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Über die Verantwortung für Worte in Konfliktzeiten


Die Streitkräfte der Donezker Volksrepublik hätten keine chemischen Waffen in Mariupiol für die Erstürmung von Positionen der ukrainischen Nationalisten in der Industriezone der Stadt eingesetzt, erklärte der offizielle Sprecher der Volksmiliz der von Moskau anerkannten Donbass-Republik, Eduard Basurin. Wahrscheinlich hätte er selbst nicht darüber sprechen gemusst, wenn nicht selbst am 11. April Worte formuliert hätte, die in der Lage sind, Verdachtsmomente und Besorgnis auszulösen.

Damals hatte Basurin erklärt, dass der Mariupoler Betrieb „Asowstahl“ von ukrainischen Kämpfern in eine wahre Festung verwandelt worden sei. Es zu erstürmen, bedeute, „eine große Anzahl unserer Soldaten zu opfern“. „Man muss sich Klarheit hinsichtlich der Blockierung dieses Betriebs verschaffen sowie alle Aus- und Eingänge finden“, sagte der Vertreter der Volksmiliz. „Und danach sich bereits, denke ich, an die chemischen Truppen wenden, die eine Form finden werden, wie man die Maulwürfe aus ihren Höhlen ausräuchern kann“.

Die russische Seite behauptet, dass gegen sie ein wahrer Informationskrieg entfesselt worden sei, es würden Fakes vervielfältigt, sich die Provokationen häufen. Und es würden Beweise über angeblich von Militärs der Russischen Föderation verübte Verbrechen fabriziert werden. Zu solch einem Moment scheinen Worte über die Notwendigkeit, „sich an die chemischen Truppen zu wenden“, eine Freiheit zu sein, die an Verantwortungslosigkeit grenzt. Und dies ist gelinge gesagt. Es ist leicht, sich an solche Worte festzuklammern. Und da mussten Militärexperten bereits erklären, dass Basurin keine chemischen Waffen im Blick gehabt hätte, sondern „Spezialmittel mit einer nichtletalen Wirkung“, die in der Lage sind, einen Menschen einzuschläfern. Nur wird sich da irgendwer mit den Details befassen?

Erklärungen, die man schwerlich als verantwortungsvolle bezeichnen kann, sind auch aus Europa zu vernehmen. Beispielsweise hat der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell während seines Kiew-Aufenthaltes begonnen, nicht einfach über Militärhilfe für die Ukraine, sondern auch von der Notwendigkeit, „auf dem Gefechtsfeld zu siegen“, zu sprechen. Er wiederholte diese Worte, als man ihnen Tag später danach befragte. Für einige Journalisten konnte der Eindruck entstanden sein, dass sie sich verhört und den europäischen Diplomaten nicht richtig verstanden hatten.

Bisher sprachen westliche Politiker oft darüber, dass man der Ukraine Militärhilfe gewähre und Sanktionen gegen Russland verhänge, um die Positionen Kiews bei den Verhandlungen zu verstärken. Dies ist eine Logik. Borrell hat scheinbar eine andere vorgeschlagen. Und es ist nicht so leicht, sie richtig zu verstehen, zu interpretieren. Bemerkenswert ist, dass die EU, die der spanische Politiker repräsentiert, keine eigenen Streitkräfte im Unterschied zu den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union hat. Interessant ist gleichfalls, dass die Spitzenvertreter Frankreichs, Deutschlands, Italiens, Spaniens, der Niederlande und Österreichs Kiew nicht aufrufen, den Konflikt auf dem Gefechtsfeld zu lösen. Solch eine Entscheidung bedeutet einen unweigerlichen Tod vieler Menschen, womit auch alles enden mag.

Man kann sagen, dass es die Führung konkreter Länder gewohnt ist, sich verantwortungsvoller zu äußern als die Eurobeamten, Europarlamentarier und insgesamt die Europolitiker. Zur gleichen Zeit trifft die konfliktbeladene Zeit auf offenkundige Art und Weise die Kultur der Äußerungen. Worte werden zu ausschließlich gefragten. Es genügt, sich als ein Beispiel anzuschauen, wie viele Pressekonferenzen und Interviews die offiziellen russischen Vertreter derzeit geben. Das gleiche gilt auch für jegliche Herrschenden. Man kann sich nicht vorstellen, dass all diese Worte ausgewogene, widerspruchsfreie sowie stets korrekte und verantwortungsvolle sein werden.

Die Zeit eines bewaffneten Konflikts ist gleichfalls ungünstig für die Diplomatie als ein Typ des Diskurses. Dies kann paradox erscheinen: Erwartet etwa nicht die ganze Welt, dass gerade Diplomaten den Seiten helfen, sich zu einigen, nötige Formulierungen zu finden? Im Regime eines tagtäglichen Reagierens auf Ereignisse hört jedoch die für die Außenministerien gewohnte Arbeit zur Vorbereitung von Äußerungen auf, eine gefragte und notwendige zu sein. Doppeldeutige Gedanken, vage Formulierungen, die unterschiedliche Auslegungen zulassen und das Vermögen, so zu reden, dass nichts gesagt wird – all dies wird unnötig. Und dies unter Stressbedingungen zu bewerkstelligen, ist schwierig.

Das Ergebnis sind Worte von chemischen Truppen oder von einem Sieg auf dem Schlachtfeld. Jegliche solche Äußerung ist explosionsgefährlich. Es scheint jedoch auch unausweichlich – unter Berücksichtigung der Bedingungen.