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Über die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme russischer Athleten an der Sommer-Olympiade


Die russischen Bogenschützen haben es abgelehnt, sich für die Olympiade in Paris zu qualifizieren. Im Verband für Bogenschießen sagte man, dass keiner der Sportler ohne Flagge und Hymne bei den Olympischen Sommerspielen antreten wolle. Überdies verlangt das Reisen zu den Qualifikationswettbewerben den Erhalt von Visa. Damit können sich ebenfalls Probleme ergeben. Damit werden auch Vertreter anderer Disziplinen konfrontiert. Der Verband für Bogenschießen hielt es für sinnlos, 2000 Schweizer Franken für die Arbeit einer speziellen Zulassungskommission auszugeben, da sie keinerlei Garantien gewährte.

Der Fall mit den Bogenschützen ist ganz und gar keine marginaler, sondern ein typischer. In ihm verquicken sich sowohl objektive Schwierigkeiten mit einer Zulassung als auch eine prinzipielle Haltung. Im Internationalen Olympischen Komitee hat man bereits nachgezählt, dass nicht mehr als 55 russische Sportler – alle in einem neutralen Status – nach Paris reisen werden. Die besten Chancen besitzen die Tennisspieler, Radrennfahrer, Ringer und Judoka. Es bleiben noch Quoten für Federballspieler, Schwimmer, Schützen und Ruderer. Mehrere Verbände (zum Beispiel der für Kunstturnen und rhythmische Gymnastik) haben es abgelehnt, an Qualifizierungswettbewerben teilzunehmen, da sie mit den Bedingungen des IOC nicht einverstanden sind.

Es macht Sinn, daran zu erinnern, dass bei den vergangenen drei Olympiaden – zwei Winter- und einer Sommer-Olympiade – die russischen Sportler gleichfalls ohne die Nationalhymne und Flagge angetreten waren. Dies hing mit einem Dopingskandal zusammen. Damals hatten mehrere Abgeordnete die Sportler aufgerufen, „sich nicht mit Schande zu beflecken“ und nicht zu den Spielen zu fahren. Lauter erklingen aber die Stimmen jener, die daran erinnerten, dass die Athleten das ganze Leben ihrer Sache gewidmet hätten, sie müssten jegliche Möglichkeit nutzen, um mit den Besten die Kräfte zu messen. Und die Fans in Russland würden auch ohne Flagge und Hymne wissen, wer unser Land vertritt und wen man unterstützen muss. Heutzutage bleiben die Argumente für eine Teilnahme an der Olympiade im Großen und Ganzen die gleichen. Es hat sich aber der politische Kontext verändert. Der Verzicht, zu den Olympischen Spielen zu fahren, wird als ein Verhalten aufgefasst, das von der Gesellschaft erwartet wird.

Bezeichnend sind die Worte des Vorsitzenden Olympischen Komitees Russlands, Stanislaw Posdnjakow. Er erklärte, dass das Olympische Komitee Russlands eine Teilnahme russischer Olympioniken an Olympischen Spielen zu nichtdiskriminierenden Bedingungen unterstütze. Posdnjakow unterstrich auch, dass es in Paris leider keine solchen Bedingungen geben werde. Neutrale Sportler würden laut seinen Worten nicht unter die Jurisdiktion des Olympischen Komitees Russlands fallen. Sie hätten ihre Fragen individuell mit dem Internationalen Olympischen Komitee zu klären. Bereits Ende vergangenen Jahres hatte Posdnjakow die Gewissheit bekundet, dass die meisten russischen Sportler die Reise zu den Spielen zu den Bedingungen des IOC für eine unangebrachte halten werden. „Jeder Mensch wählt seinen eigenen Weg in diesem Leben aus. In einigen Fällen deckt sich dieser Weg nicht mit den Erwartungen der öffentlichen Mehrheit“, erklärte er.

Irina Winer, die Präsidentin des Gesamtrussischen Verbands für rhythmische Gymnastik und eine berühmte Trainerin, bezeichnete eine Teilnahme an den Spielen in einem neutralen Status als eine erniedrigende. „Eine Mannschaft von Obdachlosen ohne Flagge, Hymne und Schlachtenbummler wird zur Olympiade fahren“, giftete sie. Dies ist in der Tat eine harte Formulierung. Dies ist aber keine vereinzelte Meinung. Somit formiert sich eine öffentliche Meinung. Und es scheint, dass sich die Sportler, die dennoch zur Olympiade fahren wollen, für eine Teilnahme an den Spielen beinahe rechtfertigen müssen. Die Bedingungen des IOC sind harte, die Realitäten der Qualifikationswettbewerbe sind noch härter. Aber auch innerhalb des Landes werden die Sportler de facto einem Druck ausgesetzt.

Der Pressesekretär des russischen Präsidenten, Dmitrij Peskow, hat jüngst erklärt, dass die Sportler, die eine Erklärung mit einer Verurteilung der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine unterzeichnen, in ihrem Land zu einer „Ausgeburt der Hölle“ werden würden. Solch eine Forderung wird jedoch vom IOC nicht gestellt. Folglich können die Athleten selbst entscheiden, ob sie nach Paris fahren oder nicht. Und in Russland wird man trotzdem auf die Olympia-Sieger stolz sein. In diesem Kontext rief Dmitrij Swistschew, der Vorsitzende des Staatsduma-Ausschusses für Körperkultur und Sport, auf, solche Sportler nicht als Verräter anzusehen. Dies kann man als ein Signal nach oben auffassen. Dies ist aber eher eine Reaktion auf die Welle, der man früher einfach nicht erlaubt hatte, zu entstehen.