Ein gewisses Anti-Geschenk zum Jahreswechsel hat man dem Klerus der Ukrainischen orthodoxen Kirche (UOK) beschert: Seit 21.00 Uhr Kiewer Ortszeit des 31. Dezember ist ihm untersagt worden, Gottesdienste in der Oberen Kiewer Lawra – in der Refektoriumskirche und in der Mariä-Entschlafens-Kathedrale – zu feiern. Der Abt des Klosters hat sich an den Präsidenten des Landes mit der Bitte gewandt, die Gläubigen nicht aus dem Kloster zu vertreiben. In Moskau ist man sich aber sicher: Keinerlei Appelle der Hierarchie der UOA an die Offiziellen würden eine Wirkung erzielen.
Das Kiewer Höhlenkloster (auch als Kiewer Lawra bekannt) ist das älteste Kloster auf dem Territorium der heutigen Ukraine, das im 11. Jahrhundert gegründet wurde und man als drittes Glück der Gottesmutter bezeichnet. In der Verwaltung der UOK befindet sich die Untere Lawra seit 2013 und für 50 Jahre (entsprechend einem Pachtvertrag mit dem ukrainischen Staat – Anmerkung der Redaktion). Die Obere Lawra aber gehört dem Geschichts- und Kulturfreilichtmuseum „Kiewer Höhlenkloster“, bei dem die UOK lediglich Gotteshäuser pachtete – darunter auch die bedeutendste Kirche, die Mariä-Entschlafens-Kathedrale.
„Schon am 1. Januar haben wir kein Recht, die Schwellen der Refektoriumskirche und der Mariä-Entschlafens-Kathedrale zu überschreiten. Uns hat keiner schriftlich zumindest einen Monat im Voraus in Kenntnis gesetzt. Wir haben langfristige Pachtverträge in den Händen“. Mit solchen Worten hatte sich der Abt des Klosters, Metropolit Pawlo (Lebedj), am 26. Dezember an den Präsidenten der Ukraine, Wladimir Selenskij, gewandt. „Wir kennen Sie als einen gerechten Menschen. Aber neben Ihnen sind Menschen, die unwürdig handeln. Sie nehmen Heiligtümer weg, veranstalten Abrechnungen, hängen Schlösser an Kirchen. Und heute vernichten diese Menschen den Glauben, um Atheismus und Unwahrheit zu säen, die Lebensanschauungen der Menschen zu verändern und sie von den wahren Wurzeln, der Kirche Christi, loszureißen. Wir wenden uns an Sie als einen Garanten und bitten Sie, die Menschen beten zu lassen“.
Der Bischof unterstrich, dass es der Direktor des Freilichtmuseums abgelehnt hätte, den Pachtvertrag mit der Ukrainischen orthodoxen Kirche (die bis zum Mai 2022 zum Moskauer Patriarchat gehörte – Anmerkung der Redaktion) zu verlängern. Wahrscheinlich sei dies getan worden, um den Vertretern der Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) zu „helfen“, sich in den heiligen Mauern einzurichten. Es sei daran erinnert, dass bereits Anfang Dezember Informationen aufkamen, wonach die Lawra als Kloster im Bestand der OKU registriert worden sei. Der Vorsitzende der Verwaltung für auswärtige Kirchenbeziehungen der OKU, Erzbischof Jewstratij (Sorja), hatte damals versichert, dass das Oberhaupt der Orthodoxen Kirche der Ukraine, Metropolit Epiphanius (Dumenko) jetzt das Kloster als eine Rechtsperson leite. Einen Tag später dementierte der ukrainische Kulturminister Alexander Tkatschenko dies, wobei er versicherte, dass „von einer Übergabe des Kiewer Höhlenklosters an die OKU keine Rede ist“.
Am 20. Dezember fand in Kiew eine Synodstagung der UOK, in deren Verlauf die Bischöfe Selenskij vor „einem Krieg gegen Gott“ warnten. Nach Meinung der Hierarchen würden die Offiziellen der Ukraine gegen die Ukrainische orthodoxe Kirche „Methoden des Totalitarismus“ einsetzen. Und dies könne zu einer „Selbstzerstörung“ des ukrainischen Staates führen. Seit Ende November führt der Sicherheitsdienst der Ukraine Durchsuchungen in Gotteshäusern der UOK im ganzen Land durch. Gegen mehrere Hierarchen ist Anklage wegen Landesverrat erhoben worden, über 50 Strafverfahren sind gegen Geistliche der UOK eröffnet worden. Daneben ist durch Selenskij der Auftrag erteilt worden, ins Parlament einen Gesetzentwurf über das Verbot der religiösen Organisationen, die „mit Einflusszentren in der Russischen Föderation affiliiert sind“, einzubringen. Am 1. Dezember unterzeichnete er einen Erlass über die Verhängung von Sanktionen gegen eine Reihe orthodoxer Hierarchen, darunter auch gegen den Abt des Kiewer Höhlenklosters, Metropolit Pawlo. (Der nationale Sicherheitsrat hatte vor wenigen Wochen beschlossen, das Vermögen von Pawlo und anderer Bischöfe der Kirche für fünf Jahre einzufrieren. Zudem wurden ihnen bestimmte Handelsgeschäfte untersagt. – Anmerkung der Redaktion)
Der Präsident hat bisher in keiner Weise auf das Flehen der Vertreter der UOK reagiert. In der Russischen orthodoxen Kirche ist man über dieses Schweigen nicht erstaunt. Nach Meinung des stellvertretenden Vorsitzenden der Synodalabteilung des Moskauer Patriarchats für die Beziehungen der Kirche mit der Gesellschaft und den Massenmedien, Wachtang Kipschidse, „dominiert unter den ukrainischen Offiziellen jene Gruppe, die für eine weitere Diskriminierung und Beeinträchtigung der Rechte der ukrainischen orthodoxen Christen eintritt“. Allerdings hat man in Moskau dezent angedeutet, dass sich solch eine Situation unter anderem auch aufgrund dessen herausgebildet hat, dass die UOK einseitig beschlossen hatte, alle Verbindungen mit dem Moskauer Patriarchat abzubrechen. Im Mai hatte ein Konzil im Kiewer Theophanius-Kloster beschlossen, aus der Kirchensatzung die Erwähnung an die Einheit mit der ROK zu entfernen. Und im November entschieden die Bischöfe, das Bereiten des heiligen Weihöls in Kiew wiederaufzunehmen, was als ein Merkmal für eine autokephale Kirche angesehen wird. Mitte Dezember gab das Oberhaupt der UOK, Metropolit Onufrij (Beresowskij) bekannt, dass er aus dem Synod der ROK ausgetreten sei. „Angesichts jener Atmosphäre, die die Herrschenden um die Ukrainische Kirche herum schaffen, können jegliche internationalen Kontakte dieser Kirche, darunter die Kontakte mit der Russischen orthodoxen Kirche, von den Geheimdiensten für weitere Festnahmen, Entführungen und Inhaftierungen ausgenutzt werden“, erklärte Kipschidse. Am 27. Dezember wurde bekannt, dass das Verfassungsgericht der Ukraine das Gesetz über eine gewaltsame Umbenennung geistlicher Organisationen, deren Zentrum sich außerhalb des Landes befindet, als eines anerkenne, das „der Verfassung der Ukraine entspricht“. Direkt betrifft dieses Gesetz, das von der Werchowna Rada (das ukrainische Parlament – Anmerkung der Redaktion) bereits 2018 verabschiedet wurde, die UOK.