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Über eine Teil- und Nichtteilnahme von Dmitrij Medwedjew an den Wahlen


Vor den Wahlen zur Staatsduma bewahrt die Kremlpartei „Einiges Russland“ ein Geheimnis? Wie wird der föderale Teil ihrer Kandidatenliste aussehen? Wieviel werden ihm angehören und wer wird ihn anführen? Im Verlauf der letzten zwei Kampagnen war die Nummer 1 der Liste Dmitrij Medwedjew – zuerst als Präsident und danach auch als Premierminister. Und damit hatte sich die Partei beschränkt.

Es ist recht wahrscheinlich, dass auch dieses Mal Medwedjew dem föderalen Teil der Liste angehören wird. Es ist aber keine Tatsache, dass der Ex-Präsident und Ex-Premier dort allein sein wird. Laut Angaben einer Reihe von Medien, die auf ihre Quellen verweisen, erörtere man im Kreml unterschiedliche Varianten, darunter auch solch eine, bei der Medwedjew überhaupt nicht in der Liste vorkommt.

Es ist die Version zu vernehmen, dass zur Nummer 1 der Liste der amtierende Regierungschef Michail Mischustin werden könne. Eine Logik liegt dabei natürlich vor. „Einiges Russland“ haben bei den Wahlen oft gerade die Regierungschefs angeführt. Laut Angaben des staatlichen Meinungsforschungsinstituts VTsIOM haben mit Stand Ende Mai Mischustin 51,4 Prozent der Befragten vertraut. Zum Vergleich: Medwedjew – nur 23,3 Prozent. Hinsichtlich dieses Wertes liegt er sogar hinter den Führern der anderen Parlamentsparteien. Dem ehemaligen Präsidenten und früheren Premier haben 66,6 Prozent der Befragten das Vertrauen versagt, wie VTsIOM mitteilt. Für eine Führungsrolle in der Liste zu den Wahlen wäre dies ein ziemlich riskanter Einsatz, wenn man sich gerade von der Logik der elektoralen Ratings leiten lässt.

„Oben“ sieht und versteht man natürlich all dies. Zur gleichen Zeit wäre aber eine faktische Suspendierung Medwedjews von einer Teilnahme an der Duma-Wahlkampagne wahrscheinlich ein zu drastischer Schritt für die herrschende Elite. In ihren Entscheidungen lässt sie sich bei weitem nicht immer von Erwägungen des elektoralen Pragmatismus leiten. Letzten Endes hat Dmitrij Medwedjew als Premier und besonders als Präsident seine Rolle gespielt. Er hat das Vertrauen von Wladimir Putin nicht enttäuscht. Selbst als sich die Konjunktur so ergeben hatte, dass in der Elite eine Spaltung möglich geworden war. Und ein erheblicher Teil der aktiven Bürger bereit war, ihn zu unterstützen.

Im russischen Machtsystem wird solch ein Verhalten geschätzt. Man kann Medwedjew schrittweise von der Annahme wichtiger Entscheidungen fernhalten, aber man wird wohl kaum, seinen Status öffentlich untergraben. Laut einigen Angaben habe er in der letzten Zeit dahingehend aktiverer gewirkt, was das Parteileben angeht. Äußerungen von Medwedjew tauchen regelmäßig über die Ticker der Nachrichtenagenturen auf. Allerdings klingen einige von ihnen – beispielsweise über eine generelle Vakzinierung – merkwürdig. Sie müssen danach erläutert werden.

Die Variante, bei der Medwedjew auf der Liste stehen wird, aber nicht allein, sondern inmitten anderer speziell ausgewählter Kandidaten, scheint ein Kompromiss zu sein. Die Offiziellen erkennen sowohl seine Verdienste vor dem System an, stimmen aber gleichzeitig faktisch dem zu, dass das aktuelle politische Profil des Ex-Regierungschefs und Ex-Präsidenten der Partei keine zusätzlichen Punkte bringen werde. Eher umgekehrt: Er kann ihr sein Antirating vermachen. Allein Medwedjew in den föderalen Teil der Kandidatenliste von „Einiges Russland“ wie früher aufzunehmen, würde wie eine übermäßige Demonstration ihrer Überlegenheit aussehen, die Haltung zu den Wahlen wie zu einer gewissen Formalität unterstreichen, in deren Rahmen man jeden beliebigen nominieren könne. Es gibt ja doch keine Konkurrenten.

Dmitrij Medwedjew müsste sich wohl mit solch einer Kompromissvariante abfinden. Dies ist bezeichnend und in irgendeiner Art und Weise sogar frappierend, dass ein Mann mit riesigen Führungserfahrungen auf höchster Ebene langsam aus der Politik verschwindet, anstatt zu helfen, das System auszubalancieren und in ihm alternative starke Zentren zu bilden.

Jedoch ist für einen Politiker das Gespür wichtig. Er muss spüren, wenn seine Zeit kommt, und darf sie nicht verpassen. Die Zeit von Dmitrij Medwedjew war an der Wende der Nulljahre und des zweiten Jahrzehnts dieses Jahrtausends gekommen, als in der Gesellschaft das Bedürfnis nach einem System-Liberalismus noch recht stark war, als die kritisch eingestellten Bürger bereit waren, eine neue Konfiguration der Macht, ein neues Angebot, ein neues Gesicht anzunehmen. Medwedjew hat nicht dieses Kapital für einen Deal innerhalb des Systems genutzt. Er traf damals eine andere Entscheidung, wobei er seine Zeit nicht begriffen oder nicht gespürt hatte. Die Herrschenden sind ihm allerdings dafür dankbar.