Der Präsident der Ukraine, Wladimir Selenskij, hat erklärt, dass Kiew bis Ende November einen Aktionsplan für das Erreichen von Frieden vorbereiten werde. Bald sollten laut seinen Worten „detaillierte Diskussionen mit geeigneten Ländern zu Fragen der territorialen Integrität“ beginnen. Zuvor hatte Selenskij in einer seiner Interviews für westliche Medien Folgendes gesagt: „Beim „zweiten Friedenssummit“, wenn der Plan vollkommen fertig ist, wenn Russland bereit sein wird, diesen Plan durchzusprechen, werden wir zusammen mit den Partnern und mit Vertretern Russlands sprechen. Und ob dies Putin sein wird oder nicht Putin, was macht das für einen Unterschied“.
Diesen Worten habe n viele Beachtung geschenkt. Die Sache ist die, dass in der Ukraine ein Präsidentenerlass existiert, der untersagt, Verhandlungen mit den amtierenden russischen Herrschenden – kurz gesagt: mit Wladimir Putin – aufzunehmen. Aus den Erklärungen von Selenskij ergibt sich aber, dass unter passenden Bedingungen diese von ihm selbst verhängte Norm für die Kiewer Offiziellen zu keiner obligatorischen wird.
In den Erklärungen von Wladimir Selenskij gibt es viele „wenn“ und „falls“. Vertreter seiner Administration (seines Office) unterstreichen dabei, dass die Ukraine zu Verhandlungen „zu gerechten Bedingungen“ bereit sei, doch dazu ist Russland nicht bereit. Strikt genommen: Um sich endgültig festzulegen, wer und zu welchen Bedingungen bereit ist, den Verhandlungsprozess an sich zu beginnen. Derzeit ist die Situation derart, dass das Gerede von Verhandlungen und der Notwendigkeit, zu einem Frieden zu kommen, eine global zu billigende politische Rhetorik ist. Moskau und Kiew bemühen sich, diesem Trend zu entsprechen. Die Erklärungen von Selenskij erklären einige europäische Politologen ganz und gar auch mit dem wahrscheinlichen Sieg von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen. Kiew müsse jetzt nachgiebiger sein.
Nachdem russische und ukrainische Offiziell Bereitschaft zu Verhandlungen deklarieren, stellt sich schnell heraus, dass sie unterschiedliche Vorstellungen über eine gerechte Beendigung des Konflikts haben. Dennoch sind die Aussagen Selenskijs über die Möglichkeit, mit Putin zu sprechen, wichtig. Sie zeigen (oder erinnern eher daran), dass es auf der Ebene verabschiedeter Gesetze und Beschlüsse, politischer Erklärungen, artikulierter lautstarker Worte und formulierter Charakteristika im Großen und Ganzen keine Punkte gibt, von denen aus es kein Zurück mehr gibt. Wenn es die Umstände verlangen, kann man alles Gesagte vergessen und alles Verabschiedete canceln.
Man kann die Auffassung vertreten, dass es die russische Seite geschafft hat, auf den Erlass von Selenskij über eine Unzulässigkeit von Verhandlungen mit Putin zu antworten. Im Frühjahr begann man im Kreml von einem Ablauf der Amtszeit der amtierenden ukrainischen Offiziellen zu sprechen. Die Schlussfolgerung, zu der man in Moskau gekommen war, war etwa solch eine: Der in der Ukraine verhängte Kriegszustand bedeute nicht, dass das Mandat von Selenskij verlängert werde. Folglich löse seine Legitimität Fragen aus. Und dies bedeutet dass sich Russland darüber Gedanken machen muss, mit wem Verhandlungen geführt werden können. Im Zusammenhang damit hat man in der Russischen Föderation keinerlei Erlasse und Gesetze verabschiedet. Die Position ist aber deutlich gemacht worden.
Bedeutet dies, dass Moskau wirklich nichts mit Selenskij zu unterschreiben beginnt? Wohl kaum. Und die Motivierung kann hier mit den Erklärungen von Selenskij ähnlich sein: Wenn Kiew bereit ist, sich zu nach Moskaus Meinung gerechten Bedingungen zu einigen, so ist es auch zulässig, mit den amtierenden Herrschenden Dokumente zu unterzeichnen. Politische Statements sind Einsätze in einem großen Spiel. Sie werden oft erhöht, um sich danach auf Zugeständnisse einlassen und die Bereitschaft zu einem Kompromiss markieren zu können, ohne etwas Bedeutenderes zu opfern.
Die Punkte in dem Konflikt, von denen aus es kein Zurück mehr gibt, bestehen in etwas anderem. In den Opfern, deren Anzahl zunimmt. Dies beeinflusst die Bereitschaft zu einem Kompromiss innerhalb beider Länder, selbst wenn sich eine natürliche Ermüdung aufgrund des Konflikts akkumuliert. Für die Menschen, die sich an der Macht befinden, wird es immer schwieriger, jede beliebige Vereinbarung ohne politische Risiken für sich zu vermitteln. Die Situation von Selenskij wird auch noch dadurch erschwert, dass nach einem abgeschlossenen Friedensvertrag (und die aktuellen Bedingungen sind für Kiew gelinde gesagt keine sehr günstigen) doch Wahlen ausgeschrieben werden müssen und er an ihnen augenscheinlich teilnehmen wird.