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Über das Vertrauen gegenüber dem Fernsehen und die neue Informationsgesellschaft


Die kremlnahe Stiftung „Öffentliche Meinung“ hat Ergebnisse einer Umfrage veröffentlicht, die dem Vertrauen gegenüber Informationsquellen galt. Dass die populärste Quelle das Fernsehen bleibt, wurde dabei zu keiner Sensation. Ihm vertrauen 40 Prozent der Befragten. 55 Prozent erfahren meistens gerade aus dem Fernsehen Nachrichten und andere bedeutsame Informationen. Und 50 Prozent schließen die Möglichkeit aus, auf das Fernsehgucken zu verzichten.

Dabei demonstriert die Dynamik der Befragungen in den letzten 13 Jahren, dass die Popularität des Fernsehens schrittweise zurückgegangen ist, die Popularität der Internet-Quellen aber zugenommen hat. Für einen Vergleich: Im Jahr 2010 vertrauten dem Fernsehen 63 Prozent der Befragten der oben erwähnten Stiftung. Den Nachrichten-Seiten im Internet hatten damals 15 Prozent der Befragten vertraut, nunmehr – 24 Prozent. Das Vertrauen in die Informationen aus Blogs und sozialen Netzwerken hat in diesen Jahren von vier Prozent bis auf 17 Prozent zugenommen. Die Nachfrage nach dem Fernsehen als eine Informationsquelle an sich ist in den 13 Jahren von 87 Prozent bis auf 55 Prozent gesunken. Der Bedarf an Nachrichtenseiten und Blogs hat aber dagegen um das 3- bzw. 7fache zugenommen.

In Russland hat sich eine spezifische „Gesellschaft des Fernsehens“ herausgebildet. Der Konsum von TV-Programmen ist von vornherein ein relativ passiver. Das heißt, er sieht kein Suchen und Vergleichen von Informationen vor. Der Mensch wählt einfach den Kanal aus, dem er Vertrauen schenkt. Und danach erhält er die Informationen in der gewohnten und verständlichen diskursiven Verpackung. In entwickelten Demokratien ist die Funktion der Auswahl wichtig. Im Fernsehen gibt es eine Konkurrenz der Interpretationen, die den Kampf der Anschauungen in der Politik reflektiert. Dem passiven Konsumieren geht die Entscheidung voraus – welche der Interpretationen ausgewählt und welche abgewiesen wird.

Die russische Besonderheit der letzten Jahrzehnte besteht darin, dass es gerade im Fernsehen kein solches Aufeinanderprallen von Interpretationen gibt. Die Fernsehkanäle präsentieren etwa ähnliche Nachrichtenbilder. Heute, unter den Realitäten der militärischen Sonderoperation und der stark angezogenen innenpolitischen Daumenschrauben, ist es fast unmöglich, sich eine andere informationsseitige Realität im Fernsehen vorzustellen. Im 21. Jahrhundert hat sich in Russland die Meinung herausgebildet, dass der „Gesellschaft des Fernsehens“, das heißt dem passiven Konsum der staatlich orientierten Nachrichten-Agenda und mitunter auch einfach der Propaganda, eine gewisse „Gesellschaft des Internets“ gegenüberstehe, ihr Paroli bietet. Sie sei vermutlich kritischer dem gegenüber, was die Herrschenden vermelden. Und oft auch einfach oppositionell. Ihr Konsum von Informationen ist ein aktiver. Der Mensch, der zur „Internet-Gesellschaft“ gehört, ist es gewohnt, Nachrichten zu suchen, Interpretationen zu vergleichen, Kommentare zu lesen, zu streiten sowie seinen Standpunkt mit einem alternativen zu vergleichen.

In Vielem sind solch eine Bewertung und Unterteilung oberflächlich. Internet-Nutzer unterstützen nicht selten den Diskurs der Herrschenden und reproduzieren ihn. Sie werden einfach öfter mit einem alternativen Standpunkt in einer ursprünglichen (und nicht verzerrten und nacherzählten) Form konfrontiert und gezwungen, mit ihm irgendwie umzugehen, auf ihn zu reagieren. Zur gleichen Zeit haben selbst in den Jahren, als über 80 Prozent der von der Stiftung „Öffentliche Meinung“ Befragten vor dem Fernseher gesessen haben, 50 bis 60 Prozent der Befragten den TV-Informationen Vertrauen geschenkt. Anders gesagt: Man kann nicht sagen, dass die „Gesellschaft des Fernsehens“ dem unkritisch gegenübersteht, was man ihr zu „verkaufen“ sucht.

Die Umfrage der Stiftung „Öffentliche Meinung“ zeigt, dass das Fernsehen in Russland nach wie vor ein effektives Instrument für die Gestaltung der politischen Agenda und deren Verwaltung ist. Dies bedeutet, dass es für die Offiziellen kritisch wichtig ist, das Fernsehen zu kontrollieren. Zur gleichen Zeit führt der Generationswechsel zu einer Änderung der Gewohnheiten in Bezug auf den Informationskonsum. Die Bürger können insgesamt das Narrativ der Herrschenden unterstützen. Sie suchen aber immer häufiger Informationen und konsumieren sie nicht passiv. Das Suchen bedeutet automatisch ein Auswählen und eine Kritik.

Die Offiziellen können darauf unterschiedlich reagieren. Zum Beispiel das lange Bestreben einiger einflussreicher Gruppen realisieren und noch mehr das Internet kontrollieren sowie Internetseiten und soziale Netzwerke blockieren. Wenn dies aber nicht getan werden soll, so müssen die Offiziellen ihr Narrativ komplizierter gestalten, sorgfältiger verpacken und selbst dem loyalen Publikum anders vermitteln, wobei die sich verändernden Gewohnheiten der Gesellschaft berücksichtigt werden.