Der Chef des Russischen Fußballverbands (RFV), Alexander Djukow, hat erklärt, dass bei der nächsten Sitzung des Exekutivkomitees der Organisation die „Frage nach einem Wechsel zur Asiatischen Fußball-Konföderation“ erörtert werde. Djukow ist sich nicht sicher, dass eine Entscheidung gefällt wird, „die Situation erfordert aber eine Diskussion“. Nach Aussagen des RFV-Chefs habe Russland noch eine Chance, „an den Qualifikationsspielen für die Europameisterschaft teilzunehmen“, sie sei aber „mehr eine theoretische“.
Es macht Sinn, daran zu erinnern, dass die Auslosung für das Qualifikationsturnier zur Euro-2024 (die in Deutschland ausgetragen wird) bereits Anfang Oktober in Frankfurt-am-Main stattgefunden hat – ohne Russland. Der Anpfiff zu den Qualifikationsspielen erfolgt im März 2023. Das heißt: Noch ist Zeit. Und gerade dies erlaubt augenscheinlich Alexander Djukow, von einer theoretischen Chance zu sprechen. In der Praxis ist es aber schwer vorstellbar, wie man Russland rückwirkend in das EM-Qualifikationsturnier eintakten könnte.
Russlands Chancen, bald in den europäischen – und weiter in den internationalen – Fußball zurückzukehren, hängen natürlich in Vielem von der politischen Konjunktur ab. Die UEFA und die FIFA können selbständig handeln, im Großen und Ganzen aber warten sie auf klare Signale. Wenn sie nicht erfolgen werden, werden diese Organisationen einfach keine Ansehens-, bürokratischen und finanziellen Verluste einstecken wollen. Die großen Akteure – solche wie die USA oder Großbritannien – haben bereits am Beispiel des Falls von FIFA-Ex-Präsident Sepp Blatter gezeigt, dass sie sehr effektiv in die Tätigkeit der globalen Sportverbände eingreifen können. Die derzeitigen Spitzenfunktionäre aus der UEFA und FIFA haben keinen persönlichen Wunsch, Russland aus den Fußball- und wirtschaftlichen Prozessen rund um den Fußball auszuschließen. Sie werden aber auch nicht beginnen, gegen das System vorzugehen.
Das Gespenst der Asiatischen Konföderation geht in russischen Fußballkabinetten seit dem Frühjahr um. Hier ist es aber wichtig zu begreifen, dass Russland nicht sofort dieser Organisation beitreten kann, solang der Bann der FIFA wirkt. Der RFV musste sogar die jüngsten Freundschaftsspiele mit Tadschikistan und Usbekistan abstimmen. Von einer Teilnahme an irgendwelchen Qualifikationsspielen kann auch keine Rede sein. Die asiatische Variante ist eine Antwort auf die Frage danach, was tun, wenn die FIFA und die UEFA den Bann aufheben. In Europa bleiben? Weggehen?
Das Szenario für einen Wechsel nach Asien wird deshalb erörtert, dass die Aufhebung des erwähnten Banns Russland ganz und gar nicht alle europäische Wege eröffnet. Es ist klar, dass das Leben der seit dem 24. Februar laufenden russischen militärischen Sonderoperation in und gegen die Ukraine schon nicht mehr solch eines wie einst sein wird, darunter auch im Fußball. Unklar ist aber der Grad dieser Novität. Mehrere nationale Fußballverbände können weiterhin Spiele mit russischen Teams boykottieren. Für die UEFA ist es sehr schwer, mit dieser Bewegung fertig zu werden. Sie kann Mannschaften aus Russland und der Ukraine, aus Armenien und Aserbaidschan oder aus Serbien und Kosovo trennen. Aber mit komplizierteren, politisch belasteten Konfigurationen wird sie wohl kaum fertig werden. Es mangelt an Gewicht.
Dies veranlasst den RFV, einen Weg nach Asien zu suchen. Dort ist für Russland auch nicht alles glatt und reibungslos. Japan, Südkorea und Australien (der Kontinent gehört zur Asiatischen Konföderation) haben sich den antirussischen Sanktionen angeschlossen. Dies betrifft auch den Sport. Die Variante eines separaten und Gruppen-Boykotts existiert und macht den asiatischen Weg sinnlos. Macht es denn Sinn, ein neues Land aufzunehmen, wenn dessen Auswahlmannschaft mit drei Topmannschaften aus der Konföderation nicht spielen kann? Und wenn dies auch dessen Klubs betrifft? Man kann sich aber auch von einer anderen Seite die Situation anschauen: Wozu braucht denn Russland solch einen Wechsel, wenn die Auswahl der starken Konkurrenten eingeschränkt ist?
Wahrscheinlich wird angenommen (und kann durch das Exekutivkomitee des Russischen Fußballverbands diskutiert werden), dass es einfacher werde, die Japaner, Südkoreaner und Australier als dutzende europäische Länder zu überreden. Irgendwer kann überdies auch denken, dass es für Russland einfacher werde, sich aus Asien für Weltmeisterschaften zu qualifizieren, zumal auch die Anzahl der Teilnehmer bereits ab dem nächsten Turnier von 32 bis auf 48 Mannschaften erhöht wird. Solch ein Gedankengang scheint jedoch ein naiver zu sein. In den führenden Auswahlmannschaften Asiens spielen Fußballer aus den stärksten europäischen Ligen. Und bei den Landeschampionaten von Qatar, den VAE und Saudi-Arabien treten – wenn auch in die Jahre gekommene – aber internationale Stars an. Weder unsere Sbornaja noch unsere Klubs können derzeit damit herumprotzen.