Nach dem Einheitswahltag vom September ist die generelle Aufmerksamkeit auf die nächste Wahlkampagne, auf die Präsidentschaftswahlkampagne im kommenden März umorientiert worden. Dmitrij Peskow, der Pressesekretär des russischen Staatsoberhaupts, erinnerte die Journalisten daran, dass Wladimir Putin bisher nicht erklärt habe, ob er antreten werde. Er fügte hinzu: „Wenn wir annehmen, dass der Präsident doch seiner Kandidatur zustimmen wird, so ist es offensichtlich, dass in unserem Land in der gegenwärtigen Etappe keiner mit dem Präsidenten konkurrieren kann“. Nach Aussagen von Peskow genieße Putin „eine absolute Unterstützung der Bevölkerung“. Dies seien „große Möglichkeiten und eine große Verantwortung“.
Es ist bereits nicht der erste Fall, dass Wladimir Putin sich nicht mit der Aufstellung seiner Kandidatur beeilt. Man kann sich des Jahres 2011 erinnern. Damals hatte man die Rochade „Putin-Medwedjew“ Ende September bekanntgegeben. Es besteht die Meinung, dass dies die Stimmungen der politisch aktiven Bürger beeinflusste und die Winter-Protestwelle fördern konnte. Heutzutage ist es schwierig, sich etwas Derartiges vorzustellen. Der kritisch eingestellte Teil der Gesellschaft erwartet nichts von den Herrschenden. Und die Oppositionskräfte, die in der Lage wären, Aktionen einer Ablehnung zu organisieren, sind im Großen und Ganzen niedergeschlagen, sind unterdrückt worden. Dennoch kann man den Wunsch der Offiziellen verstehen, den Zeitintervall zwischen der Aufstellung Putins als Kandidat und den eigentlichen Wahlen zu reduzieren. Je geringer dieser Zeitabschnitt ist, umso kompakter ist die Agenda und umso weniger gibt es Ereignisse und Faktoren, die den Ausgang der Abstimmung beeinflussen können.
Das letzte Mal hatte Putin seine Bereitschaft zu kandidieren erst im Dezember des Jahres 2017 bekanntgegeben. Damals hatten sich viele die Frage gestellt: Wozu so lange warten, da der amtierende Präsident ein hohes Rating besitzt. Wäre es da nicht besser, die Elite zu beunruhigen, ihr nicht auf die Nerven zu gehen? Putin selbst hatte damals betont, dass es im Gegenteil besser sei, die Elite in einer angespannten Situation zu alten. Wenn man den Beamten vorab mitteilt, dass sich nichts ändern werde, würden sie relaxen.
Jetzt wird sich der Präsident wahrscheinlich auch von solch einer Logik leiten lassen. Jedoch hat sich der politische Kontext im Vergleich zu den Jahren 2017/2018 spürbar verändert. Die sogenannte militärische Sonderoperation Russlands in der Ukraine dauert bereits ca. 570 Tage an. Reale Perspektiven für eine friedliche Beilegung des Konflikts sind bisher nicht auszumachen. Dieser Faktor beeinflusst regelmäßig das gesellschaftspolitische Leben. Es wäre beispielsweise merkwürdig gewesen zu behaupten, dass die Teilmobilmachung vergangenen Herbst die Bürger gleichgültig, ruhig gelassen habe. Unter diesen Umständen stellt man auch dem bereits erwähnten Peskow regelmäßig die Frage: Werden denn die Wahlen stattfinden? Und sowohl er als auch die Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission, Ella Pamfilowa, erklären, dass sie stattfinden würden. Wahlen kann man nur bei Verhängung eines Sonderregimes im Land canceln, was aber nicht geschehen ist. Eine Zusage Putins im Herbst, bei den März-Wahlen anzutreten, könnte in der Gesellschaft die Empfindung einer gewissen Stabilität bestärken. Radikale Veränderungen sind nicht vorauszusehen. Auf jeden Fall wollen die Herrschenden dies vermeiden.
Putin gibt jedoch bisher seine Bereitschaft nicht bekannt (Im Sommer wurde spekuliert, dass dies am 4. November – am Tag der Volkseinheit und Eintracht – erfolgen könne. – Anmerkung der Redaktion). Spekulationen um mögliche Nachfolger sind rar. Solche „Operationen“ schieben die Offiziellen üblicherweise rechtzeitig an. Im vergangenen Jahr haben sich aber keinerlei politische Figuren bemerkbar gemacht, sind nicht aufgefallen. Es ist schwer, sich eine Niederlage eines jeglichen Kandidaten der Herrschenden vorzustellen. Für sie ist aber auch das Gefühl einer Legitimität, einer totalen Unterstützung wichtig. Und dies vermitteln Zahlen. Wahrscheinlich ist dies auch die Aufgabe der bevorstehenden Wahlkampagne – ein Arbeiten für sehr gute Zahlen, für ein Ergebnis, das keine Fragen und Zweifel zurücklässt.
Ein Gefühl von Legitimität vermittelt auch die September-Wahlkampagne, die entsprechend allen Regeln des Kremls erfolgte, das heißt mit realen Kandidaten von Parteien, die den politischen Hintergrund ausmachen. Für die Herrschenden wird es wahrscheinlich wichtig sein, dass die politischen Strukturen für die Wahlen Status-Partner und keine technischen Kandidaten, sprich: Sparring-Partner für Putin aufstellen. Es ist klar, dass sie keine Wahlkampfdebatten mit Putin führen werden, sie werden untereinander streiten (und sich damit auch lächerlich machen – Anmerkung der Redaktion). Und die Bürger, wenn sie sich überhaupt für diese öffentlichen Rituale interessieren, können beurteilen, wie adäquat solch eine politische Offerte der realen Agenda ist, inwieweit sie überhaupt als eine Alternative zu Putin angesehen werden kann.