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Verlautbarungsfernsehen ist in Russland zu Hochtouren aufgelaufen


Der russische Fernsehkanal „Rossia 24“ ist am 1. Juli 2006 auf den Sender gegangen und positioniert sich als der wichtigste Informationskanal im Land. Das 24-Stunden-Programm ist sowohl über Satelliten und Kabel als auch im Internet zu empfangen. Bestritten wird es vor allem mit eigenen Beiträgen, wobei eine intensive Arbeitsteilung mit dem Hauptsender der staatlichen Funk- und Fernsehholding VGTRK – „Rossia 1“ – vorgenommen wird. Der Sender kann gleichfalls auf ein riesiges Korrespondentennetz zurückgreifen, mit dem nicht nur das Inland, sondern auch große Teile des „kollektiven Westens erfasst werden. Mehr als 50 Millionen Menschen würden laut Angaben des Senders das Publikum ausmachen. Und vor dem Hintergrund der am 24. Februar begonnenen militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine schalten immer mehr Russen das Programm von „Rossia 24“ ein, der oft als erster mit aktuellen Informationen aufwartet. Die Folge, der Marktanteil ist auf weit über vier Prozent angestiegen, während in den Anfangsjahren dieser noch unter einem Prozent lag. Die Berichterstattung aus der Konfliktregion wird massiv betrieben, zumal sehr viele Korrespondenten vor Ort im Einsatz sind.

„Rossia 24“ ist aber auch eine Version des deutschen Ereigniskanals „Phoenix“, denn Liveübertragungen aus dem Kreml, aus der Regierung, von zahlreichen bedeutsamen Foren sowie aus dem Parlament sind eine Stärke des Senders. Beobachter konstatieren gleichfalls, dass im Zusammenhang mit der Eskalierung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen andere Synergie-Effekte erzielt werden. Vor allem dank einer Zusammenarbeit mit dem russischen Auslandssender RT. Dieser stellt nicht nur Videomaterial zur Verfügung, sondern hilft beim Monitoring ausländischer Medien. Daher hat sich die Qualität des Zitierens von Aussagen ausländischer Politiker, TV-Sender und Printmedien spürbar verbessert: Sprich, es werden weniger Zitate verdreht bzw. entstellt, so dass die Aussagekraft von zu vermittelnden Informationen und Ideen deutlich verstärkt wird.

All dieses Potenzial wurde auch am letzten Tag der Referenda in den Donbass-Republiken DVR und LVR sowie in den ukrainischen Verwaltungsgebieten Cherson und Saporoschje über einen Beitritt zu Russland, am 27. September umfassend genutzt. „NG Deutschland“ hat den ganzen Tag die Sendungen verfolgt. Hier eine Analyse der Inhalte.

Um 9 Uhr morgens beginnt für die 33jährige Alexandra Suworowa der Arbeitstag vor den Kameras. Anderthalb Stunden steht die Journalistin im kleinen Studio, das von der Größe an das Nachrichtenstudio des kubanischen Staatsfernsehens erinnert. Sie präsentiert die Schlagzeilen des Tages – die vom Westen als Pseudo-Referenda eingestuften Abstimmungen erleben ihren letzten Tag, die Teilmobilmachung greift, zum Beispiel in Moskau, Petersburg, in Dagestan sowie im Amur-Verwaltungsgebiet, und in Udmurtien trauert man um die Toten des Amokläufers, der am Vortag das Land erschütterte. Begleitet werden diese Informationen mit eigenen Bildern aus den Donbass-Republiken, Videos vom russischen Verteidigungsministerium usw. Letzteres stellte auch die Fotos und Informationen zu Militärs bereit, die sich in der sogenannten militärischen Sonderoperation in der Ukraine als Helden hervorgetan hätten. Unklar bleibt jedoch, ob sie ihre Einsätze überlebten oder mit dem Leben bezahlten. Zur Teilmobilmachung gab es noch Kurzinterviews. Ausbilder Nikolai erläutert den Inhalt der Ausbildung für die Reservisten, und Jewgenij Timankin erklärt als eingezogener Reservist: „Man muss die Heimat verteidigen!“. Abgerundet wird dieser Themenkomplex mit praktischen Tipps. Was kann man ins Gepäck legen, sollte man von der Teilmobilmachung erfasst werden? „Rossia 24“ weiß es, hat entsprechende Schrifttafeln vorbereitet und hebt besonders Thermo-Unterwäsche hervor. Nun ja, der Herbst hat bereits Einzug gehalten. Und bis zum Winter ist es demnach auch nicht mehr weit.

25 Minuten später gibt es internationale Informationen – als kleine Häppchen, jedoch gekonnt serviert. Die Message ist klar: In Deutschland beispielsweise werden die Strompreise um das 2fache ansteigen. Und CDU-Chef Friedrich Merz gewährte der BILD ein Interview, in der von „Sozialtourismus“ durch ukrainische Flüchtlinge die Rede war. Im weiteren Tagesverlauf kein Thema auf „Rossia 24“, so dass der Zuschauer erst am späten Nachmittag erfährt, dass sich Merz für seine deplatzierten Worte entschuldigte.

Danach gibt es einen der vielen Werbe-Blöcke, in denen nur noch russische Marken und Produkte vorkommen, denn westliche Konzerne haben im Februar und März den russischen Markt verlassen. Ja, und ein russischer Blockbuster mit dem Titel „Parmas Herz“, der am 6. Oktober in die Kinos kommt und die drastisch zurückgegangenen Besucherzahlen (um mehr als die Hälfte) wird aktiv beworben.

Eine Verschnaufpause für A. Suworowa beschert Alexandra Nasarowa, die im Rahmen von Wirtschaftsinformationen den Schwerpunkt auf Ausnahmefälle für IT-Spezialisten im Rahmen der am 21. September begonnenen Teilmobilmachung legt. 195 Berufe aus dem IT-Bereich sind auf eine erste Liste des Ministeriums für digitale Entwicklung gesetzt worden. Und im Eilzugtempo werden bis 10 Uhr noch Sportnachrichten (u. a. das Spiel England – Deutschland mit dem Endstand 3:3), ein Petersburger Beitrag zum Welttourismustag und ein Bericht zu Internet-Fake-Shops in Russland präsentiert.

Die letzten dreißig Minuten für Alexandra Suworowa beginnen mit Bildern und Informationen zu den Referenda. Die Korrespondenten Jegor Grigorjew und Boris Maksudow melden sich zu Schaltgesprächen aus den Donbass-Republiken. Der Grundtenor: Die Menschen wollen Teil Russlands werden und stimmen dementsprechend so ab. Diese Message wird den gesamten Tag bis zur Schließung der Abstimmungslokale in der DVR und LVR dem Zuschauer vermittelt.

Ein weiteres Top-Thema des Tages sind die Pipelines „Nord Stream 1“ und „Nord Stream 2“, die vor Bornholm leck geworden sind. Zitiert wird das deutsche Blatt „Tagesspiegel“ und bereits nach dem Mittagessen Kremlsprecher Dmitrij Peskow, der nicht eine der genannten Varianten für den Störfall ausschließt – also auch keinen Diversionsakt.

Der 27. September ist für „Rossia 24“ erneut ein Tag, an dem technische Pannen auf der Tagesordnung sind. Das sogenannte „Studio 5“ kommt nicht rechtzeitig auf den Sender, da offensichtlich die Schaltpartner aus den Donbass-Republiken zu den Referenda wegen technischer Probleme nicht auf den Bildschirm gebracht werden können. Suworowa muss also noch einmal antreten und berichtet vom japanischen Konsul, der im russischen Fernen Osten des Spionageversuchs überführt wurde.

Mit Mühe und Not hat die Regie kurz vor 11 Uhr den LVR-Botschafter in Moskau und aus Saporoschje den prorussischen Politiker Kirill Stremoussow in die Sendung geschaltet, doch Moderator Dmitrij Stchugorew muss es auf kurze Statements beschränken, um im Sendefahrplan zu bleiben. Er weiß aber, dass in den Abendstunden er erneut im Studio sitzen und die Nachrichten präsentieren wird. Dafür darf der Zuschauer erneut Live-Schalten aus Donezk und Lugansk erleben, die sich inhaltlich wenig von den ersten des Tages unterscheiden. Der Sender ist ja ein Nachrichtenkanal und da sind Wiederholungen unumgänglich. Auffällig ist aber, dass die Trauer in Udmurtien nach dem Blutbad in der Schule Nr. 88 von Ischewsk relativ wenig vorkommt.

Der Tag kommt in Fahrt, die Staatsduma tagt inzwischen, so dass die Informationen aus dem russischen Unterhaus zu Top-News werden. Schließlich wurden Gesetze zur Unterstützung für die Familien derjenigen verabschiedet, die unter die Mobilmachung fallen. Mit Details wird dabei nicht gespart. Dies kann derweil nicht von den Informationen aus Nordossetien behauptet werden. Es wird zwar berichtet, dass an der Grenzübergangsstelle „Oberer Lars“ nach Georgien eine Riesenschlange von Ausreisewilligen entstanden sei. Gründe dafür werden nicht genannt (viele russische Männer wollen das Land verlassen, um nicht einberufen zu werden). Ein generelles Prinzip bei „Rossia 24“. Es werde Informationen dosiert vermittelt, so dass der Eindruck entsteht: Der Sender vermittelt Halbwahrheiten.

Journalistisch wenig anstrengend ist die Videoschaltkonferenz des Präsidenten zu Agrarfragen, die nicht einmal eine Sendestunde in Anspruch nimmt. Und bis 14.00 Uhr kommt sogar das Verteidigungsministerium auf den Sender. Sprecher Igor Konaschenkow hat sein tägliches Briefing zu den Kämpfen im Rahmen der militärischen Sonderoperation gegeben, das auf „Rossia 24“ einen festen Platz hat.

Die Spannungen rund um den Abschluss der Referenda nimmt derweil zu, alle warten auf die Schließung der Abstimmungslokale in den Donbass-Republiken. 18 Minuten vor diesem Zeitpunkt kommt Jewgenij Balizkij, Chef der prorussischen Verwaltung von Saporoschje, zu Wort. Die Hauptaussagen lassen aufhorchen. Hinsichtlich des Endergebnisses würde er am liebsten schon erste Zahlen nennen. Doch wichtiger ist die territoriale Frage. Auf die Frage der Moderatorin Darja Koslowa, was mit den Gebieten geschehen werde, die Kiew noch kontrolliere, erklärte der prorussische Politiker: „Die werden befreit. Befreit von den ukrainischen Nationalisten“. Ein deutlicher Hinweis, dass diese Frage auch so in den Beitrittsverträgen formuliert wird. Nicht die aktuellen, sondern die beanspruchten Grenzen der künftigen russischen Subjekte werden in den kommenden Dokumenten ausgewiesen werden.

Und dann ist es endlich so weit. Die „Rossia-24“-Korrespondenten überschlagen sich beinahe in der Berichterstattung zu den Abstimmungsergebnissen in den Donbass-Republiken. Die Zahlen würden beeindrucken, wird immer wieder nach 16 Uhr erklärt. Dmitrij Stschugorew, der ab 17 Uhr die Nachrichten moderiert, erklärt: Die ausländischen „Beobachter“ aus 40 Ländern seien mutiger als westliche Journalisten gewesen, ließen sich nicht unter Druck setzen, waren selbst in den Abstimmungsregionen und preisen mit allen Kräften die Organisierung und Abhaltung der Pseudo-Referenda. Verschwiegen wird aber, wer diese Männer und Frauen wirklich sind. Der in Petersburg lebende Thomas Röper, ein knapp 52 Jahre alter Deutscher, ist für seine Auftritte gegen deutsche anerkannte Medien und für eine Lobhudelei bezüglich der Putin-Politik bekannt. Der US-amerikanische Journalist Wyatt Reed steht schon seit Jahren auf der Salär-Liste der staatlichen russischen Nachrichtenagentur „Russland Heute“ (dort vor allem für den englischsprachigen Sputnik-Kanal und für RT). Die Details zu anderen „Beobachter“ sind ebenfalls mehr als entlarvende und lassen arg Zweifel an der Glaubwürdigkeit und Objektivität aufkommen.

Die Abendstrecke bringt erneut Informationen rund um die Ostsee-Pipelines „Nordstream“, aber auch Internet-Nachrichten und News aus dem Kulturbereich. Aus letzterem wird informiert, dass Russland in diesem Jahr keinen Film für die OSCAR-Nominierungen benennen werde. Und der einstige Schlagerstar und Show-Tänzer Boris Moisejew sei nach langer Krankheit verstorben.

Ab 18.00 werden wieder Beiträge zu den Referenda und Schaltgespräche zu diesen gesendet. Wer diese nicht in SD-Qualität sehen will, erlebt sie im Hauptprogramm ab 20.00 in HD-Qualität. Der Informationstag wirkt wenig spektakulär, da der Ausgang der Abstimmungsergebnisse von vornherein klar war. Dafür kaum oder gar keine Informationen darüber, was in den nächsten Tagen Russland nach den Plebisziten erwarten wird.

„Rossia 24“ bleibt sich seinen Prinzipien treu. Viele Wiederholungen und ein Auslassen von wichtigen Details. Dafür ausführliche Putin-Zitate, die Redakteurin Anastasia Jefimowa für den Zuschauer des Nachrichtenkanals aufbereitet hat. Zum Beispiel solch ein Zitat des Kremlchefs: „Von den ukrainischen Getreideexporten gelangten nur Krumen in Entwicklungsländer. Dies ist doch eine Schummelei!“. Info-Häppchen vom Staatsfernsehen, die leicht geschluckt werden können und vor allem die älteren Zuschauer nicht stimulieren, dass eine oder andere nachzulesen oder zu überprüfen.