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Tokajew balanciert zwischen dem Westen und Russland


Kasachstans Präsident Kassym-Schomart Tokajew wird am 24. August Aserbaidschan auf Einladung von Staatsoberhaupt Ilham Alijew besuchen. Eines der Schlüsselthemen der Gespräche auf höchster Ebene können Fragen möglicher Lieferungen kasachischen Erdöls nach Aserbaidschan mit einem weiteren Export auf den türkischen und auf westliche Märkte über die Ölpipeline Baku-Tbilissi-Ceyhan werden. Es gibt Grund zur Annahme, dass die Problematik im Zusammenhang mit dem Export kasachischer Energieressourcen auch im Zentrum der Aufmerksamkeit des jüngsten Treffens von Tokajew mit dem russischen Staatsoberhaupt Wladimir Putin in Sotschi am 19. August stand.

Die Sotschi-Visite von Kassym-Schomart Tokajew erfolgte vor dem Hintergrund der sich in den Beziehungen von Kasachstan und Russland angehäuften Widersprüche. Es sei daran erinnert, dass nach dem recht harten Auftritt von Tokajew beim Petersburger Jubiläumswirtschaftsforum Ereignisse folgten, die an Sanktionen erinnerten. Ein Gericht in der russischen Hafenstadt Noworossiisk hatte unter Verweis auf ökologische Probleme zeitweilig die Tätigkeit des Kaspi-Pipeline-Koncortiums suspendiert. Über dessen Pipeline fließt kasachisches Erdöl für Exportlieferungen. Es gelang, das Problem nur auf der Ebene persönlicher Gespräche Tokajews mit Putin zu lösen. Wonach das kasachische Staatsoberhaupt erklärte, dass man den Prozess der Diversifizierung der Exportrouten für kasachisches Erdöl und möglicherweise auch von kasachischem Erdgas beschleunigen müsse.

„Zu einer Alternative kann die Pipeline Baku-Tbilissi-Ceyhan werden. Das Problem besteht aber darin, dass die Mengen für ein Durchpumpen von Erdöl durch diese Leitung minimale sind. Es muss nicht nur in die Erweiterung dieser Pipeline investiert werden, sondern auch – was das Wichtigste ist – in die Schaffung einer Tankerflotte, da es keine Röhre auf dem Meeresboden des Kaspis seitens Kasachstans gibt. In dieser Richtung wird bereits gearbeitet“, sagte der „NG“ Dossym Satpajew, Direktor der Gruppe für die Bewertung von Risiken. Nach seinen Worten habe Kasachstan begonnen, aktiv in die Erweiterung des Kaspi-Hafens Aktau zu investieren. In der Zukunft könne dieser Hafen zwei Funktionen erfüllen. Die erste sei eine Erhöhung des Exports kasachischer Energieressourcen über Aserbaidschan, die Türkei und weiter nach Europa. Nicht ausgeschlossen ist die Unterzeichnung eines Abkommens über kasachische Erdöllieferungen über die Pipeline Baku-Tbilissi-Ceyhan. Wie Reuters früher gemeldet hatte, war geplant gewesen, Ende Sommer ein entsprechendes Dokument zu unterzeichnen.

Und die zweite Funktion des Hafens Aktau ist eine Aufstockung des Umfangs des Transits von Gütern aus China via Kasachstan nach Europa. China hat bereits eine alternative Route über das Kaspische Meer unter Umgehung Russlands erschlossen. Ein erster Containerzug nach Deutschland war vor nicht allzu langer Zeit auf den Weg gebracht worden. „Dies ist eine weniger komfortable Route. Doch kann sie als eine Alternative umfangreicher genutzt werden. Daher möchte Kasachstan diese Warenströme an sich ziehen. Tokajew reist nach Baku, um zu diesen beiden Schlüsselthemen Gespräche zu führen“, meint Satpajew.

Nach Meinung des kasachischen Politologen verfolge der Baku-Besuch von Tokajew mehrere Ziele: Erstens sind Aserbaidschans und Kasachstan Mitglieder der Organisation der Turk-Staaten. Im vergangenen Jahr waren bei einem Gipfeltreffen Abkommen über eine enge Wirtschaftskooperation unterzeichnet worden. Die transkaspische Transportroute ist nach Beginn der russischen Sonderoperation in der Ukraine nicht nur für Kasachstan zu einer vorrangigen geworden. Auf offizieller Ebene hat Tokajew begonnen, öfters über das Transitpotenzial Kasachstans und über einen Export kasachischer Erzeugnisse via Aserbaidschan zu sprechen.

Wie Kasachstans Botschafter in Aserbaidschan, Serschan Abdykarimow, mitteilte, werde im Verlauf des Tokajew-Besuchs ein Programm für die Entwicklung der Zusammenarbeit beider Länder bis zum Jahr 2026 unterzeichnet werden.

Der Politologe Dossym Satpajew schließt nicht aus, dass zu diesen zwei aktuellen Fragen in Sotschi Konsultationen stattgefunden haben. Möglicherweise ist ein Kompromiss hinsichtlich der Erweiterung der Wirtschaftskooperation zwischen Kasachstan und Russland gefunden worden. Da der geschlossene Teil der Gespräche von Putin mit Tokajew Fragen einer aktiven Einbeziehung der Republik in das Projekt für einen parallelen Import tangiert habe, wie in Kreisen des kasachischen Staatsoberhauptes erklärt wird. Nach Abschluss der Gespräche konstatierten die Staatsoberhäupter Russlands und Kasachstans, dass die Dynamik des Handels eine positive sei. Im vergangenen Jahr habe der Handelsumsatz 24,5 Milliarden Dollar ausgemacht. Es gibt allen Grund zur Annahme, dass er in diesem Jahr erheblich zunehmen wird.

Auf jeden Fall verweise, wie Satpajew betonte, die Statistik darauf: Im ersten Halbjahr dieses Jahres hat die Anzahl der nach Russland verkauften Smartphones zugenommen. Im ersten Halbjahr des Jahres 2021 hatte Kasachstan beispielsweise Smartphones für 37 Millionen Dollar an Russland verkauft, in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres – für 178 Millionen Dollar. Experten sind aber darüber besorgt, dass Russland Kasachstan als eine gewisse Transitzone für Lieferungen elektrotechnischer Erzeugnisse ausnutzen möchte, die der Westen als Erzeugnisse mit einer doppelten Zweckbestimmung ansieht. Dies bedeutet, dass Kasachstan unter sekundäre Sanktionen geraten kann. Zumal Kasachstan bereits in eine Liste von 17 verdächtigen Staaten aufgenommen wurde, über die Erzeugnisse nach Russland und Weißrussland gelangen. „Die Republik kann unter sekundäre Sanktionen geraten. Und dies muss Tokajew beunruhigen“, ist der Politologe überzeugt. Nach seinen Worten sei bei den Gesprächen in Sotschi auch die anstehende Baku-Reise unter Berücksichtigung der Belastung der Beziehungen mit Armenien und der Entwicklung der transkaspischen Routen, die Kasachstan und andere Länder unter Umgehung Russlands nutzen, erörtert worden.

„Es gibt aber auch eine nicht weniger bedeutende Frage – die Nur-Sultan-Reise von Chinas Staatsoberhaupt Xi Jinping im September. Für Moskau ist es wichtig, die Grenzen zu begreifen, die Kasachstan für sich in den Beziehungen mit China gezogen hat“, meint der Politologe. Nach seinen Worten betrachte Tokajew China nicht nur als einen Wirtschaftspartner, sondern auch als einen gewissen Garanten für die Sicherheit seines Landes. China habe zig Milliarden Dollar in die kasachische Wirtschaft investiert und reagiere negativ auf jegliche Destabilisierung in der Republik und Zentralasien insgesamt.

„Zentralasien ist für China ein „Hinterhof“, wo Ordnung und Stabilität herrschen müssen. Wenn in einem der Länder eine Destabilisierung beginnt, so wird es einen Domino-Effekt in der ganzen Region geben. China wird dies als eine Bedrohung für seine nationale Sicherheit ansehen. In diesem Fall kann man einen dicken Schlusspunkt in den Beziehungen Russlands mit China setzen. Allerdings wie auch mit der Türkei. Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte im Mai, dass die Türkei bereit sei, Pflichten hinsichtlich der Gewährleistung der Sicherheit Kasachstans zu übernehmen. Die Hauptaufgabe der kasachischen Diplomatie besteht darin, nicht ins Kreuzfeuer des Westens und Russlands zu geraten. Zweitens, um nicht in irgendeinen Militärkonflikt involviert zu werden. Und drittens, ein System des Gleichgewichts hinsichtlich Russlands zu schaffen“, meint Satpajew.