Die diesjährigen Wahlen zur Staatsduma hätten scheinbar nicht einmal einen Tag der Stille gebraucht. Die Wahlkampagne an sich wurde zu einer beispiellos stillen – ohne eine grundlegende Tagesordnung, ohne irgendeinen Ideen und Gedanken hervorbringenden und gehaltvollen Konflikt, in dem man die eine oder andere Seite hätte unterstützen und für sie stimmen können.
Der Hauptkonflikt entwickelte sich um die Zulassung einzelner Kandidaten zu den Wahlen und die Blockierung oppositioneller Polittechnologien. Wenn man dies als eine Taktik der Herrschenden ansehen will, so hat sie ihre Effektivität demonstriert. Die Opposition hat viel Zeit dafür aufgewandt, um die mit den Prozeduren zusammenhängenden und technischen Barrieren zu überwinden. Und Kräfte für eine gehaltvolle Wahlkampagne waren einfach nicht mehr geblieben (selbst wenn es Ideen gegeben hat).
Eine Nebenwirkung ist die Verringerung der Qualität der Auswahl. Für einen Oppositionellen oder seine Partei kann man aufgrund der aktuellen Geschichte ihrer Auseinandersetzung mit den Herrschenden, als Würdigung für die Leiden stimmen, aber nicht aufgrund ihrer politischen und Wirtschaftsvorschläge. Etwa das Gleiche kann man auch hinsichtlich der Technologie für das „Smart Voting“ („Kluges Abstimmen“) sagen. Die Methode des elektoralen Soufflierens hatte auch früher auf maximale Weise die Auswahl vereinfacht. Vorgeschlagen wurde, jenen Kandidaten zu unterstützen, der die größten Chancen hat, denjenigen zu übertrumpfen, der von den Herrschenden als Kandidat aufgestellt wurde. Ob dies nun ein Sozialist, Kommunist, Liberaler oder Nationalist ist, war unwichtig. Jetzt, da ein ungehinderter Zugang zu derartigen Tipps erschwert worden ist, haben auch die kritisch eingestellten Bürger ganz und gar keine Zeit für ein Überdenken ihrer Wahl.
Die Fernsehdebatten wurden zu einer Formalität. Es macht Sinn anzumerken, dass die regierende Partei „Einiges Russland“ sie ignoriert hatte. Und alle zu den Wahlen zugelassenen Parteien erhielten die entsprechend dem Gesetz zustehende Zeit. Die Opposition, selbst die systemkonforme und parlamentarische, die Probleme mit der Zulassung von Kandidaten hatte, hat scheinbar nicht immer begriffen, was für ein Spiel sie spielt, was für einen Umfang, welche Richtung und was für eine Schärfe der Kritik an den Herrschenden sie sich erlauben kann. Die ist ein Wahlregime, in dem die Bewahrung des Status quo (eben jener Mandate in der Duma, eben jener staatlichen Finanzierung für diejenigen, die die Sperrklausel nicht überwinden) als ein Sieg wahrgenommen wird. Es überrascht nicht, dass die Wochen der offenen, für eine öffentliche Beobachtung zugänglichen Debatten fast keinerlei Nachrichten hervorgebracht haben. Die Streitereien zwischen den Kandidaten blieben im Rahmen der TV- und Hörfunksendungen und schafften nicht den Sprung unter die Top-Meldungen der Informationsströme.
Einige taktische Wahlkampfschritte haben sich in der Praxis als wenig angewandte erwiesen. Das markanteste Beispiel ist die Vereinigung der Partei „Gerechtes Russland“ mit der Struktur von Sachar Prilepin, die imperiale, ultrakonservative, aus der Sicht der Verfassung mitunter gar radikale Ideen unterbreitete. Noch im Frühjahr hatte es den Anschein gegeben, dass bei den Wahlen ein gedanklicher Reizfaktor auftreten wird, der auch die übrigen, darunter auch die Herrschenden dazu veranlasst sich festzulegen, sich klar zu äußern. Damals konnte man denken, dass sich die Offiziellen selbst eine Grube graben. Was wird sein, wenn sich die radikal konservativen Ideen, die öffentlich proklamiert wurden, als populäre erweisen werden? Was wird, wenn sich herausstellt, dass die Herrschenden selbst nicht bereit sind, ihnen zu entsprechen? Was wird, wenn der Prozess außer Kontrolle gerät?
Tatsächlich jedoch haben die „Prilepin-Leute“ die Tagesordnung nicht aufgepusht, sie haben den Inhalt der Wahlen nicht spürbar beeinflusst. Es wurde nichts mit einer gesellschaftlichen oder politischen Diskussion um deren Ideen. Der taktische Sinn der Vereinigung ist auch so nicht zu Tage getreten. Entweder wurde angenommen, dass bei den Wahlen eine unvorhersehbare soziale Tagesordnung auftaucht und die Ultrakonservativen in solch einem Fall die Rolle eines Umschalters für die Aufmerksamkeit spielen können. Oder man wollte neue loyale Leute, die sich dann als nützliche bei der Ausarbeitung und Bestätigung von Gesetzen erweisen können, im Schlepptau in die Duma bringen. Wie dem letztlich auch sei: Der beabsichtigte elektorale Schachzug hat sich ganz und gar nicht als ein elektoraler und nicht auf die Aufmerksamkeit des Wählers setzender erwiesen, sondern eher als einer des Apparats. Dies kann man auch über die Wahlen in ihrer heutigen Form sagen. Sie erinnern immer mehr gerade an ein Ereignis des Apparats und nicht an ein politisches Ereignis.