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Vakzine für besondere Zwecke


Russlands Gesundheitsminister Michail Muraschko erklärte bei einer Beratung von Präsident Wladimir Putin mit Regierungsmitgliedern, dass in Russland die großangelegte Herstellung der Coronavirus-Vakzine aufgenommen wurde, die durch das Nationale N.-F.-Gamaleya-Forschungszentrum für Epidemiologie und Mikrobiologie (Gamaleya-NFZ) entwickelt worden war, und fügte hinzu, dass die ersten Test-Partien der Coronavirus-Vakzine in alle Regionen der Russischen Föderation geliefert wurden. Und in Moskau sind bereits über 5.500 Menschen gegen COVID-19 geimpft worden.

Die Erklärung ist eine in höchstem Maße erfreuliche, denn die Zahl der Erkrankten nimmt rasant zu. Entweder hat die zweite Welle begonnen oder die erste ist nicht zu Ende gegangen.

Kirill Dmitrijew, Leiter des Russischen Fonds für Direktinvestitionen, teilte bereits am 10. September auf einer Pressekonferenz mit, dass der Fonds mit Brasilien die Herstellung der russischen Coronavirus-Vakzine „Sputnik V“ auf dem Territorium dieses Landes vereinbart hätte. „Wir erwarten, dass wir bis Oktober Ergebnisse in Bezug auf 25.000 bis 30.000 Menschen haben werden, die vollkommen 42 Tage ab dem Zeitpunkt der Vakzinierung durchlaufen haben“, sagte Dmitrijew. 

Die im Gamaleya-NFZ entwickelte Vakzine wurde als weltweit erst registriert. Umgeben wurde sie von Gerüchten. Inwieweit – glaubwürdigen, ist schwer zu sagen. So behauptet die Nachrichtenagentur Bloomberg, dass dutzende Vertreter der russischen Business- und politischen Elite vorab Zugang zu ihr erhalten hätten. Laut Angaben der Agentur sei dies bereits im April der Fall gewesen, das heißt vor dem sprunghaften Mai-Anstieg der Pandemie. Die Agentur verweist auf ihre Quellen unter Milliardären und Top-Managern großer Unternehmen. Das Programm, in dessen Rahmen die Vertreter der Business- und politischen Elite Dosen einer experimentellen Vakzine erhalten hätten, sei ein legitimes, werde aber geheim gehalten, um einen Ansturm potenzieller Teilnehmer zu vermeiden, habe der Agentur eine Person mitgeteilt, die mit dem Verlauf der Test bekannt sei.

Unklar sei, auf welche Art und Weise man die Teilnehmer des Programms ausgewählt habe, schreibt Bloomberg. Laut Angaben der Agentur gehe es um mehrere hundert Menschen. Der Agentur sei es gelungen, dutzende Fälle zu bestätigen, aber keiner habe erlaubt, seinen Namen anzugeben. Die Patienten würde man impfen. Eine Bezahlung werde dafür nicht erhoben. Dmitrijew sagte, dass er und seine Familie an der Untersuchung teilgenommen hätten. 

Andererseits erklärte der Direktor des Gamaleya-NFZ Alexander Ginzburg, dass ihm nicht bekannt sei, dass Vertreter der Elite Zugang zur russischen COVID-19-Vakzine erhalten hätten. Mitte August sagte er, dass für die Herstellung der zur Immunisierung der Bevölkerung erforderlichen Menge des Coronavirus-Impfstoffes neun bis zwölf Monate vergehen könnten. Laut Aussagen Ginzburgs würden die Vakzine zuerst 10 bis 15 Regionen des Landes erhalten.

Die sich gegenwärtig in Russland und in der Welt in Entwicklung befindlichen Coronavirus-Impfstoffe werden mit einer beispiellosen Geschwindigkeit geschaffen. Schließlich hört die Pandemie nicht auf. Der Virologe Dr. sc. med. Anatolij Altstein erklärt dies damit, dass die Impfstoffe auf bereits existierenden Plattformen entwickelt werden würden. Sie sind schon längst geschaffen und eingeführt worden. Deren Schaffung basiert auf der molekularen Biotechnologie. Die Methoden sind bekannt und noch vor der Epidemie recht gut ausgetestet worden. In Russland befasse sich laut Aussagen von Altstein eine Gruppe von Forschern seit langem mit diesem Problem. Sie hätten bereits Vakzine gegen Ebola und das Coronavirus MERS vorgestellt. Daher hätten sie sich rasch dem Wettrennen anschließen und rechtzeitig im Gamaleya-NFZ den russischen Impfstoff entwickeln können.

„Notwendig ist, dass die dritte Phase der klinischen Tests erfolgt und abgeschlossen wird oder zumindest stark vorankommt. Die dritte Phase sind Impfungen von zehntausenden Menschen. Da wird alles über die Vakzine klar. Wir können annehmen, dass die im Gamaleya-Zentrum entwickelte Vakzine sowohl sicher als auch effektiv ist. Es wird die dritte Phase erfolgen, und wir werden reale Zahlen zu sehen bekommen. Wahrscheinlich wird alles gut sein. Und sie wird umfangreich und massenhaft zum Einsatz kommen“, unterstrich Anatolij Altstein.

Dennoch die Auffassung zu vertreten, so der Wissenschaftler, dass es heute eine Vakzine gebe, die für einen massenhaften Einsatz bereit sei, sei nicht ganz richtig.