Nach dem Sotschi-Treffen mit Wladimir Putin vom 22. Februar hat der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko erklärt, dass von einem Beitritt seines Landes zu Russland, einer Fusion der Staaten und der Bildung gemeinsamer Verwaltungsorgane gar keine Rede sein könne. „Die Welt hat sich so sehr verändert, dass es einfach dumm sei, sogar in dieser Richtung zu arbeiten“, sagte Lukaschenko. Er versprach, dass die Verhandlungen zu den „Roadmaps“ für eine Integration, die seit dem Jahr 2019 faktisch ausgesetzt worden sind, wiederaufgenommen werden würden. Jedoch markieren die Worte über eine Fusion, eine Übernahme und den souveränen Charakter scheinbar vorab die Grenzen solch einer Integration und die Perspektiven der Gespräche markieren.
Er habe bei Putin um keinerlei Kredite gebeten, so Lukaschenko, sondern schicke sich lediglich an, einen Teil der Mittel, die beim Bau des weißrussischen AKW eingespart wurden, zu nutzen. In Weißrussland werde es, wie dessen Präsident behauptet, gleichfalls keinerlei Machttransit geben. Dort wird man einfach in etwa einem Jahr die Verfassung aktualisieren – oder umschreiben. Alles in allem: Alexander Lukaschenko spielt bestimmt die Rolle eines sicher auf den Füßen stehenden sparsamen Wirtschaftsmanns und nationalen Führers, bei dem im Land alles unter Kontrolle ist. Es ist unmöglich, anhand seines Verhaltens und seiner Rhetorik zu begreifen, dass noch vor nicht allzu langer Zeit mächtige Protestwellen durch Weißrussland wogten, man Oppositionelle und einfache Teilnehmer von Kundgebungen festnahm und Moskau dem Präsidenten des verbündeten Landes sogar bewaffnete Unterstützung ungeachtet der turbulenten zwischenstaatlichen Beziehungen in den letzten Jahren versprechen musste.
Der weißrussische Präsident hat sich mehrfach kritische Äußerungen gegenüber Moskau erlaubt, regelmäßig in Richtung des Westens tendiert. Und als man im vergangenen Sommer in Weißrussland russische „Kämpfer aus einer privaten Militärfirma“ festnahm, die angeblich vorgehabt hätten, die Lage im Land am Vorabend der Wahlen zu destabilisieren, hatte es den Anschein, dass dies zu einem Punkt in den Beziehungen des Kremls und Lukaschenkos werden kann, von dem es kein Zurück mehr gibt. Jedoch gaben im Herbst die Offiziellen der Russischen Föderation die Bildung einer Reserve von Vertretern der bewaffneten und Rechtsschutzorgane bekannt, die bereit seien, in die Angelegenheiten der Nachbarrepublik einzugreifen. Dies erlaubte gerade auch Lukaschenko, erneut Sicherheit zu erlangen. Und man bemühte sich, die Situation mit den „Kämpfern“ schnell zu nivellieren, wobei man dies alles den westlichen und ukrainischen Geheimdiensten ankreidete.
Im letzten halben Jahr hat sich die Lage von Lukaschenko natürlich verändert. Ihm ist weniger Raum für außenpolitische Manöver geblieben. Der Westen erkennt seine Legitimität nicht an. Doch in den Beziehungen mit der Russischen Föderation und mit Putin bemüht er sich dennoch, wichtig und unabhängig aufzuführen, wobei er auf jegliche Weise unterstreicht, dass in den Integrationsfragen nur ein Dialog gleicher Subjekte möglich sei.
Lukaschenko, der die Logik und Denkgewohnheiten der herrschenden russischen Elite versteht, scheint der Annahme zu sein, dass Moskau ihn in jedem Fall nicht fallen lassen werde.
Um was für Denkgewohnheiten geht es? Vor allem für den Block der Vertreter der bewaffneten Organe, der in der Lage ist, das Treffen von Entscheidungen in der Russischen Föderation zu beeinflussen, bleibt die wichtigste der Wissenschaften die Geopolitik. Auf dem internationalen Schachbrett ändert sich die Rolle von Weißrussland nicht. Und Russland kann es sich nicht erlauben, es nach den anderen Ländern der GUS zu verlieren.
Eine Aufgabe der Unterstützung für Lukaschenko bedeutet theoretisch ganz und gar nicht einen Verlust Weißrusslands als strategischen Verbündeten. Jedoch ist eine Alternative zum Setzen auf den amtierenden Präsidenten das Unterstützen der protestierenden Zivilgesellschaft. Aber das Problem besteht darin, dass die Vertreter der russischen bewaffneten und Rechtsschutzorgane sich überhaupt nicht daran gewöhnt haben, die Zivilgesellschaft als einen eigenständigen politischen Akteur wahrzunehmen. In ihrer Vorstellung gibt es die Herrschenden, gibt es das Volk, und es gibt die Feinde, die dieses Volk irreführen.
Solch eine Konfiguration wird überall bewahrt – in Russland, Weißrussland, Moldawien, in der Ukraine, in Ägypten, Libyen und Venezuela. Ein einfaches Schema, aus dem sich ergibt, dass man Lukaschenko unterstützen müsse, denn er ist die Macht. Und eine alternative Führung werde sich unweigerlich als eine feindselige erweisen, die fremden Interessen ungeordnet sei. Der weißrussische Präsident nimmt Russlands Unterstützung als eine Selbstverständlichkeit, als einen normalen Verlauf der Dinge an. Gerade deshalb wird seine Dankbarkeit wohl kaum irgendwann die Form von Integrationszugeständnissen annehmen.