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Über den Konflikt von Palästina und Israel in den Augen der russischen Bürger


Die Stiftung „Öffentliche Meinung“ (FOM) hat eine Umfrage durchgeführt, die der Zuspitzung des palästinensisch-israelischen Konflikts galt. Die Ergebnisse solcher Untersuchungen reflektieren sehr oft den Einfluss des offiziellen Standpunkts auf die Gesellschaft. Daher ist es nicht erstaunlich, dass die Befragten die Zuspitzung der Situation den Ländern des Westens anlasten. Dies erklärten zehn Prozent. Hinsichtlich der Popularität war dies die zweite Antwort. Häufiger (zwölf Prozent) erklärten die Befragten die Zuspitzung nur mit einer allgemeinen Aussage, dass dies ein „territorialer Konflikt“ sei. Die Schuld des Westens ist eine Formel, die die Vertreter der russischen Führung in der letzten Zeit mehrfach nannten.

Wen unterstützen die Befragten? 73 Prozent erklärten, dass sie keinen unterstützen würden. Zehn Prozent waren auf der Seite Palästinas, neun Prozent (das heißt etwa genauso viele) – auf der Seite Israels. Es ist interessant, diese Zahlen mit den Ergebnissen einer analogen Umfrage, die die FOM im November des Jahres 2012 durchgeführte hatte, zu vergleichen. Damals hatten sich 66 Prozent nicht angeschickt, irgendwen zu unterstützen. Dabei waren aber für Israel 13 Prozent gewesen, und für Palästina aber ganze fünf Prozent. Die nunmehrige Meinungserhebung ist die erste seit der ganzen Zeit, bei der die Sympathien – wenn auch unerheblich – dennoch aber zugunsten der Palästinenser tendierten.

Dies ist wohl kein Zufall. Die öffentliche Meinung reagiert darauf, welche Akzente bei der Darstellung des einen oder anderen Themas die Medien, die Politiker und Diplomaten setzen. Die Ergebnisse der FOM-Umfrage belegen indirekt, dass das Motiv der Leiden der palästinensischen Zivilisten im Gaza-Streifen im öffentlichen Narrativ häufiger auftaucht und deutlicher erklingt als die Berichte über die Attacke der HAMAS-Kämpfer gegen das Territorium Israels. Versucht irgendwer so, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, sie zu gestalten oder bewusst auf sie einzuwirken? Man kann wohl eindeutig diese Frage beantworten. Man kann hier eher von einem Nebeneffekt der Unbestimmtheit sprechen, die auch für die russischen Offiziellen besteht. Sie können nicht eindeutig und klar eine der Seiten des Konflikts unterstützen.

Die soziologischen Untersuchungen nehmen eine zweiseitige Bewegung an: Der offizielle Diskurs beeinflusst die öffentliche Meinung. Die Gesellschaft aber sendet den Offiziellen gewisse Signale. Die Message der FOM-Untersuchung kann man auch so sehen: Russland muss über der Auseinandersetzung stehen. Solch eine Haltung erlaubt üblicherweise jeglichem Staat, auf die Rolle eines Friedensstifters Anspruch zu erheben. Und Moskau hat mehrfach Israel und Palästina seine Vermittlerrolle angeboten. Nunmehr ist es für Russland jedoch problematisch, solch eine Rolle im Nahen Osten zu spielen. Es ist selbst in den ungelösten Konflikt involviert. Seine Beziehungen mit vielen einflussreichen Ländern sind in einer Krise. Die palästinensisch-israelische Zuspitzung ist aber ein globales Problem. Und der Westen ist unmittelbar in dessen Lösung involviert.

Die arabische Welt hat sich den antirussischen Sanktionen nicht angeschlossen. Von den arabischen Ländern hängt das Schicksal jeglicher Initiativen ab, die mit den Preisen für Energieträger zusammenhängen. Diese ist eine Frage, die für Russland lebenswichtig ist. Einige einflussreiche Länder der Region haben begonnen, Beziehungen mit Israel anzubahnen. Ihnen wird wohl kaum das Verhalten der HAMAS gefallen. Sie sind ganz bestimmt nicht von der palästinensisch-israelischen Zuspitzung begeistert, die zu einem langen Krieg mit neuen Teilnehmern führen kann. Dabei können die Offiziellen solcher Länder nicht direkt die palästinensischen Radikalen verurteilen und die Akzente von den Leiden des Gaza-Streifens verschieben. Dies wird für sie eine politische Verlierer-Haltung sein. Und von Russland kann die arabische Welt Unterstützung erwarten — als Dankbarkeit.

Dabei kann Moskau Israel nicht verstoßen. Ja, dies ist ein Land, das Verbündeter der USA im Nahen Osten ist. Russland hat aber mit ihm seine Beziehungen. Die israelischen Offiziellen hatten Moskau und Kiew im Frühjahr des vergangenen Jahres ihre Vermittlerrolle angeboten, als aktiv von einem Friedensvertrag die Rede war. Die öffentliche Meinung, wie immer auch die Nachrichten-Agenda gestaltet werden mag, wird den Offiziellen der Russischen Föderation wohl kaum eine eindeutige Entscheidung vorgeben. Sie müssen einen Mittelweg auswählen. Das Motiv der „Schuld des Westens“ ist da sehr komfortabel.