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Über das Aushöhlen des „Terrorismus“-Begriffs


Alexej Nawalny, aber auch eine Reihe seiner nächsten Mitstreiter, unter ihnen Ljubow Sobol und Georgij Alburow, sind durch die russische Finanzaufsichtsbehörde Rosfinmonitoring ins „Verzeichnis der Terroristen und Extremisten“ aufgenommen worden. Dies bedeutet, dass ihre Bankkonten nicht mehr bedient werden, die Gelder auf ihnen werden eingefroren. Nawalny ist mit seinen Kameraden auf diese Liste gesetzt worden, weil die von ihnen gebildeten Organisationen durch das russische Justizministerium früher als extremistische eingestuft wurden.

Es ist bekannt, dass in der Praxis ein Mensch als ein Extremist anerkannt werden kann, der aufruft, zu einem Meeting zu kommen, dass die Behörden nicht genehmigten und im Weiteren als ungesetzlich anerkannt haben. Das Verzeichnis von Rosfinmonitoring versetzt solche Menschen in eine Reihe (genauer gesagt: in eine Spalte) mit jenen, die beispielsweise Geiseln nehmen oder Bomben legen, einen Massenmord androhen oder ihn verüben. Dies erscheint, überzogen zu sein. Listen solcher Art schaffen automatisch eine Haltung zu denen, die auf diesen ausgewiesen werden. Keiner wird für sich herausfinden, weshalb man die Person auf die Liste gesetzt hat. Es genügt dessen Nachbarschaft mit offenkundig gefährlichen Verbrechern.

Die Rahmen für den Begriff „Terrorismus“, ganz zu schweigen vom „Extremismus“, werden im politisch-praktischen Diskurs verwischt. Das Oberhaupt der russischen Teilrepublik Ramsan Kadyrow erklärte dieser Tage ungestraft, dass das Mitglied des Rates für Menschenrechtsfragen beim Präsidenten der Russischen Föderation, Igor Kaljapin, und die Journalistin der Moskauer „Nowaja Gazeta“ Jelena Milaschina „für ihn Terroristen sind“, die „mit dem Thema der Tschetschenischen Republik und der Tschetschenen Geld verdienen, wobei sie Szenarios entwickeln und ihren Personen Texte und Verhaltensweisen einflüstern bzw. vorgeben“ (ohne irgendwelche Beweise dafür vorzulegen). Kadyrow rief die Rechtsschutzorgane auf, „diese Komplizen von Terroristen festzunehmen“.

Dmitrij Peskow, der Pressesekretär des russischen Präsidenten, den man regelmäßig bittet, (spektakuläre) Erklärungen des tschetschenischen Führers zu kommentieren, erklärte beinahe erwartungsgemäß, dass dies eine persönliche Meinung sei – oder „die Meinung des Oberhauptes der Republik“. Kein Gericht habe Kaljapin und Milaschina weder als Terroristen noch als Komplizen anerkannt. Dabei habe Kadyrow das Recht, das zu sagen, was er sagt. Und Kaljapin und Milaschina – ihre Ehre und Würde zu verteidigen.

Peskow betonte gleichfalls, dass die Tschetschenische Republik eine „besondere Region“ sei, „die mehr als alle anderen mit Terroristen, mit internationalen Terroristen konfrontiert wurde. Und sie führt bis heute recht erfolgreich diesen Kampf“. Diese Worte des Pressesekretärs von Wladimir Putin kann man unterschiedlich verstehen. Zum Beispiel als einen Appell, sich nachsichtig gegenüber den emotionalen Äußerungen der tschetschenischen Spitzenvertreter und den Charakteristika zu verhalten, die sie denjenigen geben können, die ihnen nicht gefallen. Oder im Gegenteil – als die Konstatierung dessen, dass man in Tschetschenien Terroristen superschnell erkennt, selbst wenn das Gesetz dem nicht hinterherkommt.

Wie dem nun auch immer sein mag: Terrorismusvorwürfe muss man bereits nicht mehr unbedingt regionalen Besonderheiten zuschreiben. All dies ist durchaus im Geiste der aktuellen politischen Praktiken. Nawalny und Sobol sind in ein Verzeichnis zusammen mit wirklich gefährlichen Radikalen aufgenommen worden, obwohl man sie selbst zu einer Einschränkung der Freiheit ganz und gar nicht gemäß von Extremismus- und umso mehr nicht gemäß von Terrorismus-Paragrafen verurteilte.

Nicht nur in Tschetschenien weiß man, was Terrorismus ist. Ihn hat man auch sowohl in Dagestan als auch in Nordossetien, sowohl in Moskau als auch in Sankt Petersburg sowie in anderen Regionen und Städten Russlands zu spüren bekommen. Gerade deshalb bedeutet, einen Menschen als einen Terroristen zu bezeichnen, die öffentliche Meinung einzustellen, sie auf bestimmte Art und Weise zu prägen. Das Wort „Terrorist“ wird zu einem Analog bzw. Synonym für das Wort „Faschist“ (vom Wesen her ein politisches Schimpfwort) und verweist immer weniger auf die reale Praxis der Vorbereitung und Durchführung von Terrorakten.

Für die Vertreter der Rechtsschutz- und Sicherheitsorgane ist es leichter, solch einen Terrorismus wie auch Extremismus zu bekämpfen. Genauer gesagt: Es ist weitaus leichter, Rechenschaft über die Ergebnisse solch eines Kampfes abzulegen. Und verfolgt werden müssen nicht der Transport von Waffen oder Sprengstoffen und nicht die Bildung gefährlicher (Terroristen-) Zellen, sondern Äußerungen und Posts in den sozialen Netzwerken sowie die Tätigkeit von Journalisten und Bloggern. Jegliche politische oder politisch-publizistische Aktivität wird dabei zu einer gefährlichen Angelegenheit, die eine Aufnahme in schwarze Listen nach sich ziehen kann.