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Tokajew verzichtet auf eine Superherrschaft


Kasachstans Präsident Kassym-Schomart Tokajew hat dem Parlament ein Programm für politische Reformen vorgestellt. Er hat unter anderem vorgeschlagen, die Rolle des Landesparlaments zu verstärken und von einer superpräsidialen Herrschaftsform abzugehen, aber auch die Bedingungen für die Registrierung politischer Parteien zu verändern. Insgesamt stellte das Staatsoberhaupt rund 30 Initiativen vor, die in die Verfassung des Landes eingearbeitet werden sollen. Tokajew gab gleichfalls eine Bewertung für die Januar-Ereignisse, jedoch hat er keine Namen der Organisatoren des Staatsstreichversuchs genannt.

Bei der Bewertung der Januar-Ereignisse unterstrich Kassym-Schomart Tokajew, dass dies der Versuch eines Staatsstreichs gewesen wäre. Unter Berufung auf die Geheimhaltung der Untersuchungsarbeiten nannte er jedoch keine Namen, wobei er sagte, dass „sich einzelne Staatsbeamte vereinigt und angestrebt hatten, die Macht im Land zu ergreifen“. Unter ihnen seien bekannte Persönlichkeiten gewesen, Leiter militärischer und Sonderbehörden. Sie hätten sogar das Fernmeldewesen unter ihre Kontrolle gebracht. Dies sei eine „großangelegte, detailliert ausgearbeitete Operation“ gewesen. Er erinnerte daran, dass er in jenen tragischen Tagen versprochen hätte, stets mit den Menschen Kasachstans zu bleiben. Und er hat seine Zusage eingehalten. Und er wiederholte noch einmal, dass er auch weiterhin „bis zum Ende mit seinem Volk“ bleiben werde.

„Die Botschaft von Präsident Kassym-Schomart Tokajew erinnerte an ein Signal zur Vorbereitung auf die Präsidentschaftswahlen von 2024. Da dies die Offiziellen aus der Sicht einer Bewahrung der politischen Stabilität nach den Januar-Ereignissen stark beunruhigt. Die Herrschenden haben beschlossen, den sich angesammelten sozialen Druck durch diese Botschaft zu verringern, indem einige Reform-Initiativen formuliert wurden“, sagte der „NG“ Dossym Satpajew, Direktor der Gruppe zur Bewertung von Risiken.

Tokajew teilte unter anderem mit, dass er in der nächsten Zeit die Vollmachten des Führers der regierenden Partei „Amanat“ (die bisherige „Nur Otan“) niederlegen werde. Er unterbreitete gleichfalls den Vorschlag, ein Verbot für den Präsidenten einzuführen, Mitglied einer Partei in der Zeit seiner Vollmachten zu sein. Parteilose sollten ebenfalls die Mitglieder der Zentralen Wahlkommission, der Leiter des Rechnungshofs und des Verfassungsrates bleiben.

Tokajew ist auch bereit, einen Teil der Präsidentenvollmachten abzugeben, wobei er betonte, dass das superpräsidiale System seine Effektivität eingebüßt hätte und nicht imstande sei, die Zivilgesellschaft mit ihrer Mannigfaltigkeit der Anschauungen und Überzeugungen zu konsolidieren. Nach Aussagen von Kasachstans Staatsoberhaupt werde der Verzicht auf übermäßige Präsidentenvollmachten zu einem wichtigen Faktor, der eine Unumkehrbarkeit der politischen Modernisierung im Land gewährleisten werde. Die vorgeschlagenen Initiativen würden prinzipiell die Spielregeln ändern und ein stabiles Fundament für eine weitere Demokratisierung der kasachischen Gesellschaft schaffen.

Geplant ist ebenfalls, die Tätigkeit beider Kammern des Landesparlaments zu reformieren und ein Verfassungsgericht zu bilden. Verändern soll sich das Wahlsystem. Proklamiert wurden der Übergang zu einem gemischten, einem proportionalen Mehrheitsmodell und eine Liberalisierung des Prozesses zur Registrierung von Parteien. Erwartet wird, dass dieses Jahr zum Start für das Auftauchen neuer, unter anderem oppositioneller politischer Parteien im Land wird, die an den nächsten, möglicherweise vorgezogenen Parlamentswahlen teilnehmen könnten.

Dossym Satpajew ist der Auffassung, dass die Offiziellen keine Zeit für ein Herumbummeln und für schöne Versprechen hätten, denn ein starkes Parlament können nur durch neue starke und angesehene Parteien, die die alten Ersatz-Parteien ersetzen müssten, entstehen. „Aber allem nach zu urteilen, wird dies nicht so bald erfolgen, da gerade die alte Zusammensetzung des Parlaments all jene gesetzgeberischen Veränderungen vornehmen muss, die in der Botschaft formuliert worden waren. Folglich ist ihr Zeitlimit für einen Verbleib auf der politischen Bühne erneut verlängert worden“, meint der Politologe.

„Die Realisierung der politischen Reformen wird die gesellschaftlichen Prozesse im Land positiv beeinflussen, die Stabilität der politischen Architektonik erhöhen, die Herausbildung eines multipolaren Parteiensystems fördern und die Bürgeraktivitäten beim Prozess der Annahme von Entscheidungen sowohl im Zentrum als auch vor Ort stimulieren, den Bereich des Schutzes der Menschenrechte verstärken sowie den administrativ-territorialen Staatsaufbau optimieren“, schrieb auf seinem Telegram-Kanal Kasachstans Staatssekretär Jerlan Karin.

Wie jedoch Professor Rustam Burnaschew von der Kasachisch-Deutschen Universität, ein Spezialist für Sicherheitsfragen in Zentralasien, meint, sei es äußerst schwierig, in Kasachstan zu bestimmen, inwieweit die von Tokajew unterbreiteten Vorschläge den Erwartungen der Gesellschaft entsprechen. „Die Schlüsselposition besteht darin, dass die Gesellschaft ernsthaft fragmentiert ist, und die Erwartungen der Bevölkerung sind oft polare. Andererseits sind die Vorschläge Tokajews innerhalb kürzester Frist ausgearbeitet worden. Und allem nach zu urteilen, sind keine sozialen Umfragen und Erhebungen hinsichtlich der Stimmungen der Bürger vorgenommen worden“, sagte der „NG“ Rustam Burnaschew. Nach Meinung des Experten würden die Positionen, die Tokajew formulierte, einen punktuellen Charakter tragen. „Man kann zweifellos einen gewissen Systemcharakter bemerken, der den Parteiaufbau und die gesetzgeberischen Machtorgane betrifft. Ich würde aber nicht sagen, dass die Errichtung eines „Neuen Kasachstans“ erfolgt“, unterstrich Burnaschew.

Nach seinen Worten gebe es erstens keine vollständige Systematisierung in den Vorschlägen Tokajews. Zweitens sei unbekannt, inwieweit diese Initiativen umgesetzt und wirksam sein werden. Beispielsweise, wie wird sich die Trennung der Parteistrukturen mit den örtlichen Behörden auf deren Vollmachten auswirken? Werden sie zu selbständigen werden?

Rustam Burnaschew denkt, dass es keinen Sinn mache, sich mit der Abhaltung vorgezogener Wahlen zu beeilen, selbst wenn es innerhalb kürzester Frist gelinge, neue politische Parteien zu registrieren. „Die Durchführung vorgezogener Parlamentswahlen beinhaltet ein großes taktisches Risiko, da sich die Bevölkerung in Kasachstan unter der Einwirkung sowohl der Januar-Ereignisse als auch der ukrainischen befindet, die ihren Einfluss ausüben. Der Politisierungsgrad in Kasachstan ist ein recht hoher. Und die Abhaltung von Wahlen kann zu ernsthaften Folgen im Land und gar zu einer Destabilisierung der Situation und dies im negativsten Sinne führen“, meint der Experte. „Es muss eine gewisse Zeit ins Land gehen, um sich davon zu überzeugen, dass die Vorgaben des Präsidenten keine verbalen, sondern praktische sind, dass sie umgesetzt werden und es keine Hindernisse für die Registrierung von Parteien geben wird“.

Die Vorschläge, mit denen Tokajew auftrat, müssen als Gesetze zwecks Vornahme von Veränderungen an der Verfassung Kasachstans vorgelegt werden. Somit werde nach Meinung des Experten die juristische Machtübergabe vom ersten Präsidenten an den zweiten abgeschlossen. „Tokajew hat vorgestellt, wie er seine Herrschaft in Kasachstan sieht, wie er seine Position im Amt eines vollwertigen Oberhauptes der Republik, ohne irgendwelche Einschränkungen sieht“, sagte der „NG“ Rustam Burnaschew.

  1. S. der Redaktion „NG Deutschland“

Am Freitag wurden Details über die Haltung Kasachstans hinsichtlich der massiven Sanktionen des Westens gegen Russland aufgrund der sogenannten „militärischen Sonderoperation“ in der Ukraine bekannt. Der 1. Stellvertreter des Leiters der Administration des kasachischen Präsidenten, Timur Suleimenow, erklärte in einem Interview für das Nachrichtenportal „Euractiv“: „Wir werden die Sanktionen einhalten. … Wir werden kein Instrument für ein Umgehen der Sanktionen gegen Russland seitens der USA und der Europäischen Union sein“. Ungeachtet dessen, dass Kasachstan ein Teil der Wirtschaftsunion mit Russland und Weißrussland sei, sei es auch, wie er betonte, gleichfalls ein Teil der internationalen Staatengemeinschaft. „Daher wollen wir am wenigsten, dass gegenüber Kasachstan sekundäre Sanktionen der USA und Europäischen Union angewandt werden“, sagte Timur Suleimenow. Er fügte hinzu, dass Kasachstan „weiterhin in Russland investieren wird“, da die Wirtschaft der Republik anders nicht funktioniere. Und dieses Trostpflaster für den Kreml, der gar nicht glücklich über solch eine Haltung sein dürfte, verlor durch den Vertreter aus dem kasachischen Präsidialamt gleich wieder an Wirkung, denn er unterstrich, dass Kasachstan „alles Mögliche“ tun werde, um die Sanktionswaren und jegliche Investitionen von natürlichen oder Rechtspersonen aus Russland, die sich unter den Sanktionen befinden, zu kontrollieren. „Und wir wollten dies offen den Europäern kundtun“, erklärte er.