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Über die gegenseitige Anerkennung von Vakzinen und Zertifikaten


Die Europäische Union hat Ende letzter Woche Russland vorgeschlagen, die Möglichkeit einer gegenseitigen Anerkennung der Coronavirus-Impfzertifikate zu erörtern. Dies sagte der EU-Botschafter in Moskau, Markus Ederer. Nach seinen Worten „gibt es in der Europäischen Union digitale COVID-Pässe, die erlauben, zwischen den EU-Ländern zu reisen, und die normative Rechtsgrundlage, in deren Rahmen man sie einführte, erlaubt, analoge Zertifikate, die in Drittländer ausgestellt wurden, als äquivalente anzuerkennen“. Eine gegenseitige Anerkennung würden den russischen Reisenden das Leben erleichtern, die in Europa verweilen möchten.

Zu letzterem kann man hinzufügen: Solcherart Vereinbarungen könnten auch das Vakzinierungstempo in Russland beeinflussen. Die Bürger unseres Landes sind in den letzten Jahren auf den Geschmack hinsichtlich Reisen in die europäischen Länder gekommen. Wenn sie wissen würden, dass ihr Vakzinierungszeugnis in der EU anerkannt wird, würde wahrscheinlich die Sache schneller vorankommen.

Eine gegenseitige Anerkennung der Zertifikate bedeutet natürlich noch nicht, dass man sich künftig in den EU-Ländern mit „Sputnik V“ impfen lassen kann und dass man in den russischen Impfstellen die Bürger fragen wird, ob man sie mit einem einheimischen Vakzin impfen soll oder sie vielleicht einen ausländischen Impfstoff möchten. Ederer behauptet, dass der Zertifizierungsprozess für „Sputnik V“ in Europa eine technische Angelegenheit und keine politische sei und dass die Entscheidung keine voreingenommene sein werde. Ob dem so ist, ist schwer zu sagen. Letzten Endes verteidigt ein jeder seine Interessen – und die Interessen seiner Unternehmen. Frankreichs Außenministerium bekundete dieser Tage Bedauern im Zusammenhang damit, dass Griechenland bereit sei, die Menschen auf sein Territorium zu lassen, die mit russischen und chinesischen Vakzinen geimpft worden sind, die aber keine Billigung der EU-Arzneimittelbehörde (EMA) erhalten haben.

Man kann sagen, dass es in der Frage der gegenseitigen Anerkennung der Zertifikate und Vakzine keine Politik gebe. Es geht dabei um die Beziehungen von zwei bürokratischen Superorganismen – den russischen und den europäischen. Wenn sie dafür Gründe und die Möglichkeit haben, werden sie zu äußerst langsamen. Und gerade die politischen Spannungen – an der Grenze eines Kalten Krieges – erlauben den Bürokraten (und die EMA, dies ist natürlich eine Bürokratie), langsam, in ihrem Lieblingsregime zu arbeiten.

Durch die Langsamkeit der Bürokratien leiden die Bürger. Doch schließlich besteht darin der Sinn. Wenn irgendwer auf die Offiziellen irgendeines Landes Druck ausüben möchte, übt man ihn sehr oft gerade auf die Bürger aus. Sie, die Unannehmlichkeiten verspüren, sollen entsprechend dieser Logik auf ihre Regierungen einwirken und Unmut bekunden. In der Praxis funktioniert dies selten. Und die Bürokratie beschleunigt lediglich eine politische Erwärmung.

Eine solche Erwärmung ist in der nächsten Zeit nicht zu erwarten. Dabei haben sich die Menschen sowohl in Russland als auch in Europa innerhalb von 30 Jahren – auch wenn sie unterschiedliche politische Ansichten haben – doch abgewöhnt, unter den Bedingungen des Kalten Krieges und eines Eisernen Vorhangs zu leben. Eine solcher unangenehmen Bedingungen ist die faktische Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Die COVID-19-Pandemie erlaubt, solche Restriktionen beizubehalten. Dazu muss man nicht einmal Visa-Zentren schließen und das Personal der Konsulate verringern.

In den Beziehungen Russlands mit den westlichen Ländern ist nicht das verankert worden, was man als Maßnahmen für die Prophylaxe eines Kalten Krieges bezeichnen könnte. Er ist scheinbar nicht als eine generelle traumatische Erfahrung anerkannt worden. Derweil geht es um gewisse Basisprinzipien. Zum Beispiel: Bei jeglichen Konflikten der herrschenden Eliten müssen für die Bürger die Grundfreiheiten inklusive der Reisefreiheit garantiert sein. Das Bestehen solcher Prinzipien würde auch jetzt, bei allen bestehenden Pandemie-Befürchtungen veranlassen, schneller eine Lösung im Interesse der Menschen zu suchen. Ein Fehlen von Prinzipien aber erlaubt den Bürokraten, sich von der Konjunktur leiten zu lassen und keine erforderlichen Schritte zu unternehmen.