwas erhalten haben, was immer darin auch ausgewiesen sein mag – Manöver, Mobilmachung oder Einberufung -, erfüllen Sie nicht das, was dort geschrieben steht. Bewahren Sie sich und die Verwandten. Fallen Sie nicht auf die Lüge und Manipulationen herein. Ich sage dies nicht nur als eine Politikerin. Ich bin eine Frau, ich bin eine Mutter. Ich weiß um den Preis eines Menschenlebens und ich weiß, wie sich das Herz zusammendrückt, wenn deine geliebten Menschen nicht in Sicherheit sind. Sorgen Sie um sich und die Nächsten. Schließlich hat stets derjenige recht, der seine Familie und sein Haus verteidigt“.

Derweil hat das von ihr angeführte Vereinigte Übergangskabinett eine eigene, freilich eine rein freiwillige Mobilmachung von Aktivisten im Rahmen der Schaffung der „Paspalitaga ruschennja“ bekanntgegeben. Dieses Projekt betreut der Vertreter des Kabinetts für nationale Sicherheit und Verteidigung, Valerij Sachastschik. Freilich unterstreicht die Opposition, dass es nicht um eine Armee gehe, sondern um einen „national orientierten Sport und eine militärische Ausbildung“. Sachastschik erklärte: „Die Organisation ist für eine Vereinigung der Weißrussen um die Ziele der Verteidigung der Unabhängigkeit von Belarus und der Wiederherstellung der Rechtsordnung auf dem Territorium unseres Landes geschaffen worden und fördert die physische und intellektuelle Entwicklung der Bürger und die Wiedergeburt der weißrussischen Militärtraditionen“.

Die „Paspalitaga ruschennja“ wird aus „Bannern“ – territorialen Gruppen – bestehen. Sie werden zu Ehren von Städten und Ländern, in denen sie formiert werden, benannt werden. Beispielsweise gibt es schon das Vilnius-, Warschau-, Białystok- und Wroclaw-„Banner“. Wie aus den Namen ersichtlich wird, werden diese Einheiten außerhalb von Weißrussland aus Emigranten gebildet. Sachastschik betonte, dass die Bewegung vorerst keine Einheiten auf dem Territorium von Weißrussland aus Erwägungen einer Bewahrung des Aktivs vor Repressalien schaffen werde. „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist bereits eine Ausbildung künftiger Leiter von Filialen vorgenommen worden, und es werden die Grundstandards für die Banner vorbereitet“, heißt es in einer Mitteilung des Kabinetts.

Neben diesen neuen Formationen haben die weißrussischen Politemigranten bereits die folgenden Kampf- und militärischen Strukturen: BYPOL – eine Vereinigung ehemaliger Mitarbeiter der Rechtsschutz- und Sicherheitsorgane mit ihrem Plan für einen Sturz der gegenwärtigen Herrschenden „Peremoga“ (deutsch: „Sieg“). Angeblich seien 200.000 Menschen bereit, an seiner Verwirklichung teilzunehmen, vor allem im Land an sich. Das Regiment „Pogonja“ (deutsch: „Verfolgung“, weißrussisch: „Pahonja“) ist eine Vereinigung weißrussischer Freiwilliger, die zu den ukrainischen Streitkräften gehört. Früher, vor Erhalt eines Amts im Kabinett, hatte Sachastschik das Regiment angeführt. Genauso wie auch BYPOL ist das Regiment auf Tichanowskaja orientiert.

Aber die bekannteste Kampfeinheit — das Kastus-Kalinouski-Regiment -, aber auch die Bewegung „Supraziu“ (deutsch: „Widerstand“) – ein Projekt, mit dem die „Cyberpartisanen“ und die Gruppen „Volksverbände für Selbstverteidigung“ – haben sich bisher nicht dem Vereinigten Übergangskabinett angeschlossen.

Charakteristisch ist, dass „die nationalen Militärtraditionen“ in der Präsentation der neuen Formation „Paspalitaga ruschennja“ nicht zufällig erwähnt wurden. Die Bezeichnung an sich ist aus Zeiten übernommen, als das Großherzogtum Litauen und Polen ein gemeinsamer Staat gewesen waren. Dieser Begriff bedeutete eine Mobilmachung aller einer Einberufung unterliegenden Einwohner einer gewissen Region für die Schaffung einer höfischen Bürgerwehr (eines Adelsaufgebotes).

Bezeichnend ist, dass zeitgleich mit der Bekanntgabe von Informationen über die Schaffung dieses „Aufgebots“ die oppositionelle Internetseite „Charta 97“ einen umfassenden Beitrag unter dem Titel „Die Geschichte des Großherzogtums Litauen: Warum unterscheiden sich die Weißrussen so von den Russen“ publizierte. Eines seiner Kapitel hat die recht interessante Überschrift „Ganz und gar keine Brüder“. In diesem Abschnitt wird beispielsweise erläutert: „Letzten Endes hat Russland mit Waffengewalt, Geld und mit Hilfe der Diplomatie das Großherzogtum Litauen erobert (gemeint sind die drei berüchtigt bekannten Aufteilungen Polens Ende des 18. Jahrhunderts). Auf Befehl von Katharina II. hatte man die Litwiner (Litauer) in Weißrussen umbenannt. Auf Befehl von Nikolai I. verwandelte man sie aus Uniaten (Unierten) in orthodoxe Christen. Und den Historikern war angewiesen worden, all dies auf die entsprechende Art und Weise zu lehren. Sie lehrten auch, wonach die Weißrussen seit den Zeiten des Endes der Eiszeit nur eines getan hätten, von einer Wiedervereinigung mit Mütterchen Russland zu träumen. Die tückischen Litauer hätten zusammen mit den noch hinterhältigeren Polen sie auf jegliche Weise unterdrückt und nicht ziehen lassen“.