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Verschärfung der antirussischen Minsker Rhetorik


„NG“-Korrespondent Anton Chodasewitsch berichtet aus Minsk über den Wahlkampf in Weißrussland.

Weißrusslands Präsident behauptet, dass nur er in der Lage sei, die Unabhängigkeit des Landes zu verteidigen. Seine nächsten Konkurrenten bezichtigt er der Absichten, sich an Moskau zu verkaufen. Die Veränderungen in der Rhetorik hinsichtlich des gestrigen Verbündeten beginnt die russische Wirtschaft selbst zu verspüren. 

Bis Ende dieser Woche (bis 7. Juni – Anmerkung der Redaktion) sollen die weißrussischen staatlichen Unternehmen, die Konten in Privatbanken haben, diese zur weiteren Führung in die weißrussischen staatlichen Banken überführen. Schreiben mit solch einer Anweisung haben Unternehmen vieler Wirtschaftsbranchen erhalten, teilt der Business-Verband der Unternehmer und Arbeitgeber mit. Dort verweist man unter anderem auf eine Anordnung der Vorsitzenden des Konzerns „Bellegprom“, Tatjana Lugina, vom 25. Mai 2020, in der sie unter Berufung auf die Order der Regierung von den nachgeordneten Unternehmen verlangt, spätestens bis zum 8. Juni dieses Jahres über die Übertragung der Konten Bericht zu erstatten. Im Verband versicherte man, dass solche Schreiben auch Unternehmen in anderen Branchen erhalten hätten. Irgendwo werde erwähnt, dass man gerade russische Banken verlassen müsse. Anderswo sei bloß die Rede von staatlichen und nichtstaatlichen Banken. 

Eine Quelle des Internetportals TUT.BY in Bankenkreisen erläutert, dass die weißrussische Regierung beabsichtige, in der nächsten Zeit den staatlichen Sektor über ihre Banken zu finanzieren, aber auch deren Liquidität zu stützen. „Den weißrussischen „Töchtern“ der russischen Banken hat man wieder einmal zu verstehen gegeben, dass sie sich zwecks Hilfe an ihre Mutterhäuser wenden müssen“, erklärte die Quelle des Portals. 

Angesichts der schwierigen Beziehungen zwischen Moskau und Minsk schließen einheimische Analytiker einen politischen und antirussischen Hintergedanken solcher Entscheidungen nicht aus. Es gibt auch Experten, die behaupten, dass dies keine antirussische Aktion sein. Der Anteil des russischen Kapitals am Bankensystem ist recht hoch, während der Beitrag anderer Länder unerheblich ist. Daher bedeutet der Übergang zu den weißrussischen Staatsbanken zwecks Kontenführung, dass man die russischen verlassen muss.  

Die Beobachter, die eine antirussische Ausrichtung ausmachten, gehen von der generellen Rhetorik der weißrussischen Regierenden in der gegenwärtigen Etappe aus. Auch wenn Weißrussland weiter russisches Erdöl kauft (über eine Million Tonnen im Juni laut Angaben des Konzerns „Belneftjekhim“), so arbeitet es aktiv an einer Diversifizierung der Lieferungen. In dieser Woche wird am 5. Juni das Eintreffen eines Tankers mit US-amerikanischen Erdöl im litauischen Hafen Klaipeda erwartet. „Seit Anfang dieses Jahres haben wir jede fünfte Tonne Erdöl von alternativen Lieferanten. In diesem Jahr gab es bereits elf Tankerlieferungen. Der 12. Tanker wird mit amerikanischem Öl sein“, berichtete der Konzernpressesprecher Alexander Tistschenko. Kein Ende findet der Streit zwischen den Seiten auch hinsichtlich des Preises für das zu liefernde Erdgas. Den gegenwärtigen Preis von 127 US-Dollar für 1000 Kubikmeter hält man in Minsk für einen überzogenen und ungerechten. „Russland verkauft in Europa Erdgas in dieser nicht einfachen Zeit für bis zu 70 US-Dollar, für 65 bis 68 Dollar, aber in keiner Weise für 127 wie für Weißrussland“, empörte sich aus diesem Anlass Alexander Lukaschenko.  

Im Mai wiesen Weißrusslands Behörden einen russischen TV-Korrespondenten des Ersten Kanals wegen einem Beitrag über die Situation mit dem Coronavirus aus dem Land aus. Wie Experten behaupten, habe den persönlichen Konflikt zwischen den Präsidenten beider Länder die weißrussische Parade vom 9. Mai verstärkt. 

Der Start des Wahlkampfes in Weißrussland wurde durch noch eine antirussische Richtung geprägt. Nach Analyse der jüngsten Äußerungen von Alexander Lukaschenko ziehen Experten den Schluss, dass das weißrussische Staatsoberhaupt auf seiner Wahlkampfplattform beabsichtige, gerade auf die Verteidigung der Unabhängigkeit vor Russland zu setzen. „Lukaschenko und die staatliche Propaganda forcieren konsequent das Narrativ, dass der zu den Wahlen angetretene Ex-Bankier Viktor Babariko und besonders der Unruhestifter von der Straße, (Sergej) Tichanowskij, Marionetten Moskaus sind“, schreibt aus diesem Anlass der politische Kommentator Alexander Klaskowskij. 

Zuvor hatte A. Lukaschenko dem Ex-Chef der Belgazprombank Viktor Babariko vorgeworfen, dass er für das Geld eines anderen Staates zur Wahl antrete. Er hatte nicht direkt Russland genannt, doch aus dem Kontext war der Zusammenhang erkennbar: Moskau – Gazprom – Belgazprombank – Babariko. „Möglicherweise hat man diesem Mann (Babariko – die „NG“) das Amt des Premierministers in einem anderen Land angeboten. Doch ich habe einmal so überschlagen und denke: In einem hat man vor kurzem Mischustin ernannt. Dort konnte man ihm das Angebot machen. Sie wissen, mit wessen Geld er kandidiert“, erklärte Weißrusslands Präsident.

Analytiker konstatieren allerdings, dass die neue Wahlkampfkonzeption von Lukaschenko nicht vollkommen durchgearbeitet sei, der nämlich nicht erwartet hatte, dass die Menschen auf die Straßen gehen, um dem amtierenden Präsidenten „nein“ zu sagen. Und er müsse irgendwelche Anstrengungen unternehmen, um an der Macht zu bleiben. „Das jetzige Schema „das Volk gegen Lukaschenko“ soll sich in „der Kreml gegen Lukaschenko“ verwandeln. Darin verwandeln sich alle Gegner des weißrussischen Staatschefs automatisch in Agenten Moskaus, Kollaborateure und Vertreter“, umreißt der Politologe Valerij Karbaljewitsch die mögliche Logik des weißrussischen Staatsoberhauptes. 

http://www.ng.ru/cis/2020-06-02/1_7876_belorussia.html