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Über die Haltung von Russlands Bürgern zu den sogenannten ausländischen Agenten


Die Wortverbindung „ausländischer Agent“ löst bei Russlands Bürgern vorrangig negative Konnotationen aus. Sie stellen sich einen Spion vor, einen Verräter, einen Feind der Heimat. Sie haben von dem entsprechenden Gesetz gehört und unterstützen eher das Labeln jener mit dem Status eines „ausländischen Agenten“, die eine Finanzierung aus dem Ausland erhalten und sich mit einer politischen Tätigkeit in Russland befassen. Dies berichtete das kremlnahe Allrussische Meinungsforschungszentrum (VTsIOM) hinsichtlich der Ergebnisse einer durchgeführten Befragung.

Die Machtstrukturen, die mehrfach das Gesetz über ausländische Agenten initiierten, verabschiedeten und anwandten, müssten wahrscheinlich über solch eine gesellschaftliche Reaktion zufrieden sein. Wenn man sich jedoch aufmerksamer die Zahlen anschaut, so ist nicht alles so eindeutig.

Vor allem betonen selbst die VTsIOM-Mitarbeiter bei der Analyse der Umfrageergebnisse, wie selten die Befragten beim Sprechen über Assoziationen Formulierungen aus dem eigentlichen Gesetzeswortlaut anführen. Lediglich vier Prozent sagten, dass ein ausländischer Agent die Person sei, die im Interesse eines anderen Staates handele, und drei Prozent – dass dies eine Person sei, die eine Finanzierung aus dem Ausland erhalte. Von einem „Spion“ oder „Kundschafter“ sprachen 14 Prozent der Befragten, von einer „5. Kolonne“ sieben Prozent und von einem „Feind“ sechs Prozent.

Dies ist nicht erstaunlich. Trockene Gesetzesformulierungen anzuführen, bedeutet, sich mehr oder wenig neutral zu verhalten. Doch die Wortverbindung „ausländischer Agent“ wird von der Mehrheit gerade negativ wahrgenommen. Viele tauchen nicht tief in den politischen Kontext ein, in diese Geschichte der Frage. Dies ist jener Fall, bei dem die Markierung die erwarteten Assoziationen auslöst.

Zu erwarten ist auch dies, dass die meisten Bürger weder den eigentlichen Text noch die Rechtsanwendungspraxis studierten und wahrscheinlich auch nicht ausführlich studieren werden. „Gut informiert“ seien über das Gesetz nur 17 Prozent der Befragten. 53 Prozent hätten „irgendetwas gehört, kennen aber keine Einzelheiten“. 29 Prozent, das heißt etwas weniger als ein Drittel der Befragten, hätten von den VTsIOM-Mitarbeitern erstmals von dem Gesetz gehört.

Es geht nicht um eine marginale Abgeordneten-Initiative und nicht um eine Novelle, die in den Gesetzesbänden versteckt wurde. Dies ist eine sehr seriöse und aktiv angewandte Norm. Formal müssen der Menschen oder die Organisation, die als „ausländische Agenten“ eingestuft wurden, die zu verbreitenden Informationen markieren. Die reale Praxis ist eine solche, dass sich für sie wesentliche, mitunter blockierende Schwierigkeiten für die Finanzierung und das Funktionieren ergeben. De facto finden sie sich einen Schritt davon entfernt wieder, dass man sie als eine „unerwünschte“ Person oder Organisation einstuft. Und danach auch als Extremisten. In Russland legen viele diesen Weg sehr schnell zurück.

Der Staat erhält, der VTsIOM-Umfrage nach zu urteilen, die gewünschte gesellschaftliche Unterstützung für das Gesetz über ausländische Agenten. Die Qualität dieser Unterstützung ist aber eine sehr geringe. Selbst der VTsIOM-Querschnitt demonstriert, dass die Bürger schlecht wissen, was sie gerade billigen (dadurch ist eine Bevormundung der Bürger durch die Herrschenden ein Leichtes – Anmerkung der Redaktion).

54 Prozent der Befragten erklärten, dass man den Personen, Organisationen und Massenmedien, die eine ausländische Finanzierung erhalten und sich mit einer politischen Tätigkeit in Russland befassen, „eher den Status ausländischer Agenten verleihen muss“. 31 Prozent denken, dass man dies „eher nicht tun sollte“. Unter Berücksichtigung der aktuellen gesellschaftspolitischen Situation und der faktischen Blockierung oppositioneller Informationskanäle ist dies ein sehr hoher Prozentsatz an Gegen-Stimmen.

In der Altersgruppe von 18 bis 24 Jahren machen jene mehr aus, die dagegen sind, als jene, die dafür sind (42 bzw. 37 Prozent). In der Altersgruppe von 25 bis 34 Jahren sind die Werte gleiche – jeweils 43 Prozent. Die generelle Mehrheit der Anhänger für eine Vergabe des Status gewährleisten die Befragten von 35 und gar 45 Jahren und älter. Dies ist symptomatisch. Es ergibt sich, dass der Staat Gesetze im Interesse der „Generation der Vergangenheit“ verabschiedet (zu der auch Präsident Wladimir Putin gehört, der am 7. Oktober 70 wird – Anmerkung der Redaktion). Er orientiert sich an seinen Wahrnehmungsangewohnheiten und sein Weltbild. Dabei wirken hinsichtlich der „Generation der Zukunft“, der informierten und modernen, die Überzeugungsinstrumente – oder die der direkten Propaganda – nicht sehr effektiv. Die jungen Menschen haben aber bisher keine kritisch wichtige aktuelle Mehrheit gebildet. Daher ignorieren die Herrschenden vom Wesen her deren Stimmungen und Skepsis. Dies kann man jedoch wohl kaum für eine weitsichtige Praxis halten.