Der Vorsitzende des Verfassungsgerichts der Russischen Föderation, Valerij Sorkin, ist beim X. Internationalen Petersburger Rechtsforum mit der Lektion „Das Recht Russlands: Alternativen und Risiken unter den Bedingungen des globalen Krisencharakters“ aufgetreten. Ungeachtet der scheinbar strengen wissenschaftlichen Überschrift hatte es den Anschein, dass es der Vorsitzende der höchsten Gerichtsinstanz, der gewöhnlich auf Kommentare zu aktuellen politischen Problemen verzichtet, nunmehr für notwendig erachtete, sich über sie zu äußern. Sorkin empfahl dem Kreml einen teilweisen Kurswechsel: etwas mehr Sozialismus, Isolationismus und etwas mehr Ideologisierung des Staates, aber ohne eine Rückkehr in die sowjetische Vergangenheit.
Aber in erster Linie ist der Auftritt Sorkins bei dem Petersburger Rechtsforum seinerseits zu einem gewissen Treueeid hinsichtlich der Sonderoperation Titels geworden. Vom Prinzip her hatten wenige bezweifelt, dass er sie nicht unterstütze. Der Vorsitzende des russischen Verfassungsgerichts hielt es aber augenscheinlich für notwendig, dies allen zu sagen. Die Bewertungen zur Enzwicklungsgeschichte der ukrainischen Krise durch Sorkin lagen vollkommen in den Bahnen des russischen propagandistischen Mainstreams. Es entstand der Eindruck, dass er ihn beinahe formiert hat.
Und das Wichtigste ist, dass der höchste Verfassungsrichter die gegenwärtigen Herrschenden vollkommen rehabilitierte, indem er das vorangegangene Regime der entstandenen Situation bezichtigte. „In Beloweschje hatte Boris Jelzin bei der Auflösung der UdSSR der Ukraine sowohl die Krim als auch das legendäre Sewastopol und mehrere Verwaltungsgebiete, die faktisch sowohl hinsichtlich der Bevölkerung als auch der Geschichte russische sind, überlassen. Das heißt: Bis zu zwölf Millionen russische Menschen waren ohne irgendwelche juristischen Garantien für ihre nationale und kulturelle Identität geblieben und waren – wie sich später erwies – durch das nazistische Regime der Rechte auf die Muttersprache beraubt worden“, legte der 79jährige Jurist seine neue Sicht auf die Geschichte dar. Dabei verurteilt Sorkin sozusagen nicht die eigentliche Auflösung der Sowjetunion, im Gegenteil, er ist der Auffassung, dass dies Energie für eine Entwicklung des Landes in Gestalt des heutigen Russlands freigesetzt hätte.
Jetzt jedoch warnte der Vorsitzende des Verfassungsgerichts der Russischen Föderation, müsse man den Kurs korrigieren – sowohl den außen- als auch den innenpolitischen. Wobei der bekannte Konservative nicht über irgendwelche politischen Lockerungen spricht, sondern den Kreml zu einer teilweise linken Wende aufruft. „Ein freier Markt und die private Initiative, die durch einige Elemente der sozialistischen Erfahrungen des Landes ergänzt werden, sind ein durchaus reales Modell für eine Rechtswirtschaft unter den neuen Realitäten, die seinerzeit erfolgreich eine historische Approbation durchlief“. Das Einzige, worin er ein Risiko sehe, sei die Möglichkeit einer erneuten Anwendung des Verfahrens der Proben und Fehler. Folglich ruft Sorkin die Herrschenden auf, zuerst eine Strategie für einen Kurswechsel auszuarbeiten. Und das Big Business warnte der Vorsitzende des Verfassungsgerichts, dass das Problem der Legitimierung des großen Besitzes nach wie vor nicht gelöst sei. Folglich sei es besser, jetzt die Ressourcen mit dem Staat zu teilen.
Traditionell trat Sorkin gegen irgendwelche Versuche einer Aufhebung des Verbots in der Russischen Föderation für die Anwendung der Todesstrafe auf, wobei er warnte, dass dies ohne eine Änderung der Verfassung einfach unmöglich sei. Diese strittige These setzte er jedoch nur dafür ein, um zu seinen Initiativen zur Verstärkung der Geschlossenheit der Gesellschaft überzugehen. Und verstehen muss man dies so, dass dies gerade um die gegenwärtigen Herrschenden erfolgen müsse. „Die heutige heftige Zunahme der Aktivitäten hinsichtlich der Ausarbeitung und verfassungsmäßigen Anerkennung einer Staatsideologie ist zumindest unzeitgemäß und maximal gefährlich, da sie mit einer erneuten Spaltung in „Weiße“ und „Rote“ schwanger geht. Derweil aber ist heutzutage wie nie zuvor eine stabile innenpolitische Situation nötig, was eine Konsolidierung aller konstruktiven Kräfte der Gesellschaft erfordert“, erklärte der Vorsitzende Verfassungsgerichts der Russischen Föderation. Und konkret die Kommunisten und anderen Linken wies er darauf hin, dass „die Verfassung der Russischen Föderation erlaubt, alle sozialen Haupterwartungen im Zusammenhang mit der Idee von der sozialen Gerechtigkeit zu verwirklichen“.
Was aber die Außenpolitik angeht, so besteht Sorkin darauf, dass Russland unter den Bedingungen einer „exklusiven totalitären Demokratie“, die die USA der Welt aufdrängen würden, zu handeln bevorstehe. Er ist sich jedoch gewiss, dass Russland nicht in einen Isolationismus fallen sollte. Man müsse sich vor den sogenannten unfreundlichen Ländern „abschotten“, sich aber jenen öffnen, die gute Beziehungen unterhalten wollen. Kurz gesagt: Auch hier war durch Sorkin eher der propagandistische Mainstream vorgestellt worden, denn irgendeine originelle Entwicklungsarbeit. Und dies veranlasst zu der Annahme, dass, wenn sich in der Kette der Sorkin-Überlegungen gleich mehrere Kettenglieder mit den Erklärungen und den Handlungen des russischen Präsidenten decken, so auch die übrigen Initiativen des Vorsitzenden des Verfassungsgerichts der Russischen Föderation möglicherweise die analoge Herkunft haben.