Das russisch-indische „Mond-Wettrennen“ in diesem Monat ist in Vielem ein zufälliges, aufgrund einer Kette von Zufällen, technischen Ausfällen und Störungen bei der Finanzierung. Die Ähnlichkeit der Aufgaben und die Übereinstimmung der vermutlichen Landungsplätze veranlassen zu einem Vergleich des russischen und des indischen Projekts. Die russische Sonde „Luna-25“ ist fast um die Hälfte leichter als die indische Sonde „Chandrayaan-3“. Der indische Apparat ist technisch umfangreicher: Er besitzt ein orbitales und ein Landemodul, aber auch einen Mond-Rover. Die russische Mission sieht weitaus simpler aus und besteht lediglich aus einem Landemodul. Nicht weniger interessant ist, dass das indische Mond-Vorhaben weniger als das russische kostet. Für „Luna-25“ sind in den letzten Jahren umgerechnet rund 100 Millionen Dollar aus dem russischen Staatshaushalt ausgegeben worden. Und das technisch aufwendigere indische Projekt kostet ca. 73 Millionen Dollar.
Viele Bürger Russlands sind verwundert, warum die Russische Föderation und Indien, zwei scheinbar befreundete Länder, die Erfahrungen aus der Zusammenarbeit im Kosmos zu Zeiten der UdSSR hatten, nunmehr ein „Wettrennen zum Mond“ begonnen haben. Die russische Trägerrakete Sojus-2.1b mit der interplanetaren Sonde „Luna-25“ startete am 11. August vom Kosmodrom Wostotschny im Fernen Osten. Wie der Chef von Roskosmos Jurij Borissow nach dem erfolgreichen Start berichtete, werde die Landung der Station auf der Mondoberfläche für den 21. August erwartet. Indien brachte die eigene automatische Kosmos-Sonde zum Mond früher auf den Weg. Ihr Apparat „Chandrayaan-3“ erreichte bereits am 5. August eine Mond-Umlaufbahn. Die Landung des Landeapparates „Vikram“ mit einem Mond-Rover ist für den 23. August geplant.
Die Intrige besteht darin, dass beide Apparate im Bereich des Südpols des Erdtrabanten niedergehen sollen. Und derjenige, der dies als erster schafft, wird in die Geschichte eingehen, da die Menschheit bisher keine Apparate in diesem Bereich landen ließ. Für die russische Mond-Station „Luna-25“ hat man als ersten möglichen Landebereich den Nordrand des Boguslawskij-Kraters anvisiert. Es gibt aber noch zwei Reserve-Landeorte.
Interessant ist gleichfalls ein Vergleich des langen Weges beider Länder zu diesem Zeitpunkt. Russland bleibt zweifellos ein großer Staat auf dem Gebiet der Kosmos-Forschung. Es bereitet weiterhin neue Besatzungen für Flüge zur Internationalen Kosmos-Station (ISS) vor, deren Nutzung laut bisherigen Informationen bis zum Jahr 2030 geplant ist. Aber in Sachen Mond-Forschung kehrt die Russische Föderation nach einer Unterbrechung von 47 Jahren mit einem neuen Programm zurück. Die letzte Station trug den Namen „Luna-24“ und wurde 1976 gestartet. Im Verlauf dieser Mission gelang es, 170 Gramm Bodenproben von der Mondoberfläche zur Erde zu bringen. Damals hatten die Wissenschaftler angenommen, dass sie möglicherweise in ihnen Spuren von Wasser finden werden. Im Weiteren fand diese Theorie eine Bestätigung durch Forschungsarbeiten von Wissenschaftlern anderer Länder. Wobei sie am meisten hoffen, es gerade im Bereich des Mond-Südpols zu finden, wo die geringen Temperaturen uraltes Wassereis mit einem Alter von vielen Milliarden Jahren konserviert haben könnten.
Indien hatte seinerzeit seinen Weg in den Kosmos mit Unterstützung der UdSSR gebahnt. Der erste indische Sputnik gelangte im Frühjahr 1975 nach einem Start vom damaligen sowjetischen Kosmodrom Kapustin Jar und auch mit einer sowjetischen Rakete, mit der Kosmos-3M, ins Weltall. 1984 wurde an Bord auch eines Sojus-Raumschiffs der Militärpilot Rakesh Sharma zum ersten indischen (und weltweit 138.) Kosmonauten entsprechend dem „Interkosmos“-Programm. Er berichtete, dass sich die meisten Inder sicher seien, dass er bis zum Mond geflogen sei.
Der Landeapparat „Chandrayaan-2“, der bereits mit einer indischen Rakete im Jahr 2019 auf den Weg gebracht worden war, hätte erstmals erlaubt, Indien auf dem Mond zu erleben. Wenn dies damals geklappt hätte, wäre Indien zum vierten Land in der Welt – nach der UdSSR, den USA und China – geworden, das eine weiche Landung seines kosmischen Apparates auf der Mondoberfläche schaffte. Die Mission endete aber mit einer Havarie. Der Apparat konnte nicht weich landen und zerschellte. Daher verfolgen die Inder jetzt mit Spannung und angehaltenem Atem den neuen Versuch einer Mondlandung.
Im Falle eines Misserfolgs verliert Indien rund 80 Millionen Dollar. Der vorangegangene Versuch war sogar etwas kostspieliger. Laut Schätzungen von Experten machte „Chandrayaan-2“ 125 Millionen Dollar zunichte. Die Geldsummen für den Bau der russischen Sonde sind vom Umfang her etwa ähnliche. Gemäß dem Entwurf des Föderalen Kosmos-Programms für die Jahre 2016-2025 sollte der gesamte Finanzierungsumfang hinsichtlich der Entwicklung und des Baus von „Luna-25“ im Jahr 2014 ca. drei Milliarden Rubel ausmachen, was entsprechend dem damaligen Mittelkurs des Dollars von 38,50 Rubel rund 80 Millionen Dollar waren. Der Start des Programms wurde jedoch mehrfach verschoben, was zu seiner Verteuerung führte. Im Jahr 2016 tauchte auf dem Internet-Portal für staatliche Einkäufe ein Vertrag auf, aus dem sich ergab, dass Roskosmos plant, für die Sonde „Luna-25“ bereits 4,5 Milliarden Rubel bis Ende des Jahres 2019 auszugeben. Der Flug der automatischen Station erfolgte erneut nicht zu den geplanten Terminen. Und auf dem gleichen Internet-Portal postete man im Jahr 2020 einen neuen Vertrag, dem entsprechend Roskosmos zusätzliche 1,4 Milliarden Rubel der Wissenschaftlichen Lawotschkin-Produktionsvereinigung für den Abschluss der Schaffung von „Luna-25“ bereitstellen wollte.
Im Jahr 2015 entschied Indien, die Zusammenarbeit mit Russland zur Entwicklung und Nutzung der Mondstation „Luna-27“ einzustellen. Und ein zuständiges Gremium der Russischen Akademie der Wissenschaften beschloss, Roskosmos zu empfehlen, auf den Mini-Rover der indischen Kollegen zu verzichten, die solch einen Apparat in die Mission für einen Flug zum Mond integrieren wollten. Zu einer der Ursachen für solch ein Verhalten Indiens wurde das, dass es die ewigen Verschiebungen von Kosmos-Missionen und Starts satthatte. Der russischen Seite war der Einsatz einer indischen Rakete für den Start der Station nicht recht, da dies zusätzliche Kosten, aber auch ein Absolvieren von Tests und Erprobungen in Indien bedeutete.
Überhaupt bemüht sich Indien, die Ressourcen für die Kosmos-Forschung akkurat auszugeben. Als ein Beispiel betrachtet man die Entsendung einer indischen Sonde zum Mars im Jahr 2013. Experten sind der Auffassung, dass dies auch nach wie vor die preiswerteste interplanetare Mission der Gegenwart ist. Sie kostete ganze 74 Millionen Dollar. Zum Vergleich: Die US-amerikanische Sonde kostete 720 Millionen. Und die russisch-europäische Mission ExoMars (freilich mit zwei Starts mit der Entsendung mehrerer Apparate zum Mars) ist mit einer Milliarde Euro teurer.
Am Tag der Raumfahrt – am 12. April 2022 – hatte Präsident Wladimir Putin bei einem Besuch des Kosmodroms Wostotschny mitgeteilt, dass Russland sein Mond-Programm wiederaufnehmen werde, und kündigte den Start von „Luna-25“ (früher hieß die Sonde „Luna Globe“) im dritten Quartal des Jahres 2022 an. „Schaffen wir es?“, fragte er den damaligen Roskosmos-Chef Dmitrij Rogosin. „Wir müssen es“ erwiderte dieser. Und dies war nicht das erste Mal, dass man es nicht schaffte. Wladimir Putin hatte beispielsweise im Jahr 2019 diesen Flug bereits vollmundig angekündigt. Im Juli vergangenen Jahres erfolgte endlich in der Raumfahrtagentur der Russischen Föderation eine längst fällig gewesene Auswechselung der Führung.
„Luna-25“ ist der erste aus einer geplanten Serie von automatischen Apparaten, die auf dem Mond weilen sollen. Der erste von ihnen soll die Basistechnologien für das Landen in einem Bereich unweit der Pole testen und Untersuchungen des Regoliths (Lockermaterial an der Oberfläche des Monds) und der Ökosphäre in der Umgebung des Südpols vornehmen. „Als Lande-Ort ist ein neuer ausgewählt worden. Dort ist bisher meines Erachtens weltweit keiner gelandet. Ich hoffe, dass wir die ersten sein werden. Wenn natürlich Wasser festgestellt wird, wird sich eine gute Perspektive hinsichtlich einer industriellen Nutzung des Monds eröffnen, wird sich die Perspektive für den Bau einer Mond-Basis auftun“, sagte Jurij Borissow.
„Als ein solches gibt es kein Wettrennen um die Erschließung des Monds zwischen Indien und Russland, da die Erschließung des Monds noch von keinem begonnen wurde. Es gibt einen Prozess zum Studium des Monds. In Russland erfolgt er gemäß dem in Roskosmos und in der Akademie der Wissenschaften der Russischen Föderation verabschiedeten Programm für dessen Erforschung. In Indien befindet sich dieses Thema in einem Anfangszustand. Sie (die Mond-Forschung) wird eher als ein Element der Entwicklung kosmischer Technologien und der Politik betrieben. Dies ist eine Frage des Prestiges des Landes und der gegenwärtigen Herrschenden“, sagte der „NG“ Iwan Andrijewskij, 1. Vizepräsident des russischen Verbands der Ingenieure und Vorsitzender des Direktorenrates des Engineering-Unternehmens „2K“. „Heute erfolgt die Realisierung eines Teils des russischen Programms mit dem Namen „Abstecher“, die bis 2025 dauern wird. Das Wort „Abstecher“ spricht für sich selbst. Nach dem Jahr 2025 steht der zweite Teil des Programms („Vorposten“) bevor. Und bereits nach dem Jahr 2035 ist der Teil des Programms an der Reihe, der „Basis“ heißt. Dies sind direktive Zeiträume. Die faktischen Zeitspannen werden sich um 15 bis 20 Jahre ausdehnen“.
Nach Aussagen des Experten übe sich Indien auf dem Gebiet der Weltraumflüge und der Entsendung seiner Satelliten auf nächste kosmische Objekte ausschließlich, um eine Technologie für Weltraumflüge, eine Technologie für das Landen auf dem Mond und für den Erhalt wissenschaftlicher Informationen zu entwickeln. „Warum konnten oder wollten die befreundeten Länder keinen gemeinsamen Apparat starten? Natürlich wäre es besser gewesen sich zu einigen, die Ausgaben und die Ergebnisse des Fluges zu teilen. Es gibt eine Geschichte der Zusammenarbeit, und eine recht erfolgreiche. Für die Inder sind wir um ein Mehrfaches vorteilhafter als sie für uns. Hinsichtlich des Kosmos hat Indien nur Ansätze und Wünsche. Wir aber haben eine überaus reiche Praxis. Zweifellos wünschen die Amerikaner und Engländer keine Zusammenarbeit zwischen der Russischen Föderation und Indien und greifen in die Situation ein, wie sie können“, sagte der Experte.
„Die Startkosten Russlands und Indiens sind vergleichbare, was unter anderem die erfolgreiche Konkurrenz der indischen Raketenexperten auf dem Markt der kommerziellen Starts bestätigen. Dies fördert unter anderem die nähere Lage (ihrer Startplätze – „NG“) zum Äquator. Das Zusammenfallen der Termine für die Mondlandung der Apparate beider Länder ist wahrscheinlich ein zufälliges“, meint Artjom Kljukin, Experte der Firma „IVA Partners“.
„Die Länder wollen der ganzen Welt ihre technischen Möglichkeiten bei der Kosmos-Forschung demonstrieren, das Potenzial der eigenen Wissenschaft und Industrie zeigen sowie mögliches Gerede über eine dominierende Hilfe des anderen Partners vermeiden“, sagte der „NG“ der führende Experte des Investitionsunternehmens „Finam Management“, Dmitrij Baranow. „Die wissenschaftlichen Programme der Russischen Föderation und Indiens sind unterschiedliche, was ihr Verbinden erschwert oder gar unrealisierbar macht. In einem Landeapparat verschiedene Geräte einzubauen, und so, dass sie auch noch alle zusammen erfolgreich funktionieren, ist schwierig. Drittens ist nicht ausgeschlossen, dass die Russische Föderation und Indien unterschiedliche Sichtweisen auf die Ergebnisse der Forschungsarbeiten und deren Nutzung sowie die Weitergabe der Daten an Dritte haben, was ein gemeinsames Programm der zwei Länder erschweren würde. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein gemeinsamer Flug nicht erfolgte, weil jedes der Länder beabsichtigt, seine Technologien geheim zu halten (in der Station „Luna-25“ sind beispielsweise nukleare Stromquellen). Und im Falle eines gemeinsamen Fluges müssten sie offengelegt werden“.