Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Über Memoranden und das Regime einer Geheimhaltung


Die russische Seite hat der ukrainischen vorgeschlagen, ein neues Treffen am 2. Juni in Istanbul durchzuführen. Dies hatte Russlands Außenminister Sergej Lawrow am 28 Mai erklärt. Diese Information hatte auch der Leiter der russischen Delegation, Wladimir Medinskij, den Ukrainern übergeben. Bei dem Treffen am kommenden Montag sollen die Vertreter Russlands den vorbereiteten Entwurf für ein Memorandum vorlegen, in dem „die Position zu allen Aspekten für eine sichere Überwindung der ursprünglichen Ursachen der Ukraine-Krise dargelegt sein werden“. Der Leiter der Delegation der Ukraine, Verteidigungsminister Rustem Umerow, teilte seinerseits mit, dass er Medinskij bereits das entsprechende Kiewer Dokument übergeben hätte. Er bekräftigte, dass sein Land „zu einer vollständigen und bedingungslosen Feuereinstellung und einer weiteren diplomatischen Arbeit“ bereit sei. Den Termin des 2. Juni scheint Kiew zu akzeptieren (obgleich bei Redaktionsschluss noch keine offizielle Mitteilung dazu von der ukrainischen Seite gekommen war – Anmerkung der Redaktion). Es gibt da aber eine Nuance: Die ukrainische Seite möchte den russischen Entwurf für das Memorandum bis zum Montag erhalten, damit „das Treffen kein leeres wird“, damit Kiew Zeit „für eine Verarbeitung“ der Informationen hat. (Der ukrainische Außenminister Andrej Sibiga erklärte am Freitag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem türkischen Amtskollegen Hakan Fidan, dass Moskau dieser Bitte bisher nicht entsprochen habe – Anmerkung der Redaktion). Daher steht die Frage im Raum: Wird sich Moskau darauf einlassen? Am Mittwoch, dem 28. Mai, noch bevor das Datum für die voraussichtliche zweite Verhandlungsrunde in Istanbul genannt wurde, hatte der Pressesekretär des russischen Präsidenten, Dmitrij Peskow, Journalisten gesagt, dass am Entwurf für das Memorandum gearbeitet werde. Es kann angenommen werden, dass man die endgültige Variante des Wortlauts bis zum Ende der Woche vorbereiten wird (aber nicht veröffentlichen werde, wie Peskow am Freitag bei seinem täglichen Telefon-Briefing für den Kreml-Pool betonte – Anmerkung der Redaktion). Scheinbar hat niemand geplant, diesen den Ukrainern bis zum Treffen zuzusenden. In den Handlungen von Umerow kann Moskau die bereits gewohnte Hast ausmachen, die auf eine mediale Wirkung abzielt, wie dies der Fall war, als Wladimir Selenskij Wladimir Putin in der Türkei „erwartete“. Mehr noch, da ergibt sich, dass die russische Seite schon den Text der anderen Seite hat. Und gerade sie kann ihn „bearbeiten“, obgleich sie nicht gebeten hatte, diesen zuzusenden. Dmitrij Peskow hatte mitgeteilt, dass Russland nicht den Inhalt über die Medien austauschen wolle. Dies ist eine völlig verständliche Einstellung. Verhandlungen lieben Stille. Peskow hatte den Journalisten gleichfalls gesagt, dass die Presse nicht wenige Fakes publiziere, die den Verhandlungsprozess betreffen. Er führte kein Beispiel an, man kann sich aber des Mai-Treffens der Delegation in Istanbul erinnern. Als es nach weniger als zwei Stunden beendet wurde, tauchten in den Meldungen der Nachrichtenagenturen und sozialen Netzwerke Informationen über ein Scheitern auf, darüber, dass Kiew die Vorschläge Moskaus für inakzeptable halte. Es stellte sich jedoch sehr bald heraus, dass die Seite eher mit dem Treffen zufrieden gewesen waren, dass sie sich über einen beispielslosen Gefangenenaustausch und über die Ausarbeitung eines Memorandums geeinigt hatten sowie bereit seien, die Idee für einen direkten Kontakt der Präsidenten zu prüfen. Es ist schwer, ein grundlegendes Vertrauen zwischen den Seiten zu erreichen. Und eben auch deshalb wird Moskau wohl kaum vorab sein Dokument Kiew übergeben. Es besteht keine Gewissheit hinsichtlich dessen, dass dessen Inhalt zu einem Gut der Massenmedien wird. Dies würde einen zusätzlichen Medienrummel auslösen, Äußerungen und Kommentare von beiden Seiten provozieren, das Treffen gefährden oder ihm eine zusätzliche Agenda aufzwingen sowie in die Hülle eines skandalösen Charakters und von Erwartungen zwängen. Moskau hat bereits mehrfach demonstriert, dass es so nicht arbeiten möchte. Das Regime einer Geheimhaltung und Stille ist für Russland ein bevorzugtes. Es ist aber schwer zu realisieren. Info-Leaks und direkte gesteuerte Publikationen in den Medien wird es trotzdem geben. Unter Berücksichtigung des gesteigerten Interesses für die Verhandlungen, werden sie überdies mit einem Schlag hochgeschaukelt. Wenn es gelingt, Info-Leaks zu vermeiden, werden sie die Phantasien der Journalisten ersetzen, die ihre Ziele verfolgen. Die Entwürfe für das Memorandum können an und für sich recht harte seien. Kompromisse werden gerade am Verhandlungstisch diskutiert, wenn die Positionen klar dargelegt worden sind. Dabei sind sich die Seiten aber in dem Wunsch einig, den Konflikt zu beenden oder zumindest zu stoppen. Wenn die Varianten für das Memorandum vorab veröffentlicht werden, wird dies eine starke Wirkung in den Medien auslösen, und in den Ländern Wellen von Patriotismus und Appelle, „auf seinem zu bestehen“, provozieren. Und dies ist ein zusätzlicher gesellschaftspolitischer Druck auf die Teilnehmer des Prozesses. Und ihn zuzulassen, können die Teilnehmer der Gespräche wohl nur dann, wenn sie sich vorbereiten, ihre Kompromisslosigkeit am Verhandlungstisch zu rechtfertigen. Für die Talks wäre dies keine schlechte Ausgangsposition.