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Über den Bruch zwischen Russland und Europa


Russlands Präsident Wladimir Putin erklärte bei einem Auftritt auf der erweiterten Tagung des Kollegiums des Verteidigungsministeriums Ende Dezember, dass die USA ihre Ziele erreicht hätten. Sie hätten „Russland und Europa auseinandergerissen. Und jetzt verlegen sie auch noch auf Europa die finanzielle Verantwortung und Zahlungen“. Das „Auseinanderbringen“ hat den Worten Putins nach zu urteilen bereits im Jahr 2014 begonnen. Russland und Europa hätten sie in den Ukraine-Konflikt „hineingezogen“.

Washington, meint Putin, „hatte die Annäherung Russlands mit Europa sehr beunruhigt“. „Sie müssen da die Hausherren sein“, erklärte er. „Sie hatten die ganze Zeit Angst gemacht: Da, das böse Russland bedroht Euch! Ich habe aber mit vielen Spitzenvertreter gesprochen, und sie sagten mir: Weshalb machen sie uns Angst? Wir verstehen doch, dass sich Russland nicht anschickt, gegen Europa zu kämpfen. Ja, und wir haben dies auch jetzt nicht vor“. Nach Meinung des Präsidenten der Russischen Föderation könne die „willenlose, rückgratlose Generation der heutigen Politiker in Europa“ der Abhängigkeit von den USA in den Massenmedien, der Politik und Wirtschaft keinen Widerstand leisten.

Im Diskurs der russischen Offiziellen seien diese Akzente schon seit langem gesetzt worden. Putin hat sie jedoch bei seinem Auftritt vor dem Kollegium des Verteidigungsministeriums recht kompakt zusammengefasst. Das russische Staatsoberhaupt hat mehrfach und bei unterschiedlichen Gelegenheiten den Gedanken von einer multipolaren Welt unterstützt – als ein Gegengewicht zum unipolaren Diktat. Man kann lange Überlegungen zu diesem Thema anstellen, wie viele Pole es in solch einer Welt gibt, welche Staaten oder Staatenvereinigungen man zu ihnen rechnen kann. Wenn man aber dem bei der Kollegiumstagung geäußerten Gedanken Putins folgt, so muss Europa, genauer gesagt: die Europäische Union aus der Zahl der Pole ausgeschlossen werden. Wenn die europäischen politischen Eliten so abhängig von den USA sind, so ergibt sich, dass sie schlicht und einfach den Status eines Rechtssubjekts im neuen Weltsystem verlieren und aufhören, irgendein eigenständiger Player bzw. Akteur zu sein.

Vielen russischen Wählern scheint (oder erscheint) solch ein Narrativ als ein durchaus überzeugendes. Es deckt sich mit ihren Empfindungen und Angewohnheiten zu denken und zu bewerten. Aber solch ein Bild außerhalb Russlands, wobei vom Wesen her Europa der Status eines Subjekts entsagt wird, zu propagieren, ist recht schwierig. Entweder orientieren sich die Offiziellen der Russischen Föderation auf einhundertprozentige Gleichgesinnte – doch von denen gibt es in der Welt gar nicht so viele -, ja, und die großen Staaten ziehen flexiblere, nuancierte Narrative vor. Oder dies ist ein Konstatieren der aktuellen Lage der Dinge, die sich noch verändern kann. Es ist schwer, die Krise in den Beziehungen Russlands und Europas zu negieren. Wahrscheinlich ist diese Krise aber eine zeitweilige.

Über den zeitweiligen Charakter der Krise spricht Wladimir Putin nicht, auf jeden Fall – direkt. Und die Wende gen Osten, die mehrfach von den russischen Herrschenden deklariert worden ist, vollzieht sich ein wenig. In diesem Prozess kann man zwar doch eine politische Taktik ausmachen, ein Manöver, aber keine endgültige Zivilisationsentscheidung.

Wenn man die Äußerungen von Vertretern der russischen Herrschenden inkl. der für die Hauptentscheidungen verantwortlichen analysiert, so ist schwerlich gerade eine zivilisatorische Konfrontation Russlands und Europas zu erkennen. Entzweien kann man nur starke Bande, historische und kulturelle, und nicht nur wirtschaftlich bedingte. Man kann sagen, dass die Offiziellen der Russischen Föderation den Europäern ein Signal senden wollen: Der Konflikt mit Moskau entspricht ihren Interessen. Er ist uns aufgezwungen worden. Man will sie ausnutzen, darunter auch wirtschaftlich. Doch von Vorteil sind für sie ganz und gar andere Kontakte und Beziehungen mit uns. Zur gleichen Zeit (dies sei zu den Worten Putins über die „rückgratlosen“ Politiker gesagt) erklingt ein Appell auch an die europäischen Wähler (wenn er sie denn auch wirklich erreicht – Anmerkung der Redaktion). Sie bewerten die russischen Offiziellen als ein reales Instrument für eine Einflussnahme, als einen Faktor von Veränderungen. Sie, die europäischen Wähler, sollten sich aufmerksamer ihre Eliten anschauen, sie zwingen, sich eigenständiger zu verhalten, und eventuell auch neue Spitzenvertreter wählen.

Bemerkenswert ist, dass die Offiziellen der Russischen Föderation Russland nicht zu einem asiatischen Land erklären. Es ist in ihrem Verständnis ein durchaus europäisches. Dies seien die politischen Eliten der Europäischen Union, die das zivilisatorische Erbe zugunsten einer liberalen „Agenda“ aufgeben würden. Russland aber bewahre gemäß diesem Weltbild den Kulturcode des alten, des richtigen Europas und sei bereit, ihn zu teilen.