Der russische Inlandsgeheimdienst FSB hat am Montag erklärt, dass er den Mord an der Journalistin und Politologin Darja Dugina (Platonowa), der Tochter des konservativen Philosophen Alexander Dugin aufgeklärt habe. Genannt wurde sogar ein Name der angeblichen Mörderin. Man bringt sie mit ukrainischen Geheimdiensten in eine Verbindung. Den Aufklärungsarbeiten hatte man bereits am Wochenende die Richtung für die Suche vorgegeben. Abgeordnete der Staatsduma (des russischen Unterhauses – Anmerkung der Redaktion) hatten in sozialen Netzwerken von einem „ukrainischen Terror“ geschrieben, von der Notwendigkeit, schneller „Schläge gegen die Zentren für die Annahme von Entscheidungen zu führen“. Die Version von der ukrainischen Spur hatte auch das Oberhaupt der Donezker Volksrepublik, Denis Puschilin, formuliert. Die offizielle Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa erklärte: „Wenn sich die ukrainische Spur bestätigt, muss man von einer Politik des Staatsterrorismus sprechen, die vom Kiewer Regime realisiert wird“.
Der Duma-Abgeordnete Alexander Chinstein (Kremlpartei „Einiges Russland“) schrieb in seinem Telegram-Kanal, dass es für die russischen Rechtsschutzorgane und die Untersuchungsbehörden „eine Sache der Ehre“ sei, den Mord an Dugina aufzuklären. Das Problem besteht darin, dass die zahlreichen Äußerungen von Politikern bereits ein Koordinatensystem für jene vorgegeben hatten, die sich mit dem Fall befassen. Sie hatte ihn in eine bestimmte Konjunktur eingetaktet. Die Untersuchungsbehörden hatten sozusagen eine Aufgabe, einen Auftrag erhalten: Nicht bloß die Mörder und Auftraggeber zu finden, sondern auch zu zeigen, dass sie mit Kiew in einer Verbindung stehen. Wie kann man keine ukrainische Spür finden, wenn das gesamte politische System sie bereits verspürt hatte und bereit war, „hart zu reagieren“?
Wenn etwas mit oppositionell eingestellten Politikern, Politologen und Journalisten passiert, selbst wenn dies ein Mord gewesen ist, demonstrieren die Untersuchungsbehörden eine variantenreiche Auswahl von Interpretationen. Es erklingen Versionen von häuslichen und Business-Konflikten, von Liebhaberinnen usw. Wenn aber eine Tragödie Gleichgesinnte der Herrschenden tangierte, werden andere Versionen – mit Ausnahme einer politischen – sozusagen von vornherein – vom Tisch gefegt. Darin gibt es in Russland natürlich nichts Überraschendes.
Fälle, in denen Politiker oder einfach die Offiziellen den Untersuchungsbehörden die Richtung vorgegeben hatten, kennt die russische Geschichte nicht wenige. Beispielsweise hatte Stalin nach der Ermordung von Sergej Kirow am 1. Dezember 1934 persönlich angeordnet, die Schuldigen unter den Sinowjew-Anhängern zu suchen. Dies war auch getan worden, obgleich, wie später Beteiligte der Ereignisse berichteten, viele Tschekisten an der Begründetheit solch einer Version gezweifelt hatten.
Die Version von der ukrainischen Spur im Fall von Darja Dugina musste man überprüfen. Die Untersuchungsbehörden dürfen aber keinerlei vorgegebene, keine Wunsch-Orientierungspunkte haben. Die Aufklärung muss vor allem eine qualitätsgerechte und unvoreingenommene sein. Und ihre Schlussfolgerungen – überzeugende. Letzten Endes ist dies eine Frage nicht nur der Gerechtigkeit, sondern auch der Sicherheit der Bürger. Sie müssen wissen und begreifen, warum unweit der Hauptstadt ein Auto gesprengt wurde, ein Mensch umgebracht wurde. Die Ansichten des Getöteten, seine Position als Bürger haben keine Bedeutung.
„Sicherheit“ ist hier das Schlüsselwort. Die Offiziellen begründeten und begründen gerade mit Sicherheitserwägungen die regelmäßig verhängten Einschränkungen, die Erweiterung der Vollmachten der Geheimdienste. Für sie muss es leichter zu arbeiten sein, um die Bürger zu schützen, darunter vor Terrorakten und Auftragsmorden. Der Tod von Darja Dugina ist ein spektakulärer Fall. Was immer auch die Ursache gewesen war, ergibt sich, dass die bevollmächtigten Behörden nicht immer ihren Teil des „Sicherheitsdeals“ erfüllen.
Wenn die Version von einer ukrainischen Spur durch die Offiziellen – und fast unweigerlich durch die Untersuchungsbehörden – als die hauptsächliche angenommen wird, so ergibt sich, dass die Geheimdienste Anschläge auf Menschen wie Dugina (oder die Dugins) befürchten und erwarten konnten und sich bemühen müssten, sie zu verhindern. Sie haben mehr Vollmachten als ihre Kollegen im Ausland. Den regelmäßigen Berichten in den Medien nach zu urteilen, gibt es auch Erfolge bei der Vereitelung von Terrorakten. Hier aber ist es merkwürdig zu begreifen, wenn die Untersuchungsbehörden sofort eine Arbeitshypothese und ein Motiv haben, dass der Mensch nicht vorab gewarnt und geschützt gewesen war und die Schritte der Täter vorausgesehen worden waren. Die ukrainische Spur befreit keinen von der Verantwortung und beruhigt überhaupt nicht die Bürger, die sehen, dass selbst bei den fast bis zum Anschlag angezogenen Daumenschrauben keinem die Sicherheit garantiert ist.
- S.
Überdies sind viele Bürger Russlands der Auffassung, dass die Version des russischen Inlandsgeheimdienst FSB keine wasserdichte ist. Noch gibt es viele offene Fragen, zu denen überzeugende Antworten notwendig sind. Allein die Tatsache des Vorliegens von Videos für einen Grenzübertritt der angeblichen Täterin und eines Aufsuchens des Wohngebäudes, in dem Darja Dugina lebte, ist zu wenig. Und noch etwas war in Moskau ein Thema rund um die Darja-Dugina-Tragödie. Präsident Wladimir Putin zeichnete die Moskauerin posthum mit dem Tapferkeitsorden aus, die bis zu der Tragödie für viele eine unbekannte Frau gewesen war. Sie fragen sich, durch was zeichnete sie sich aus, was hat sie für das Land an Bedeutsamen getan, vor allem wenn man an Spitzensportler oder die russischen Militärs, die derzeit an der Sonderoperation in der Ukraine teilnehmen, denkt?