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Turkmenistans Frauen – Zielscheibe der Ultrakonservativen


In Turkmenistan verhängt man neue Verbote. Als erste haben durch sie die Frauen zu leiden. Sie sind damit konfrontiert worden, dass sich Taxifahrer weigern, sie in die Autos einsteigen zu lassen, besonders auf den Vordersitz neben dem Fahrer. Auf die ungläubigen entsprechenden Fragen antworteten die Fahrer „Bolanok“ (turkmenisch: Das ist verboten.), wobei sie auf eine Anordnung verweisen, die ihnen in den Taxi-Fuhrparks vorgelesen wurde. Es ist das Gerücht aufgekommen, dass man Schwarzfahrern gleichfalls verboten habe, die Frauen zu befördern, die nicht mit ihnen verwandt sind.

Die Restriktionen haben auch das äußere Aussehen der Frauen tangiert. In Schönheitssalons tauchten „Kontrollierende“ auf und setzten die Mitarbeiterinnen in Kenntnis, dass von nun an verboten sei, Leistungen zum Färben der Haare, zur Verlängerung von Wimpern und Fingernägeln zu gewähren sowie Manikür-Arbeiten vorzunehmen. Verboten wurden Tattoos, Augenbrauen-Design sowie eine Korrektur von Lippen und Brüsten. Zur gleichen Zeit haben in allen staatlichen Organen und in Unternehmen Überprüfungen der Frauen vor dem Arbeitsbeginn begonnen – hinsichtlich des Vorhandenseins von allem nunmehr Verbotenen. Diejenigen, die gegen die neuen Regelungen verstoßen haben, sind belehrt worden. Und unter Androhung einer Strafe und Entlassung verließen sie die Arbeitsplätze, um die festgestellten Beanstandungen und Mängel zu beseitigen. Die Rede war auch von überraschenden Überprüfungen während des Arbeitstages, aber mit dem gleichen Ziel sowie zwecks Kontrolle des Dress-Codes. Die Frauen sollen sich von nun an in nationalen Kleidern am Arbeitsplatz aufhalten. In einigen Fällen sind die nationalen Frauenhosen (Balak) begrüßt worden. Unter diesen Kleidern natürlich. Es ist wohl unnötig zu sagen, dass andere Kleidung nunmehr fast einem Landesverrat gleichkommt, denn dies wird als eine Erscheinung von Opposition gewertet.

Zur gleichen Zeit hat man begonnen, sich Pärchen feiernder Jugendlicher zu greifen, wobei man den Grad ihrer Verwandtschaft zu ermitteln sucht. Sollte keine solche bestehen, haben die Betroffenen sich in Polizeirevieren Belehrungen anzuhören. Und an die Arbeitsplätze und Studieneinrichtungen gehen Benachrichtigungen für eine Fortsetzung der prophylaktischen Arbeit. Am Höhepunkt dieser Hysterie ereigneten sich Kontrollen direkt an Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs, wobei diejenigen auf Polizeireviere gebracht wurden, die Fremdes bzw. Andersartiges trugen. Die Herrschenden haben sogar die Normen der Gesetzgebung aktualisiert, die die Möglichkeiten für Schwangerschaftsunterbrechungen drastisch verringerten. Abgetrieben werden kann nunmehr nicht mehr bis zur 12., sondern nur noch bis zur 5. Schwangerschaftswoche.

Die Gesellschaft ist in Unverständnis erstarrt. Die Bevölkerungsmehrheit, die sich in einer gewissen inneren Emigration befindet, hat daher eine ganze Serie spezieller Konferenzen und Seminare verstreichen lassen, die für Frauen in allen Hochschulen und an anderen staatlichen Orten mit einem hohen Frauenanteil veranstaltet wurden. Und der Name eben dieser Veranstaltungen war: „Besonderheiten der Normen der turkmenischen nationalen Traditionen, der familiären Heiligkeit, der Kindererziehung und der Etikette“.

Alles zeugte davon, dass dies nicht ohne Grund erfolgte. Und offensichtlich lag da irgendetwas in der Luft. Am 29. April stellte Präsident Serdar Berdymuchamedow bei einer Tagung des Ministerkabinetts der Regierung und dem Volk das 57. Buch seines Vaters, des vorangegangenen Präsidenten Gurbanguly Berdymuchamedow, unter dem Titel „Der Sinn meines Lebens“ vor. „Die herausragende philosophisch-literarische Arbeit „Der Sinn meines Lebens“ ist eine gewisse Quintessenz der Weisheit und der ureigen nationalen geistig-moralischen Werte, die durch das turkmenische Volk im Verlauf von Jahrtausenden von Generation zu Generation weitergegeben werden“, charakterisierte die turkmenische offizielle Propaganda dieses Buch.

Nun war alles klar geworden und gelangte an seinen Platz. Und selbst die zahlreichen Kontrolleure und Jäger auf diejenigen, die die moralischen Traditionen verletzten, atmeten frei auf. Sie hatten ein sicheres Hinterland gewonnen, eine Grundlage für den Eifer. Der ehemalige Präsident hatte alles formuliert, begründet und in den Kampf geschickt.

Es ist aber nur nichts Neues geschehen. Im Jahr 2004 hatte der erste Präsident Saparmurat Nijasow den zweiten Band seines Buches „Ruhnama“ (turkmenisch: Buch der Seele) herausgebracht, wo er bis ins Detail das Verhalten der Bürger und Bürgerinnen entsprechend den „geistig-moralischen Traditionen des turkmenischen Volkes“ reglementierte. Übrigens, zu jener Zeit war er 64 Jahre alt, wie auch heute Gurbanguly Berdymuchamedow.

Es entsteht der Eindruck, dass mit dem Verlöschen der Maskulinität bei den turkmenischen Präsidenten ein und dasselbe geschieht. Es erwacht die Fähigkeit zum Verfassen von Belehrungen, die besonders die Moral überhaupt und der Frauen in Sonderheit regeln. Und unter Ausnutzung der Dienststellung werden die Belehrungen für das Volk zu einer strengen Norm gemacht, zu einem verbalen Recht, das für eine Umsetzung verbindlich ist.

Und die Rolle von Serdar Berdymuchamedow – sowohl als Präsident als auch als Sohn seines Vaters – erweist sich da gerade als rechtens. „Man muss begreifen, in was für einem Umfeld die Persönlichkeit Serdars ausgeprägt wurde“, sagt einer der früheren Staatsbeamten, der die Familie der Berdymuchamedows gekannt hatte. „Sein Vater war zu Zeiten von Nijasow ein hochrangiger Beamter, Minister und Vizepremier. Und eine seiner Hauptphobien war das rowdyhafte „Flair“ seines Sohnes in der Gesellschaft der sogenannten goldenen Jugend. Damals hatte es Fälle gegeben, als Nijasow für die Missetaten der Kinder deren Väter sehr streng bestrafte. Daher hatte man den heute 40jährigen Serdar sehr streng im Zaum gehalten und ihn zu Hause bei weitem nicht mit Samthandschuhen angefasst. Und in der Schule und beim Hochschulstudium umgab ihn eine Atmosphäre, die auf Ultranationalismus und Pseudotraditionalismus basierte und von Nijasow aufoktroyiert wurde, wobei die Rolle der Frau auf die Rolle einer Mutter und Hausfrau reduziert wurde. Und Erscheinungen von Emanzipation galten als eine Anomalität. Und in dieser Nichtannahme der Rolle von Frauen und überhaupt hinsichtlich der Weltanschauung unterscheidet sich Serdar sehr unvorteilhaft vom Vater, einem offenkundigen und stark ausgeprägten Sybariten (nach der griechischen antiken Stadt Sybaris, bezeichnet einen dem Luxus ergebenen Weichling – Anmerkung der Redaktion), dessen Jugendjahre gerade auf die Disco-, die kosmopolitischen und emanzipierten 1970-1980er fielen. Aus der Sicht der geistigen Einstellungen ist Serdar eher ein Sohn von Saparmurat Nijasow denn von Gurbanguly Berdymuchamedow.

Einer der turkmenischen Dissidenten sagte zu diesem Thema: „Ich würde nicht anfangen, alle diese Verbote für Erscheinungen von Emanzipation und Verwestlichung oder einfach irgendeiner Mode mit dem Ultratraditionalismus und der Misogynie (Frauenfeindlichkeit) Serdars in Verbindung bringen. Ja, die Apologeten dieser radikalen Strömung waren Ende der 1980er und die ganzen 1990er Jahre in den Machtorganen stark gewesen, wobei sie auch danach teilweise an Einfluss wahrten. Tatsächlich aber erfinden die Ideologen, wenn man sagen kann – die Polittechnologen in der turkmenischen Führungsriege speziell Verbote, wobei sie in der Gesellschaft „Schmerzpunkte“ bilden, auf die man über die Vertreter der Rechtsschutz- und Sicherheitsorgane – über die Polizei, die Steuerämter und über andere staatliche Institutionen – Druck ausübt. Die Herrschenden brauchen Anlässe für die Anwendung geringer Repressalien, für einen psychologischen Druck. Sie kultivieren eine ständige Angst vor einer Bestrafung, nun in Form einer Geldstrafe oder eines anderen Drucks. Aber von den Herrschenden muss solch ein Druck ständig aufgrund verschiedener, zu erfindender Anlässe ausgehen. Dies sind eine Art von Repressalien seitens der Herrschenden gegen die Gesellschaft, dies ist eine der Methoden zur Unterdrückung der psychologischen Gesundheit der Gesellschaft, ihres Selbstbewusstseins und der Möglichkeit zu einer Selbstorganisierung. Die ständige Demonstration des Schlagstocks oder der Peitsche – dies ist die eigentliche Ursache aller auf den ersten Blick hirnrissigen Handlungen der Offiziellen bezüglich eben dieser Verbote. Wie auch der ständige und verlogen legitime Anlass für ihre Anwendung“.

Derweil meldete die offizielle Propaganda, dass im abschließenden Teil des Buches Gurbanguly Berdymuchamedow versprochen habe, auch andere seiner weisen Ideen und Belehrungen im nächsten Buch „Die Fortsetzung des Sinnes meines Lebens“ zum Besten zu geben.