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Über Staatssymbole in Russlands Schulen und zwei Umfragen


Das Allrussische Meinungsforschungszentrum (VTsIOM) und die Stiftung „Öffentliche Meinung“ (FOM) haben in der vergangenen Woche Ergebnisse von Umfragen veröffentlicht, die der Haltung der Bürger zu den Neuerungen in Russlands Schulen galten. Bekanntlich beginnt im laufenden neuen Schuljahr, das am 1. September startete, jede Woche in den russischen Schulen mit dem Hissen der Staatsflagge und dem Abspielen der Hymne. Das Hauptergebnis der Untersuchungen von VTsIOM und FOM ist eines: Die meisten Befragten unterstützen angeblich die neuen Praktiken. Der Unterschied zwischen den Befragungen besteht in den Nuancen, die letztlich die Gesellschaft auf unterschiedliche Art und Weise charakterisieren.

So ist der Anteil jener, die für das allwöchentliche Flaggenhissen und Abspielen der Hymne in den Schulen sind, in der FOM-Umfrage größer als in der Befragung des VTsIOM (77 Prozent gegenüber 69 Prozent). Die Soziologen hatten sowohl in dem einen als auch im anderen Fall die Befürworter der neuen Initiative gebeten zu erläutern, warum sie solch eine Meinung vertreten. Hier beginnt das Interessante. Laut Angaben von FOM wollten nur sieben Prozent (das heißt etwa neun Prozent aller Enthusiasten) ihre Meinung nicht begründen oder vermochten es nicht bzw. ließen Argumente vermissen. Bei VTsIOM waren es 34 Prozent, die einer Antwort auswichen. (Möglicherweise wirkte sich da auch das „Ansehen“ dieses Meinungsforschungsinstituts aus. – Anmerkung der Redaktion)

Das gleiche Bild war auch hinsichtlich jener zu beobachten, die gegen ein Hissen der Flagge und das Abspielen jede Woche in den Schulen sind. Bei der Stiftung „Öffentliche Meinung“ hatte lediglich jeder zehnte Gegner der angeordneten Neuerung nicht gewusst, wie er seinen Standpunkt erklären soll, oder er hatte es einfach nicht getan. Das VTsIOM lieferte dagegen frappierende Daten: 87 Prozent jener, denen die Neuerung nicht gefällt, haben nicht die Gründe dafür genannt.

Dabei waren die Antwortvarianten auf die Frage „Warum sind Sie dagegen“ in der VTsIOM-Untersuchung weitaus vielfältiger als bei der Stiftung „Öffentliche Meinung“. Es gibt auch allgemeine Antworten („so vermittelst du keinen Patriotismus“, „sinnlos“, „löst Ablehnung aus“). Es gibt aber auch Konkretes („Politisierung“, „Aufzwingen“, „Involvierung der Kinder in die Politik“, „die Flagge und Hymne gefallen nicht“). Die FOM-Befragten gaben nur ganze fünf Gegen-Argumente – „Sinnlosigkeit“, „Propaganda“, „das bringt den Kindern nichts“, „die Kinder haben große Belastungen“, „das macht nur an Feiertagen Sinn“. Dabei nannten die Befragten des VTsIOM fünf Argumente für die Flagge und die Hymne. Diejenigen aber, mit denen die FOM-Soziologen gesprochen hatten, nannten ganze acht. Es macht Sinn anzumerken, dass die Befragten des VTsIOM bis zu drei Antwortvarianten nennen konnten. Auf der Internetseite der Stiftung „Öffentliche Meinung“ war dieser Aspekt nicht detailliert worden.

Es entsteht der Eindruck, dass das Allrussische Meinungsforschungszentrum versucht hat, die Argumente dafür zu verallgemeinern, sie auf gewisse Kategorien zu reduzieren („Ausprägung von Patriotismus“, „fördert die Bewahrung der historischen Erinnerungen“ usw.). Dies sind Formulierungen, die sich durchaus mit der Begründung decken, die der Staat selbst vorgibt. Es kann angenommen werden, dass die Menschen, die die Neuerungen unterstützen, bereits einen fertigen Satz von Antworten haben, der von den Medien und dem gesamtpolitischen Kontext beeinflusst wurde. Dabei war für die VTsIOM-Soziologen wahrscheinlich wichtig, nicht die Gegenargumente zu verallgemeinern und ihnen die Gestalt separater, vereinzelter Meinungen zu verleihen. Die Stiftung „Öffentliche Meinung“ ist in dieser Hinsicht sowohl in Bezug auf jene, die dafür sind, als auch jene, die dagegen sind, gleichermaßen vorgegangen.

Es ist möglich, dass dies das Gesamtbild beeinflusste, dass die VTsIOM-Soziologen die Befragung per Telefon durchgeführt hatten. Die FOM-Mitarbeiter hatten sich aber persönlich mit den Befragten getroffen. Im zweiten Fall ist es schwierig, der Konkretheit in der Antwort auszuweichen. Per Telefon, besonders wenn zwischen Tür und Angel, ist dies leichter zu tun. Das Gesprächsformat an sich fördert keine Überlegungen. Werden sich aber viele für die Methodik der Soziologen interessieren?

Im Endergebnis haben das VTsIOM und die FOM zwei Gesellschaftsporträts gewonnen, die sich unterschieden. Im VTsIOM-Umfeld begreifen die Menschen nicht immer, warum sie die eine oder andere Initiative unterstützen oder nicht unterstützen. Jede dritte Stimme dafür ist durch irgendeine merkwürdige Trägheit ausgelöst worden. In allem Übrigen aber hilft den Menschen das, ihre Position zu begründen, dass der Staat bereits richtige Formulierungen vorgegeben hat. Die überwiegende Mehrheit der Gegenstimmen ist ihrerseits emotional. Dies ist ein reflektorisches Abweisen dessen, was man von oben vorschlägt. Bei der Stiftung „Öffentliche Meinung“ entsteht eine andere Gesellschaft, in der die Menschen doch ihr System von Anschauungen hinsichtlich der Initiative der Offiziellen angewandt haben. Allerdings wiederholt auch in dieser Community die Mehrheit der Befürworter des allwöchentlichen Flaggenhissens und Abspielens der Hymne in den Schulen die Formel: „Dies fördert die Erziehung von Patriotismus und Stolz auf das Land“.