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Über die moralische Bereitschaft Europas zu einem Dialog mit Russland


Finnlands Präsident Alexander Stubb erklärte, dass sich sein Land „moralisch darauf vorbereiten muss, dass in der Zukunft die Beziehungen mit Russland auf politischer Ebene wiederaufgenommen werden“. Er unterstrich, dass Russland Nachbar Finnlands sei und die Grenze mit einer Länge von 1350 Kilometern nichts ändern werde. Wann die Normalisierung beginnen wird, weiß Stubb nicht. Dies werde nach seinen Worten vom Ende des Konflikts von Russland und der Ukraine abhängen. Und davon, wie vom Prinzip her die Diskussion über eine Wiederherstellung der Beziehungen geführt werde. Finnlands Präsident sagte gegenüber Journalisten, dass die europäischen Spitzenvertreter Ende März die Frage diskutiert hätten, wann und wie man Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin beginnen könne. Für diejenigen, die auf eine Normalisierung der Beziehungen Russlands mit dem Westen warten, sind die Worte von Alexander Stubb wohl ein gutes Zeichen. Es verweist darauf, dass man auch in Helsinki, ja und überhaupt in Europa, einen Frieden und einen Kompromiss für unausweichliche hält. Dabei kann es paradox erscheinen dass gerade Stubb über eine Normalisierung spricht. In den letzten Monaten hat sich Finnlands Präsident in einen wahren „Falken“ verwandelt. Er hatte bereits aufgerufen, die „Ukraine bis zu den Zähnen zu bewaffnen“, dafür einen Waffenstillstand auszunutzen, aber auch von Russland Entschädigung zu fordern. Trump habe er laut seinen Worten gewarnt, dass es keinen Sinn mache, Russland Vertrauen zu schenken. Nach seiner Meinung würde Moskau speziell den Verhandlungsprozess in die Länge ziehen. Amerika müsse, meint Stubb, bereit sein, im Bedarfsfall für die Ukraine den Kampf aufzunehmen. Es ist klar, dass der bewaffnete Konflikt Moskaus und Kiews Vieles veränderte. Finnland hat es beispielsweise geschafft, der NATO beizutreten. Früher hatte dieses Land in Bezug auf Russland eine sehr pragmatische Politik verfolgt. Eben jene lange gemeinsame Grenze, die kulturellen Beziehungen und wirtschaftliche Erwägungen hatten dies verlangt. Präsident Stubb hat einfach an die objektive Realität erinnert. Die politische Agenda ignoriert recht oft diese Realität. An wen wenden sich die Politiker vom Schlage Alexander Stubbs, wenn sie appellieren, moralisch für eine Normalisierung bereit zu sein? Formell – an das gesamte staatspolitische System inklusive unterschiedlicher Parteien, vor allem aber – an die Gesellschaft. Denn die Entscheidungen der Politiker werden – erneut formal – als eine Projektion von Wünschen der Gesellschaft präsentiert. Anders gesagt: Die finnischen, polnischen, tschechischen und französischen Bürger reagieren auf bestimmte Weise auf den Konflikt von Russland und der Ukraine, nehmen eine konkrete Seite ein. Und die demokratisch gewählten Regierungen realisieren den Willen der Bürger, indem sie Sanktionen verhängen, militärische und andere Hilfe schicken, die Grenzen schließen, den Erhalt von Visa erschweren usw. Tatsächlich ist natürlich alles weitaus komplizierter. Die Finnen hatten sich daran gewöhnt, in Russland zu weilen, und Russlands Bürger – in Finnland (einige haben da sogar Immobilien und eine Aufenthaltsgenehmigung). Der Handelsaustausch war ein ständiger, das Passieren der Grenze – leicht. Und es ist bereits unwichtig, „wer als erster angefangen hat“. Wichtig ist, dass viele Menschen, ob sie nun Europäer oder Bürger Russlands sind, in ihren täglichen Gewohnheiten konservativ sind. Und die Ereignisse der letzten Jahre, die politischen Entscheidungen – sie haben diese Angewohnheiten beeinflusst. Dies bedeutet unter anderem, dass man die Bürger, die Gesellschaft für eine „Normalisierung“ nur in dem Fall vorbereiten muss, während die Politiker ihnen ständig und konsequent den Gedanken von einer neuen Ordnung und einer neuen Normalität suggerierten. Im Großen und Ganzen ist dem gerade auch so. Alexander Stubb löscht vom Wesen her das Feuer, in das er selbst in den letzten Monaten Öl gegossen hatte. Und genauso werden wahrscheinlich auch andere europäische Politiker vorgehen. Selbst als Donald Trump einen Verhandlungsprozess begonnen hatte, bestanden die Europäer weiter darauf, dass man sich bis zum Letzten halten müsse, dass man mit Russland nur von einer Position der Stärke aus sprechen müsse. Heutzutage haben aber scheinbar diese Politiker begonnen, die Bürger, die sich ihrer Worte erinnern konnten, darauf vorzubereiten, dass die Spitzenpolitiker Europas in der überschaubaren Zukunft anders reden sowie den Ton und die Akzente ändern müssen. Denn die einstigen Aussagen kann man ihnen vorhalten.