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Turkmenistan beging einen Feiertag, den es nicht gibt


Am 27. September wurde in Turkmenistan der Unabhängigkeitstag begangen. Als einen Jahrestag, und dabei als den 30. der Proklamierung der Unabhängigkeit, kann man diesen Tag nicht bezeichnen. Bis zum Jahr 2018 wurde dieser Feiertag einen Monat später begangen, am 27. Oktober. Und er wurde entsprechend einer Laune von Präsident Gurbanguly Berdymuchamedow verlegt. Auf den 27. September 2017 fiel die Abschlusszeremonie der Asiatischen Spiele in geschlossenen Räumlichkeiten, die in Aschgabat ausgetragen wurden. Augenscheinlich hatte Präsident Berdymuchamedow das Ereignis so gefallen, dass er beschloss, deren Abschluss mit dem Tag der Unabhängigkeit zu verbinden, und dies zum Schaden des letzteren.

Turkmenistan proklamierte 1991 als letzte aller Republiken der UdSSR die Unabhängigkeit und tat dies am 27. Oktober. Gerade auf diesen Tag fiel 1924 die politische und juristische Ausgestaltung der turkmenischen Staatlichkeit der neuesten Geschichte. Und an dem Tag wurde die Turkmenische SSR ausgerufen. Die Souveränitätserklärung von 1991 aber bestätigte noch einmal den Status des Staates in den Grenzen von 1924 bei einer vollständigen Einhaltung aller Normen für die Legitimität jener Zeit. Folglich ist gerade der 27. Oktober auch der wahre Unabhängigkeitstag Turkmenistans, faktisch und juristisch – zweimal. Interessant ist, ob Präsident Berdymuchamedow selbst begreift, dass er mit dem Feiern des Abschlusses drittklassiger Sportwettkämpfe als Tag der Unabhängigkeit die Legitimität dieser Unabhängigkeit und auch seine in Zweifel zieht?

Diese Verlegung ist aber bei weitem nicht die erste. Im Jahr 2008 wurde der Ehrentag der Beschäftigten der Erdöl- und Erdgasbranche auch verlegt, auf den Tag der Inbetriebnahme einer Gaspipeline nach China. Und die bedeutete ein Feiern des Erhalts einer Unabhängigkeit von Russland und „Gazprom“. Später führte dies zu einem Monopol Chinas als einziger Käufer turkmenischen Gases und zu riesigen Schulden gegenüber China, die man erst in diesem Jahr laut einer Erklärung turkmenischer Offizielle zu tilgen vermochte. Aber bezahlen musste faktisch die Bevölkerung durch das Bestehen eines offiziellen und eines „Schwarzmarkt“-Kurses für den Dollar. Die Entlohnung des konkreten Menschen wurde entwertet, mitunter um 90 Prozent.

Ohne Novitäten ist es auch im Kulturbereich nicht abgegangen. Der Tag der Wiedergeburt, der Einheit und der Poesie von Magtymguly Pyragy, einem turkmenischen Klassiker, der im Mai begangen wurde, wurde auf den 27. Juni verlegt, dichter heran zum Geburtstag von Präsident Berdymuchamedow am 29. Juni, der auch Gedichte schreibt. Das Monument für die Neutralität, und die Neutralität von Turkmenistan gilt als noch ein Grundpfeiler der Souveränität, wurde vom Präsidentenpalast an den Stadtrand von Aschgabat verlegt, schließlich wird dieser Bogen der Neutralität von einer um sich um die eigene Achse drehenden Statue des früheren Präsidenten Saparmurad Nijasow gekrönt, die dem heutigen Staatsoberhaupt als eine überflüssige erschien.

Zur tragischsten Verlegung wurde der mehrfache Aufschub der Verhängung einer Quarantäne und von Vorsichtsmaßnahmen zu Beginn der COVID-19-Pandemie. Ungeachtet der Bitten von Medizinern und der drängenden Signale, die von internationalen Organisationen gekommen waren, lehnte es der Präsident ein und das andere Mal ab, einen Lockdown zu verhängen. Die Behörden schnappten sich sogar jene und bestrafte sie, die auf den Straßen und an öffentlichen Orten in Schutzmasken aufgetaucht waren. Die Behörden hatten bis zu den Feiern für den Geburtstag des Präsidenten alles hinausgeschoben. Und als er vorbei war, verhängte man eine strenge Quarantäne. Der Präsident schickte die Regierung in Urlaub, und man ließ endlich eine WHO-Mission ins Land, die hartnäckig versuchte hatte, das Land zu besuchen, wo angeblich nicht ein einziger Fall einer COVID-19-Erkrankung registriert worden war. Die Behörden bestreiten auch jetzt das Bestehen von COVID-19, ungeachtet dessen, dass Turkmenistan die stärkste, bereits die dritte Welle mit einer großen Anzahl schwerer Erkrankungsfälle und einer großen Anzahl von Toten durchmacht.

Nun, und zum Sahnehäubchen auf der Torte wurde die Verlegung der Regierungstribüne aus dem Zentrum der Hauptstadt in eines der Viertel mit neuen Verwaltungsbauten. Die Tribüne am alten Standort hatte man innerhalb von 30 Jahren dreimal umgebaut, verlegt und aufs Neue errichtet. Dies hatte sich aber als wenig erwiesen. Und da wurde jetzt an einer neuen Stelle von einer französischen Firma eine neue Regierungstribüne im Wert von 100 Millionen Dollar errichtet. Für deren Weihe und im Zusammenhang mit dem Abschluss der Bauarbeiten hatte man in der Vorwoche separate feierliche Maßnahmen mit Liedern und Tänzen veranstaltet.

All diesen pseudoideologischen Trubel zu beobachten, ist schon lange nicht mehr lustig. Und die Herrschenden können dem Volk immer noch keinerlei verständliche positive Tagesordnung und kein positives Projekt vorstellen oder zumindest ein ungefähres Datum nennen, an dem man zu dulden aufhören kann und sich das Leben endlich verbessert. Anstelle dessen wird dem Volk ein Ersatz, ein Surrogat angeboten, das aus ständigen Verlegungen von Daten und Monumenten sowie einer Änderung von Bezeichnungen und Losungen besteht. Und die Losungen ändert man jedes Jahr. Und jede reflektiert eine neue Epoche von Glück und Wohlergehen, aber nur jedes Mal mit einer neuen Zusammenstellung von Worten, die leider nicht den heuchlerischen Charakter des Inhalts ändern. Das ganze öffentliche politische und gesellschaftliche Leben hat sich schon längst in eine durchgängige Imitation verwandelt.

Vielleicht werden sich die turkmenische Gesellschaft und die neuen turkmenischen Offiziellen doch irgendwann einmal an Nedirbaj Aitakow, Kaigysys Atabajew und die anderen Menschen erinnern, die 1924 Turkmenistan faktisch in dessen heutigen Grenzen schufen und die im Prozess einer nationalen und territorialen sowie administrativen Abgrenzung in der UdSSR die Grundlagen dessen Staatlichkeit legten. Die beiden erstgenannten wurden 1937 verhaftet, „wegen des Versuchs der Loslösung der Turkmenischen SSR von der UdSSR“ verurteilt, 1938 erschossen und 1956 rehabilitiert. Ihre Verdienste wurden auch von den späteren sowjetischen Machthabern anerkannt. Nach ihnen wurden Straßen in Aschgabat benannt. Es gab Denkmäler mit ihren Figuren. Heute aber hat man die Straßen umbenannt, die Denkmäler zerstört. Die Erinnerungen an sie hat man einfach ausgelöscht. Möglicherweise wird man dem turkmenischen Volk ihre Namen zurückgeben, wie auch den wahren Tag der Unabhängigkeit, den 27. Oktober.