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Über die Bestrafung aufgrund von Fakes und die informationsseitige Hygiene


Wie eine Untersuchung der Firma Rambler & Co. Zeigte, sind 62 Prozent der befragten russischen Bürger der Auffassung, dass sie wahre Nachrichten von Fakes unterscheiden könnten. Für 49 Prozent werde zum Hauptmerkmal einer Fake-Nachricht die Darstellung nur von einem Standpunkt, für 26 Prozent – eine übermäßige Emotionalität der jeweiligen Mitteilung. Für weitere 19 Prozent – Verweise auf inoffizielle Quellen. Ein Kriterium für glaubwürdige Informationen sei für die Mehrheit (59 Prozent) Unvoreingenommenheit.

Bei solch einer deklarierten informationsseitigen Hygiene scheint das Gesetz über die Bestrafung für Fakes eine zu strenge und unnötige Maßnahme zu sein. Wenn die Menschen selbst imstande sind herauszufinden, was die Wahrheit ist und was nicht, muss sich doch der Staat da nicht einmischen.

In der Realität ist dem nicht ganz so oder überhaupt nicht so. Vor allem schafft das Regime der militärischen Sonderoperation außergewöhnliche Bedingungen für das Funktionieren im Medien-Bereich. Der Staat braucht eine konsolidierte öffentliche Unterstützung für seinen Standpunkt – hier und jetzt. Alternative, kritische Informationen, die keine bewährten Filter der offiziellen Nachrichtenagenturen durchlaufen haben, werden als eine Waffe angesehen. Und ihre Quellen – als Feuernester.

Man kann nicht einfach alle Massenmedien schließen, mit deren Sichtweise der Staat nicht einverstanden ist. Man kann es aber so anstellen, dass sie selbst ihre Tätigkeit einstellen, wie beispielsweise mit der BBC oder mit CNN sowie anderen Internetseiten. Einzelne Medien haben aus ihren Ressourcen alle Materialien über die Situation in der Ukraine entfernt und schaffen und publizieren keine neuen. Aus Furcht vor einer Schließung. Dies bedeutet nicht, dass man sie unweigerlich bestrafen würde. Unter den entstandenen Bedingungen begreifen sie aber, dass die Aufmerksamkeit für ihre Reportagen und Veröffentlichungen eine verstärkte ist, verstehen jedoch nicht, welche der von ihnen vermittelten Informationen man als Fake interpretieren kann. Dafür wissen sie aber genau, dass die Entscheidung eine schnelle sein wird. Doch für ein Anfechten (wahrscheinlich ein perspektivloses) wird zu viel Zeit ins Land gehen.

Den Bürgern kann man erlauben, Informationen aus verschiedenen Quellen zu erhalten, sowie die Angaben und Standpunkte kritisch zu vergleichen, aber unter normalen Bedingungen. Heutzutage aber – und vor allem in den Augen jener, die Entscheidungen treffen – ist die Situation eine anormale. Die Verabschiedung des Gesetzes über die Bestrafung aufgrund von Fakes war augenscheinlich eine unumgängliche. Und richtiger ist es sicherlich, sich die Frage nicht über die Notwendigkeit solch einer Norm, sondern über deren langfristigen Charakter zu stellen. Anders gesagt: Wird man das Gesetz abschwächen, nachdem die Operation abgeschlossen ist?

Allerdings macht es Sinn, sich auch gegenüber den Deklarationen der Bürger über die informationsseitige Sachkunde skeptisch zu verhalten. Die Menschen schmeicheln sich oft selbst. Beispielsweise kann sich hinter der erklärten Fähigkeit, glaubwürdige Informationen von Fakes zu unterscheiden, das einfach Können verbergen, klar und schnell einen „richtigen“ und einen „falschen“ Standpunkt zu fixieren. Der Mensch unterscheidet Typen des Diskurses, beurteilt aber nicht den Inhalt der Mitteilungen. Einer der Typen gefällt ihm und wird beispielsweise durch den Staat gebilligt. Den zweiten wirft er dementsprechend über den Haufen.

Eine wirkliche Fähigkeit, Informationen kritisch zu bewerten, wird anders ausgeprägt. Dies ist eine herausgearbeitete, eine entwickelte Gewohnheit. Erstens muss der Mensch dafür regelmäßig und über einen langen Zeitraum Informationen aus verschiedenen Quellen erhalten. Zweitens muss er Erfahrungen aus dem Gegenüberstellen dessen, was gesagt wurde, mit dem, was sich real ereignete, besitzen. Erfahrungen aus Beobachtungen. Die Fähigkeit, für sich den geeigneten Diskurs auszuwählen, ist hier unzureichend.

Das Vertrauen in die Massenmedien ist zweifellos ein Institut einer demokratischen Gesellschaft, deren Entwicklung in Russland schwerlich als eine zielgerichtete und rasante bezeichnet werden kann. Vertrauen bedeutet kein blindes Glauben. Es geht eher darum, dass jegliche Medien-Mitteilung unbedingt zwei Ebene enthält. Und eine Meinung, ein Standpunkt, mit der bzw. der man streiten kann, ist die zweite von ihnen. Die erste aber sind maximal überprüfte Fakten. Die Kultur der Vermittlung einer Nachricht entspricht der Kultur ihrer Aufnahme. Der russische Verbraucher muss noch lange bis dahin gehen, was immer auch die 62 Prozent der Umfrageteilnehmer deklarieren mögen. Und unter besonderen, unter anormalen Bedingungen ist dies umso mehr schwierig.