Gennadij Sjuganow hat sich mit einem Appell an die Bürger Russlands gewandt, wobei er sich als Führer der linkspatriotischen Kräfte und nicht bloß als Vorsitzender des ZK der KPRF bezeichnete. Das Bild des gesellschaftspolitischen Lebens, das sich aus dieser Botschaft ergibt, sieht so aus: Es gibt die Volksmassen. Es gibt den Präsidenten, dessen Ansagen „ausschließlich wichtig“ seien. Gegen ihn fliegt nicht ein einziger kritischer Pfeil. Und es gibt eben jene linkspatriotischen Kräfte, und vor allem die Kommunisten. Sie können und wollen als Vermittler zwischen dem Präsidenten und den Massen dienen, „interessante Vorschläge“ unterbreiten. Dies würden jedoch die „Führungsriege“ der Kremlpartei „Einiges Russland“, ihre Gleichgesinnten in der Regierung und das Team der Russophoben und Antisowjetler in der Administration des Präsidenten verhindern.
Der Appell an die Bürger sieht eher wie ein Appell an den Präsidenten aus, im besten Falle – im Namen eben jener Volksmassen, deren Interessen die linken Patrioten zu vertreten bereit sind. Dies erinnert an eine gewisse Art von Ausschreibung um das Recht, unter Wladimir Putin die Hauptpartei zu sein, seine Initiativen zu unterbreiten, auf deren vorrangige Behandlung Anspruch zu erheben sowie das politische Basis-Narrativ zu formulieren. Natürlich ist es schwierig, solch einen erfahrenen Akteur wie Gennadij Sjuganow einer Naivität zu verdächtigen. Er wird wohl kaum ernsthaft auf das setzen, dass der Präsident die Vertreter von „Einiges Russland“ aus seinem Gesichtskreis verscheucht und die Kommunisten näher zu sich bringt. Dies ist eher eine Fortsetzung des Kampfes um einen Platz an der Sonne, der Versuch, sich auf eine gesellschaftliche Phantommeinung zu stützen und eine Marginalisierung seiner Partei zu verhindern.
Die Kommunisten muss unter anderem das Auftauchen der Partei „Neue Leute“ beunruhigen. Sie wollen dieses Signal richtig entschlüsseln. Bedeutet es, dass das politische System umgebaut wird, dass „Einiges Russland“, die gezwungen ist, mitunter eine liberal-marktwirtschaftliche Position in der Duma (dem Unterhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) einzunehmen, diese Agenda an die neue Partei abtritt und sich selbst ruhig und zuversichtlich links positioniert, womit der Aufenthalt der derzeitigen System-Oppositionellen im Parlament zu einem sinnlosen wird? Solche Gedanken können in den Hirnen der KPRF-Führung kreisen, die sich um ihre Zukunft Sorgen macht. Sie kann sich keine Untätigkeit erlauben. Von daher die Appelle und Botschaften.
Sjuganow spürt die Konjunktur. Und deshalb schmuggelt er die „Russophoben“ in seinen Appell ein. Patriotismus und antiwestliche Einstellungen dominieren gegenwärtig im politischen Diskurs. Und natürlich gibt es in der Putinschen Elite jene, die in „Gewalt“-, in Beschützer-Kategorien denken, und angenommene „Liberale“. Der patriotische Diskurs spielt jedoch eine elektorale und mobilisierende Rolle. Eine Spaltung im Spitzenestablishment zu erreichen, indem an solche Kategorien appelliert wird, ist äußerst schwierig. Putin verfügt über die tatsächliche Machtfülle, hält die im Innern inhomogene Elite vor einer Desintegration und einem verderblichen Konflikt zurück, garantiert ihr eine politische Zukunft. Es ist schwerlich zu erwarten, dass er beginnen wird, sich anders zu verhalten.
Das Gerede von den „Antisowjetlern“ ist für die KPRF ein gewohntes, sieht aber mit jedem Wahlzyklus immer mehr wie ein veraltetes, ein ineffizientes aus. Die Generationen, für die das postsowjetische Ressentiment aktuell ist, treten von der Bühne ab. Immer weniger Bürger, die ihr Wahlrecht realisieren, erinnern sich an die Sowjetunion, insbesondere an die mehr oder weniger guten Perioden in ihrer Geschichte. Die Kommunisten an sich treiben sich von Jahr zu Jahr selbst in die kleine Nische. Und dem Appell der linkspatriotischen Kräfte nach zu urteilen, schlagen sie Putin vor, ihnen zu folgen.
Selbst die Offiziellen erkennen an, und dies von den allerhöchsten Tribünen aus, dass die Gesellschaft in Russland aus politischer Sicht immer bewusster, fordernder und initiativreicher sowie weniger vertrauensselig werde. Daher stehen auch die Parteien beim Volk in einer Schuld. Es möchte, dass die real in der Gesellschaft existierenden Differenzen, Streitigkeiten und selbst Konflikte einen politischen Ausweg und eine Lösung finden. Gennadij Sjuganow, die Kommunisten, die linken Patrioten, sie schlagen ihrerseits vor, eben dieses System zu bewahren und einfach jene auszuwechseln, die Ratschläge geben oder den Willen des wichtigsten Mannes umsetzen.