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Über die türkische Sonderoperation und das russische Beispiel


Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat erklärt, dass er die Bedrohung beseitigen werde, die von den bewaffneten kurdischen Formationen im Norden Syriens und im Irak ausgehe. Und „keiner wird es wagen, gegen sein Land aufzutreten“, wenn es gegen den Terrorismus kämpft. Das türkische Staatsoberhaupt hat gleichfalls die neue Sonderoperation damit erklärt, dass Russland „seine Pflicht zur Säuberung des Nordens von Syrien und des Iraks von Terroristen erfüllte und zu erfüllen ablehnt“. Bisher geht es um Schläge aus der Luft und den Einsatz der Artillerie. Erdogan hat aber den Einsatz von Bodentruppen auch nicht ausgeschlossen. Die türkische Sonderoperation ist eine Antwort auf den jüngsten Terrorakt in Istanbul.

Für Russland war die Türkei in den letzten Monaten kein Verbündeter, blieb aber, was nicht weniger wichtig ist, eine Seite, die bereit ist, Gehör zu schenken, keine Sanktionen zu verhängen und sich von den eigenen Interessen leiten zu lassen. Wahrscheinlich werden solche Beziehungen auch gewahrt bleiben. Moskau und Ankara haben auch wesentlichere Meinungsverschiedenheiten in der jüngsten Vergangenheit überwunden. Jedoch begreift Erdogan unbestrittenermaßen, wann und in welcher Form er Russland Beanstandungen vorbringen kann. Und augenscheinlich ist jetzt dafür die passendste Zeit.

Der türkische Staatschef verstärkt sein Gewicht, wobei er die Abkühlung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen ausnutzt. Seine Ambitionen sind für alle sehr wohl bekannt. Erdogan propagiert konsequent die Ideen von der „turk-sprachigen Welt“, von der Türkei als eine starke Regionalmacht, einen wichtigen Player im Mittelmeerraum, im Nahen Osten, im Transkaukasus, in Mittelasien, weiter – in der islamischen Welt. Er ist bereit mit jeglichen Mitteln diesen Status und die von ihm proklamierten Interessen zu verteidigen, darunter auch mit militärischen. Und er hat dies nie verheimlicht. Wenn man den türkischen Präsidenten in der Rolle eines Vermittlers in jeglichen Prozess involviert, von Verhandlungen Moskaus und Kiews bis zum „Getreide-Deal“, so müssen alle Beteiligten begreifen, wenn sie damit verstärken. Man kann dies als eine unumgängliche Zahlung für eine teilweise Normalisierung bezeichnen.

Hat die russische Sonderoperation in der Ukraine Erdogan erlaubt, sich dahingehend sicherer zu fühlen, was die Anwendung von Gewalt in Syrien und im Irak angeht? Wahrscheinlich – ja. Die Türkei ist Mitglied der NATO. Und man kann von einem zweifachen Standard der Allianz sprechen. Sie verurteilen die einen aufgrund des Einsatzes militärischer Methoden, im Fall mit anderen (eigenen) schweigen sie. Jedoch macht es eher Sinn, von einer Krise der Mechanismen für eine Regelung derartiger Situationen auf internationaler Ebene zu sprechen. Alles steht und fällt vom Prinzip her mit den aktuellen politischen Konfigurationen. Und daher glaubt man in dem einen Fall nicht an das Motiv der Terrorismusbekämpfung, im anderen aber akzeptiert man es als eine Gegebenheit.

Überhaupt ist nicht nur Erdogan bereit und imstande, die von ihm verkündeten nationalen Interessen auf gewaltsamen Wege zu verteidigen. In der Welt gibt es nicht wenige Gebiete mit Konflikten, wo sich die Seiten entweder mit Mühen vor einem Beschießen zurückhalten oder sich nicht besonders vor diesem zurückhalten. Es gibt den Jemen, Es gibt da Bergkarabach. Es gibt ein ganzes Knäuel von Widersprüchen im Nahen Osten inklusive des Konflikts von Israel und Palästina. Das sind die Konflikte Indien-Pakistan, China-Taiwan. Sogar der des Irans und Saudi-Arabiens. Der Beispiele kann man eine Vielzahl anführen.

Wichtig ist, dass nicht ein einziger der Konfliktstaaten, von welcher Region der Welt auch immer die Rede sein mag, aus den gesamten weltweiten Prozess ausgeschlossen worden ist. Alle sind in Bündnisse, Allianzen sowie Ketten gegenseitiger Vereinbarungen und Interessen eingetaktet worden. Gerade dies und nicht irgendwelche klar festgeschriebenen Regeln für ein Verhalten in jeglichen beliebigen Situationen oder legitime übernationale Strukturen, denen sich alle unterordnen, bestimmt, wie und wer sich zu typischen Situationen verhält. Die militärische Sonderoperation Russlands ist eine solcher Situationen.

Die russische Sonderoperation, die am Donnerstag in den zehnten Monat geht, hat die faktische Demontage des globalen Systems der Gewichte und Gegengewichte beschleunigt, dessen Widersprüchlichkeit unterstrichen. Moskau ist gegen die Regeln vorgegangen, die es mehrfach ablehnte und an deren Schaffung es nicht teilgenommen hat. Dieser Aufstand wurde zu einem Signal für die Führung jener Staaten, die in einer „normalen“ Situation nicht die territorialen und Grenzkonflikte zu ihrem Nutzen lösen konnten.